Technik kommt gar in Hollywood-Filmen vor

In Ebikon haut man sich mit Stöcken – als Kampfsport

Larissa Dahinden (links) und Marvin Vonlaufen in voller Kampfmontur, kurz vor ihrem Kampf. (Bild: mik)

Mehrmals pro Woche treffen sich Luzerner in einem kleinen Raum über einer Ebikoner Pizzeria, um sich mit Stöcken zu schlagen. Klingt absurd – ist aber ein Kampfsport, der schon bald internationale Sportler in die Gemeinde lockt.

«Eins, zwei, drei, vier. Jetzt das Knie runter. Jetzt das andere.» Hört man im kleinen Raum oberhalb der Dieci-Filiale in Ebikon nur hin, könnte es schon fast eine Tanzstunde sein. Wären da nicht die hölzernen Stöcke, die im Rhythmus aufeinanderschlagen. Doch für den Verein «Hybrid FMA Switzerland» sind die Holzstöcke essenziell. Sie betreiben philippinischen Stockkampf, genannt «Stickfighting» oder auch «Eskrima», «Kali» und «Arnis», je nach Region.

Für das ungeschulte Auge sieht es im ersten Moment so aus, wie wenn sich Geschwister mit dem gefundenen Holzstecken gegenseitig eins über die Rübe braten. Doch wie viel mehr dahinter steckt, erklärt Marvin Vonlaufen bei einem Besuch in ihrem Trainingsraum oder «Räuber-Dojo», wie es Vereinsmitglied Karsten liebevoll nennt. Die Ebikoner Stockkämpfer teilen das Schicksal anderer Randsportarten: Die Trainingsstätte ist behelfsmässig. In ihrem Fall ein eigens umgebauter Raum oberhalb einer Pizzeria, in dem bis vor Kurzem ein illegales Casino weilte.

Innerhalb einer Minute möglichst viele Treffer

Nach einer traditionellen Begrüssung lassen die Kämpfer ihre Stöcke kreisen, um ihre Handgelenke aufzuwärmen. Währenddessen klärt Vonlaufen über den in der Schweiz wenig verbreiteten Sport auf. Der Ersteindruck von oben lag gar nicht so falsch: «Abgesehen davon, dass wir uns sehr gerne mit Stöcken schlagen: Es beinhaltet sehr viele Drills und Partnerübungen. Ich vergleiche es jeweils gerne mit Tanzen.»

Wobei die Sportart direkt mit dem Tanzen verbunden ist: Während der spanischen Besetzung verboten die Spanier die Kampfsportart in den Philippinen. Um das zu umgehen, haben die Filipinos die Sportart in Volkstänze eingebunden und so getarnt, wie Vonlaufen erklärt.

Wie der Sport funktioniert und wie das aussieht, siehst du im Video:

Was im ersten Moment unkoordiniert aussehen mag, verläuft nach eingeübten Techniken. Ähnlich wie bei anderen Kampfsportarten wie etwa Karate trainieren die Stockkämpfer Abfolgen ein. Die Idee dahinter: Egal, in welcher Position du oder deine Stöcke sich im Kampf befinden, du weisst immer, wie du nun reagieren könntest. Im Eifer des Gefechts können die Abfolgen jedoch auch etwas vergessen gehen, wie Vonlaufen einräumt. Oder sie weichen bewusst davon ab, um die Gegner mit Finten zu täuschen.

Alles ist im Kampf jedoch nicht erlaubt. Die Kämpferinnen dürfen alles vom Kopf bis oberhalb der Knie schlagen. Ähnlich wie im Fechten zählen die Schiedsrichter die Treffer als Punkte. Dabei zählen beim Stickfighting jedoch nicht nur reine Treffer, sondern auch, wie versiert die Angriffe waren. Nur wenn die Kämpfer abwechslungsreiche Schläge platzieren, gibt's auch alle Trefferpunkte. «Immer wieder auf den Kopf schlagen geht also nicht», so Vonlaufen.

Zudem dürfen die Kämpfer ausweichen und blocken, «was gern etwas vergessen geht», wie Vonlaufen mit einem Lachen sagt. Die Schiedsrichter würden die Kämpfer jedoch wenn nötig daran erinnern. Insgesamt treten sie dreimal während einer Minute gegeneinander an, mit je 30 Sekunden Pause dazwischen. Wer in dieser Zeit mehr Punkte holt, gewinnt. Einen Sieg erringen die Kämpfer alternativ auch, wenn sie ihre Gegnerinnen in dieser Zeit dreimal entwaffnen.

Mit Handschuhen aus dem Hockey und Stöcken aus den Philippinen

Bei Turnieren treten die Stockkämpfer in verschiedenen Disziplinen gegeneinander an: Zum einen in «Formen», bei der die Kämpfer ihre Techniken präsentieren. Zum anderen im Kampf. Dabei unterscheiden sie grob zwischen «Livestick» und «Padded Stick». Erstere Kategorie bestreiten die Kämpfer in Vollmontur mit Holzstöcken, wobei sie noch zwischen «Einzel-» und «Doppelstock» unterscheiden. Beim «Padded Stick» kämpfen sie normalerweise mit einer PVC-Röhre, die in Schaumgummi eingefasst wird. Dabei tragen sie auch weniger Rüstung.

Die Ausrüstung fürs «Stickfighting»: Kopfschutz, Übergewand, Handschuhe. (Bild: mik)

Diese klauben sie sich meist von anderen Sportarten zusammen. Obligatorisch besteht diese aus Helm, Körperschutz und Handschuhen, für Männer zusätzlich aus einem Tiefenschutz, für Frauen aus einem Brustschutz. Optional kommen noch Ellbogen- oder Unterarmschoner hinzu. Alles in allem zahlen Kämpfer für eine akzeptable Ausrüstung etwa 300 bis 350 Franken. Der Stock selbst ist aus Rattanholz und wird aus den Philippinen importiert. Wobei sie zwischen Technik- und Sparringstöcken unterscheiden. Letztere sind sehr leicht. Mit Absicht: «Der bricht relativ schnell, damit er vor einem Knochen brechen würde.»

Boxen, Messerkampf und Stöcke

Formen trainieren wie beispielsweise im Karate, Punktesiege wie im Fechten: Wodurch unterscheidet sich Eskrima speziell von anderen Kampfsportarten? «Im Eskrima beginnen wir verkehrt. Wir fangen direkt mit der Waffe an», sagt Vonlaufen dazu. Zudem trainieren sie nicht nur mit den Holzstöcken, sondern auch mit Messern und in waffenlosem Kampf, etwa Boxen. Sind die Kämpfer damit also für jede Attacke, auch privat, gewappnet? «Man kann es im Notfall schon brauchen. Aber wir machen uns keine Illusionen: Bei einem Messerkampf käme es ziemlich sicher zu schweren Verletzungen. Deshalb empfehlen auch wir: ‹Lauf, so schnell du kannst.›»

Geeignet sei die Sportart eigentlich für Jung bis Alt, so Vonlaufen. Eine Grundfitness sei sicher von Vorteil, jedoch passe sich der Kampfstil den Kämpfern an. Richtig gut zu werden erfordert jedoch Einsatz. Bei drei bis vier Stunden Training pro Woche erreiche eine Kämpferin in etwa vier bis fünf Jahren die Nähe des schwarzen Gurts, schätzt er.

Per Zufall und Instagram zum eigenen Dojo

Die Kampfsportart ist längst nicht nur eine Nischensportart für Nerds. Eskrima werde rund um die Welt unter anderem auch für Kampfszenen in Filmen verwendet. Beispielsweise in den Bourne-Filmen:

In der Schweiz friste der Sport trotzdem ein Nischendasein, so Vonlaufen. Ihr Verein in Ebikon zähle etwa acht aktive Mitglieder, an internationalen Wettkämpfen nimmt gut eine handvoll Schweizer Kämpfer teil. Darunter er und Larissa Dahinden, gemeinsam haben sie den Verein in Ebikon aufgebaut. Beide trainieren Eskrima seit etwa 2012, haben jedoch schon länger Kampfsporterfahrung. Vonlaufen etwa in historischer Kampfkunst (zentralplus berichtete). In der Luzerner Kampfschule «Just Know» kamen beide mit Eskrima in Berührung. Dort wurde es jedoch irgendwann nicht mehr angeboten, weshalb sie selbstständig weiter trainierten.

Der Weg zum eigenen Dojo lief über Zufall und Instagram, wie Vonlaufen erzählt. Als sie ein Video eines Drills auf der Plattform hochgeladen hatten, meldete sich Ermar Alexander mit Ratschlägen bei ihnen. Er führt eine eigene Kampfschule in London und trainierte unter Grossmeister Dionisio «Dinoy» A. Cañete. Zusammen flogen sie nach London, wo Alexander ihnen seinen «Doce Pares» Eskrima-Stil beibrachte. Zurück in der Schweiz trainierten sie fortan selbstständig diesen Stil weiter und brachten ihn weiteren Interessierten bei.

Bald findet erstes Turnier in der Schweiz statt

Wer den Sport mit eigenen Augen sehen will, hat bald beste Gelegenheit dazu: Am 27. und 28. April findet in Ebikon die erste kooperative schweizerisch-deutsche Meisterschaft statt. An diesem Turnier schwingen vor allem Kämpfer aus Deutschland die Stöcke, aber auch einige aus Zürich und Luzern.

Sobald das Training mit der Verabschiedung formell beendet ist, dreht sich das Gespräch schnell um das Turnier: Wie wird das Essen organisiert? Schaut jeder für sich oder offeriert der Verein im Anschluss ein grosses Essen für alle Kämpfer? Spätestens hier wird klar: Hinter dem Verein in Ebikon steckt weit mehr als ein paar Luzerner, die sich zum Spass über einer Pizzabude hauen. Auch wenn ihnen das – wie sie selbst zugeben – definitiv viel Spass bereitet.

Eine traditionelle Begrüssung und Verabschiedung gehört zu jedem Training dazu. (Bild: mik)
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