Rund die Hälfte nur für Genossenschaftler

Wie zugänglich sind günstige Wohnungen in Luzern wirklich?

Gut die Hälfte der gemeinnützigen Wohnungen in der Stadt Luzern stehen nur Genossenschaftsmitgliedern offen. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Wohnbaugenossenschaften gelten als die Lösung für den Bau von günstigen Wohnungen in Luzern. Doch nicht alle haben einen Zugang zu deren Wohnraum, kritisiert die FDP. Die Stadt Luzern tut sich schwer, dagegen vorzugehen.

Wäre die Wohnungsnot ein Hollywood-Blockbuster, wären Wohnbaugenossenschaften wie die Allgemeine Baugenossenschaft Luzern (ABL), die Wogeno Luzern oder die Baugenossenschaft Wohnwerk die Heldinnen. In den Plänen der Stadt, in den nächsten Jahren rund 2000 gemeinnützige Wohnungen zu bauen, spielen sie denn auch eine entscheidende Rolle (zentralplus berichtete). Doch gemäss der Stadtluzerner FDP-Fraktion gilt es hierbei, genauer hinzusehen, wie sie in einem Postulat schreibt. Denn: Günstige Wohnungen von Wohnbaugenossenschaften stehen längst nicht allen offen.

Problematisch findet Postulant Rieska Dommann insbesondere Vergaberegelungen, bei der die Mitgliedschaftsdauer in der Genossenschaft ein relevantes Kriterium ist. Wenn Wohnungen, die auf städtischem Grund gebaut wurden, nur langjährigen Mitgliedern zur Verfügung stehen, würden diese «dem Grossteil der Bevölkerung entzogen und stehen nur einem exklusiven, privilegierten Kreis zur Verfügung». Und fügt auf Anfrage an: «Es kann aber sicher nicht Aufgabe der Stadt sein, dafür Grundstücke der öffentlichen Hand zur Verfügung zu stellen.»

Er fordert deshalb eine Klausel im Baurechtsvertrag mit Wohnbaugenossenschaften, dass die Mitgliedschaftsdauer bei der Vergabe der künftigen Wohnungen keine Rolle spielen darf. Inzwischen liegt die Antwort der Stadt Luzern vor. Der Stadtrat hütet sich davor, den Baugenossenschaften Vorschriften zu machen.

Junge und Neuzuzügerinnen haben kaum eine Chance

Das Problem mit den Vergabekriterien anerkennt die Stadt Luzern. Von den zirka 3000 gemeinnützigen Wohnungen in der Stadt Luzern wird knapp die Hälfte ausschliesslich an eigene Genossenschaftsmitglieder vergeben. Dadurch haben Zuzüger, finanzschwächere Personen, die sich keine Mitgliedschaft leisten können, oder Stadtluzernerinnen, die sich weniger mit dem Wohnungsmarkt auskennen, das Nachsehen. Insbesondere Personen zwischen 20 und 39 Jahren sind bei gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften untervertreten, wie eine Auswertung der Stadt zeigt.

«Mit dem Vorschlag des Stadtrats ändert sich nichts. Es werden weiterhin Personen bei der Wohnungsvergabe bevorzugt, welche seit langem Mitglied in der entsprechenden Genossenschaft sind.»

Rieska Dommann, FDP-Grossstadtrat

Die Dauer der Mitgliedschaft spielt aber nicht bei allen Genossenschaften eine Rolle. Bei der Baugenossenschaft Wohnwerk oder der Wogeno spiele sie eine untergeordnete Rolle, hingegen bei der ABL, der Wohngenossenschaft Geissenstein – EBG oder der Baugenossenschaft Beruso schon.

Diese Bevorzugung der eigenen Mitglieder sei darauf zurückzuführen, dass Genossenschaften «Organisationen der Selbsthilfe» und nicht per se Dienstleister im Wohnungsmarkt seien, so die Stadt. Dadurch werde der Beitrag der Mitglieder zur Selbsthilfe – etwa durch das Zeichnen von Anteilsscheinen noch vor konkretem Wohnungswunsch – bei der Vermietung berücksichtigt. Das schlägt auch das G-Net, das Netzwerk von gemeinnützigen Wohnbauträgern in Luzern, in seinem Muster-Vermietungsreglement so vor.

Luzern will «Regelung Light» für Zugang zu günstigen Wohnungen

Wegen dieses genossenschaftlichen Selbsthilfegedankens und der wirtschaftlichen Freiheit stemmt sich der Stadtrat gegen Vorgaben bei der Vermietung. Auch will die Stadtregierung Genossenschaften, die ihre eigenen Mitglieder bevorzugen, nicht von der Vergabe von Baurechten ausschliessen. In den letzten Jahren habe die Stadt bei Ausschreibungen «eher wenige Bewerbungen» erhalten. Und gerade Genossenschaften, die ihre Mitglieder bevorzugten, hätten in den letzten Jahren auf städtischen Arealen wie beim Eichwald oder der Industriestrasse «einen wichtigen Beitrag zur gemeinnützigen Wohnraumentwicklung» geleistet (zentralplus berichtete).

In der Nähe der Luzerner Allmend entsteht eine neue Überbauung mit 49 neuen Wohnungen. (Bild: zvg)

Stattdessen schlägt die Stadt Luzern eine Art «Regelung Light» vor. Sie will eine «offene und zugängliche Vermietungspraxis» künftig als Zuschlagskriterium bei der Vergabe prüfen. Dies im Rahmen von Vorgaben, die die soziale Durchmischung auf städtischen Grundstücken fördern sollen. Dadurch will die Stadt einen Anreiz schaffen, dass Genossenschaften zumindest einen Teil der Wohnungen auf diesem Areal nicht nur an langjährige Mitglieder vermieten. Denkbar sei gemäss der Stadt auch, dass sich dafür verschiedene gemeinnützige Bauträgerschaften bei einem Areal zusammenschliessen. In dem Sinne beantragt die Stadtregierung, das Postulat teilweise entgegenzunehmen.

Lösung des Stadtrats sei untauglich

Über diese Antwort ist Postulant Rieska Dommann «sehr enttäuscht», wie er schreibt. «Mit dem Vorschlag des Stadtrats ändert sich nichts. Es werden weiterhin Personen bei der Wohnungsvergabe bevorzugt, welche seit langem Mitglied in der entsprechenden Genossenschaft sind.» Zudem lehne er es ab, den Baugenossenschaften «unnötige sozialpolitische» Vorgaben zur Zusammensetzung ihrer Mieter zu machen.

Andere Baugenossenschaften vergeben Wohnungen ebenfalls, ohne dass die Dauer der Mitgliedschaft eine Rolle spiele. «Ich kann nicht erkennen, weshalb das auf städtischen Grundstücken nicht möglich sein soll.» Er werde deshalb im Grossen Stadtrat dafür kämpfen, dass sein Postulat entgegen dem Antrag des Stadtrats vollständig überwiesen werde.

Grösste Luzerner Wohnbaugenossenschaft ist dagegen

Die ABL wäre durch entsprechende Vorschriften direkt betroffen. Die grösste Luzerner Wohnbaugenossenschaft wehrt sich gegen die Kritik von Dommann. Wie die Stadt Luzern verweist ABL-Präsident Marcel Budmiger auf Anfrage darauf, dass gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften «Organisationen der Selbsthilfe» seien.

Es sei deshalb auch richtig, den persönlichen Beitrag ihrer Mitglieder «angemessen zu berücksichtigen». Zudem sei das einbezahlte Kapital wichtiges Eigenkapital der ABL, um Projekte realisieren zu können. Falle dieses weg, würden die Wohnungen teurer oder die Stadt müsste auf Einnahmen aus dem Baurechtszins verzichten – was kaum im Sinne der FDP sein könne.

Mit dem heutigen System böte die ABL beispielsweise auch Rückkehrerinnen mittelfristig eine Perspektive auf eine Wohnung, so Budmiger. Und dieses System habe sich über die Jahre entwickelt und sei von ihrer Generalversammlung so genehmigt worden. Würde die Forderung der FDP umgesetzt, würde die Stadt das genossenschaftliche Prinzip der ABL ausser Kraft setzen.

Die Folge: Ihre Mitglieder müssten einer Abkehr vom «bewährten» Rangpunktesystem zustimmen, moniert Budmiger. Oder die ABL könnte sich nicht mehr für neue städtische Areale bewerben. Womit sie gegenüber Genossenschaften, die keine klaren Vergabekriterien haben, benachteiligt würde.

Genossenschaften wünschen sich weniger Auflagen

Dabei seien sich die Genossenschaften des G-Net einig, dass sie grundsätzlich weniger Auflagen bei der Vergabe von Baurechten wünschen, fügt Budmiger an. Denn oft seien diese mit zusätzlichem Aufwand und Mehrkosten verbunden. Entsprechend skeptisch sei die ABL deshalb auch gegenüber dem Vorschlag «Light» des Stadtrats. «Vermietungen an Nichtmitglieder oder Kooperationen mit anderen Genossenschaften bringt noch keine grössere soziale Durchmischung», hält er fest. Zudem blieben offene Fragen. Etwa wer die Vergabe der Wohnungen prüfe und wie der Stadtrat die soziale Durchmischung bei teureren Neubauwohnungen fördern wolle.

Die ABL könnte sich hierfür vorstellen, dass die Stadt bei Neubauten beispielsweise einzelne Wohnungen subventioniere. Oder eine Kooperation mit der Gemeinschaftsstiftung zur Erschaffung von preisgünstigem Wohnraum vorgebe. Die Auswirkungen kann die Wohnbaugenossenschaft jedoch erst abschätzen, wenn das konkrete Kriterium vorliegt. Wichtig ist der ABL aber, dass alle Genossenschaften die gleichen Auflagen hätten.

Mieterverband sieht Probleme woanders

Auch der Luzerner Mieterinnen- und Mieterverband (MV Luzern) betont auf Anfrage, dass der Zugang zu preisgünstigem Wohnraum für viele Menschen äusserst schwierig sei. Co-Geschäftsleiter Daniel Gähwiler verortet den Hauptgrund dafür aber nicht bei den Vergabekriterien der Wohnbaugenossenschaften, sondern viel eher beim generellen Mangel an Wohnraum. Statt die demokratischen Rechte der Genossenschafterinnen einzuschränken, erwarte der Mieterverband mehr städtisches Engagement bei der Wohnbauförderung.

Zudem zeigten sich für die Mehrzahl der Mieterinnen «viel höhere Hürden». Einerseits die «stetig steigenden Mieten und Wohnkosten». Andererseits Diskriminierung bei der Vergabe. So zeige eine Studie des Bundesamts für Wohnungswesen, dass Akademikerinnen bei der Wohnungssuche bevorzugt würden, während Wohnungsuchende mit ausländisch klingenden Namen viel eher eine Absage erhielten. Transparente und nachvollziehbare Regeln würden dem entgegenwirken. Gemäss Gähwiler wäre der Zugang zu günstigen Wohnungen in Luzern daher eher gewährleistet, wenn die Stadt den Wohnungsbau fördere und verhindere, dass bezahlbarer Wohnraum durch Sanierungen verschwinde.

Verwendete Quellen
1 Kommentar
Apple Store IconGoogle Play Store Icon