Fanarbeit Luzern vor nationaler Fan-Demo

Schaffen Kollektivstrafen gegen Fans bloss neue Probleme?

FCL-Fans protestierten im Dezember beim Heimspiel gegen den FC Basel mit massenhaft schwarzem Rauch gegen Kollektivstrafen. Schon damals handelte es sich um eine national koordinierte Protestaktion. (Bild: fcl.fan-fotos.ch)

Mehrere Schweizer Fankurven demonstrieren am Samstag in Bern gemeinsam gegen Kollektivstrafen. Diesen steht auch die Fanarbeit Luzern kritisch gegenüber – und verweigerte darum die Mitarbeit bei deren Ausarbeitung.

In Bern dürften am Samstag Hunderte, vielleicht sogar Tausende Fussballfans gegen Kollektivstrafen demonstrieren. «Seit Beginn der laufenden Saison haben die Behörden eine Eskalationsspirale in Gang gesetzt, indem sie im auf Nulltoleranz und Kollektivstrafen setzen», heisst es in einer gemeinsamen Stellungnahme mehrerer Schweizer Fankurven. Sie wurde am Dienstagmorgen auch auf der Webseite der Luzerner Fanorganisation USL publiziert (zentralplus berichtete).

Den Protest der Fussballfans veranlasst haben die jüngst erlassenen Kollektivstrafen der Kantonalen Konferenz der Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD). Es sind dies die Schliessungen der Berner Ostkurve für das YB-Heimspiel gegen GC Zürich vom kommenden Samstagabend und des Kop Sud, der Heimkurve der Lausanne-Sport-Fans – in Lausanne findet gleichentags ein Spiel gegen den FC St. Gallen statt.

KKJPD vermehrt repressiv

Nach Bern reisen werden nebst FCL-Fans auch die Basler Muttenzerkurve, die Zürcher Südkurve und der St. Galler Espenblock. Ganz nach dem Motto «in den Farben getrennt, in der Sache vereint». Die Protestwelle schwappt gar über den Röstigraben, wie der Instagram-Post des Lausanner Kop Sud zeigt.

Terminlich fällt der nationale Fanprotest einerseits mit den beiden Sektorsperren vom Samstagabend zusammen. Anderseits handelt es sich um eine allgemeine Unmutsbekundung in Richtung KKJPD. Seit letztem Frühling hat diese immer wieder Kollektivstrafen verhängt. Dafür erntete sie bei Befürwortern von repressiven Massnahmen Applaus – musste sich aber auch viel Kritik gefallen lassen.

Kollektivstrafen unter Beschuss

Etwa von Fananwältin Manuela Schiller (zentralplus berichtete). Oder von Tim Willmann, Jurist und Experte für Fangewalt an der Universität Bern. Er bezweifelt nicht nur die Wirksamkeit von Kollektivstrafen. Im Hinblick auf das Hochrisikospiel des FC Luzern gegen den FC St. Gallen vom 4. Februar befürchtet Willmann gar, dass sich das Sicherheitsrisiko durch die Gästesektorsperre gar vergrössert haben könnte (zentralplus berichtete).

Tim Willmann, Experte für Fangewalt, am Luzerner Bundesplatz, wo es in der Vergangenheit immer wieder zu Ausschreitungen kam. (Bild: jdi)

Ähnlich skeptisch äussert sich Fabian Achermann von der Fanarbeit Luzern zum eingeschlagenen Kurs der KKJPD. Er sprach sich im Frühjahr 2023, als noch über personalisierte Tickets debattiert wurde, dezidiert gegen diese aus (zentralplus berichtete).

«Die Erfahrungen aus den letzten Jahren haben gezeigt, dass komplexe Themen rund um Fans, Sicherheit und Gewalt nicht mit einfachen repressiven Ansätzen gelöst werden können.»

Fabian Achermann, Fanarbeit Luzern

Von zentralplus auf das anstehende FCL-Hochrisikospiel gegen St. Gallen angesprochen, sagt Achermann: «Die Planung des Spieltags ist mit den auferlegten Massnahmen für alle Beteiligten sehr erschwert und äusserst herausfordernd.» Es fänden viele Gespräche und Sitzungen statt. «Aber mit der bestehenden Ausgangslage gibt es keine Planungssicherheit, um einen möglichst reibungslosen Spieltag zu gewährleisten.»

Fanarbeit fordert Mix aus Repression und Prävention

Kritikerinnen von Kollektivstrafen, zu denen sich auch der FC Luzern zählt (zentralplus berichtete), wird regelmässig vorgeworfen, nichts gegen Fangewalt unternehmen zu wollen. Wie soll dieser denn sonst entgegengewirkt werden?

Fabian Achermann von der Fanarbeit Luzern im Gärtchen der Zone 5. (Bild: jdi)

Fabian Achermann spricht sich für die konsequente Einzeltäterverfolgung aus, wie sie bereits umgesetzt werde. «Es braucht einen gesunden Mix aus Repression und Prävention», erklärt der Fanarbeiter. «Die Erfahrungen aus den letzten Jahren haben gezeigt, dass komplexe Themen rund um Fans, Sicherheit und Gewalt nicht mit einfachen repressiven Ansätzen gelöst werden können.» Vielmehr seien mit diesen tendenziell mehr Problemfelder geöffnet als geschlossen worden, so Achermanns Fazit zu den jüngst vermehrt verhängten Kollektivstrafen.

Neue KKJPD-Massnahmen Ende Januar

Die vor gut einem Jahr veröffentlichte Studie «Biglietto+» sollte die Stossrichtung zur Erarbeitung neuer nationaler Massnahmen gegen Fangewalt vorgeben. Doch schlug die KKJPD als Reaktion auf die zunehmenden Ausschreitungen im Frühjahr 2023 einen deutlich repressiveren Weg ein, als die Studie kurz zuvor empfohlen hatte.

«Aus professioneller Sicht der Fanarbeit sind kollektiv-repressive Massnahmen nicht zielführend.»

Fabian Achermann, Fanarbeit Luzern

Wie schon bei der Studie «Biglietto+» wurden auch für die Nachfolgestudie «Progresso» sämtliche Interessengruppen befragt, wie sie die Fangewalt einzudämmen gedächten. Eingeflossen sind Meinungen der Politik, Polizei, Liga und der Fussballvereine, aber auch der Fans und der Fanarbeit-Stellen, bestätigt Achermann. Die KKJPD wird die Studie Ende Januar zusammen mit neuen Massnahmen präsentieren.

Kaskadenmodell als Damoklesschwert

Für «Progresso» sei die Fanarbeit Luzern zusammen mit anderen Schweizer Fanarbeiten angefragt worden, bei der Ausarbeitung eines Kaskadenmodells mitzuwirken, verrät Achermann.

«Verhalten sich Fussballfans so friedlich, wie man es von ihnen erwarten darf, ist die Sicherheitslage für die Stadtluzerner Bevölkerung nicht gefährdet.»

Christian Bertschi, Pressesprecher der Luzerner Polizei

Das geplante Kaskadenmodell wird verschiedene Kollektivstrafen beinhalten – etwa die Sperrung von Fankurven oder Gästesektoren. Dabei agieren die Fans nach verhängter Strafe quasi auf Bewährung. Bei wiederholtem Fehlverhalten kann die KKJPD die Massnahmen verschärfen. Eine mögliche Ultima Ratio, die im Rahmen der Vernehmlassung ins Spiel kam: Forfaitniederlagen.

Fanarbeit verweigert Mitarbeit

«Doch aus professioneller Sicht sind kollektiv-repressive Massnahmen nicht zielführend und greifen Grundpfeiler des Dialogs zwischen allen Anspruchsgruppen an, was die Fanarbeitenden dazu bewogen hat, bei der Ausgestaltung eines solchen Modells nicht mitzumachen», sagt Fabian Achermann.

Darum befürchten die Fankurven im Hinblick auf neue Massnahmen erst recht, dass die KKJPD die regelmässige Verhängung von Kollektivstrafen institutionalisieren wird. Mit dem Protest in Bern wollen sie ein Zeichen gegen diese setzen. Doch dürfte ein Fanprotest so kurz vor Bekanntgabe der neuen Massnahmen kaum mehr grundlegende Änderungen am Konzept bewirken.

Luzerner Polizei ohne klare Stellungnahme

Zu Kollektivstrafen und deren bisweilen kontraproduktiver Wirkung nimmt die Luzerner Polizei nur indirekt Stellung. Christian Bertschi, der Pressesprecher der Luzerner Polizei, sagt zur Gästesektorsperrung vom 4. Februar: «Wir haben uns an die geltenden Gesetzgebungen und Auflagen zu halten.»

Die Luzerner Polizei – hier rund um ein FCL-Heimspiel im Einsatz – hat sich gegenüber zentralplus bisher nur indirekt zu Kollektivstrafen geäussert. (Bild: jdi)

Dass die Auflagen der KKJPD die Fantrennung bei der Anreise der Gästefans und im Stadion erschweren dürften, kontert Bertschi wie folgt: «Verhalten sich Fussballfans so friedlich, wie man es von ihnen erwarten darf, ist die Sicherheitslage für die Stadtluzerner Bevölkerung nicht gefährdet.»

Berner Polizei erwartet viel Arbeit

Gar nicht erst zitieren lässt sich Regierungsrätin Ylfete Fanaj (SP). Sie ist Vorsteherin des Luzerner Justiz- und Sicherheitsdepartements – und somit auch Mitglied der KKJPD. Fragen zum Thema Fangewalt werde sie erst nach der Fasnacht beantworten, liess die SP-Politikerin gegenüber zentralplus mitteilen.

Der Protest der Fussballfans dürfte in der Stadt Bern nicht unbemerkt bleiben. Gegenüber zentralplus lässt sich die Berner Polizei nicht gross in die Karten blicken: «Wir beobachten und analysieren die Lage fortlaufend. Gestützt darauf, werden wir, falls nötig, entsprechende Massnahmen ergreifen.» Bewilligungsbehörde für Demonstrationen sei ohnehin die Stadt Bern.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Fabian Achermann von der Fanarbeit Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit der Berner Polizei
  • Medienmitteilung der USL und anderer Schweizer Fankurven
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