Spektakuläre Hausverschiebung

Wegen einer Strasse zügelt in Nottwil ein ganzes Haus

Sein Haus geht auf Reisen: Urs Bachmann. (Bild: mik)

Die Strasse zwischen Neuenkirch und Nottwil soll sicherer werden. Dafür verbreitert der Kanton die Strasse und baut einen durchgehenden Velo- und Fussweg. An einer Stelle musste dafür wortwörtlich ein Haus weichen.

Für gewöhnlich organisiert man sich fürs Zügeln Kartonkisten, ein paar Freunde unter der Prämisse von Dankbarkeit und einem Znacht und ein grosses Auto.

Nicht aber Urs Bachmann. Der Nottwiler Landwirt zügelt nämlich nicht nur Kleider, Sofa und Geschirr, sondern gleich sein ganzes Haus. Und das ist wortwörtlich gemeint: Sein Haus an der Kantonsstrasse zwischen Neuenkirch und Nottwil zog am Donnerstagvormittag 17 Meter weiter in Richtung Wiese. Das Spektakel blieb nicht unbemerkt, obwohl der Kanton, der dafür verantwortlich war, es nicht an die grosse Glocke hängen wollte: Es lockte rund 70 Personen an. «So zügeln nicht viele», meinte etwa ein älterer Herr. Ein anderer witzelte: «Bei all den Leuten hier könnte man Seile ans Haus hängen und selbst ziehen.»

Ein weiterer Unterschied zu einem gewöhnlichen Umzug: Die Züglete von Bachmanns Haus dauerte nur knapp eineinhalb Stunden, also vergleichsweise kurz. Zumindest, wenn man die Vorbereitungsarbeiten nicht einrechnet. Streng genommen dauerte das Projekt bereits mehrere Jahre.

Kanton schafft mehr Platz für Velofahrer

An dessen Anfang steht ein Projekt des Kantons Luzern. Dieser will die Kantonsstrasse zwischen Neuenkirch und Nottwil sicherer machen. Der Kanton verbreitert dazu die zum Teil sehr enge Strasse und baut einen durchgehenden Fuss- und Veloweg. Zudem passt er einige Zufahrten an, weil diese nicht mehr den Normen entsprechen. Gemäss Gesetz haben Autofahrer dort nicht genügend freie Sicht, um sicher zum Haus zu- und wegzufahren. Und hier kommt Bachmanns Haus ins Spiel: Dieses steht direkt an der Strasse, gemeinsam mit dem Haus gegenüber ist dieser Strassenteil zu eng.

So stand das Haus bis anhin an der Strasse. (Bild: mik)

Der Kanton habe daraufhin ein Variantenstudium durchgeführt, bei dem er auch die Anwohner beigezogen habe, erklärt Projektleiter Peder Rauch vor Ort. Unter anderem prüfte er, die Strassen stattdessen übers Feld zu führen. Doch dabei wäre viel Landwirtschaftsland verloren gegangen, so Rauch. Auch die Strasse notfalls wegen mangelnder Sicherheit zu schliessen, kam für den Kanton nicht infrage. So blieb die Option, das Haus und eine Stützmauer in der Nähe von der Strasse wegzuschaffen.

Familie nimmt den Umzug gelassen

Das Haus zu verschieben, war eigentlich nicht der ursprüngliche Plan des Eigentümers Urs Bachmann. Er schlug eigentlich einen Neubau vor – mit finanzieller Beteiligung des Kantons. «Das hat sich aber erübrigt, als sich die Denkmalpflege eingeschaltet hat», so Bachmann. Das über 200 Jahre alte Haus ist als «erhaltenswert» eingestuft. Sollte der Kanton sich finanziell am Projekt beteiligen, musste das Haus folglich erhalten bleiben, erklärt der Familienvater. Deshalb der Entscheid für die Züglete. Dafür bezahlt Bachmann eine Pauschale, zuzüglich der Neuerungen, die er extra bauen lässt.

Die Arbeiten bisher seien zwar «etwas einschränkend» gewesen. Den Keller mussten sie leeren, die Gefrierschränke zügeln. Zudem dauerten die Arbeiten etwas länger als gedacht. «Aber jetzt ist es halt so», sagt Bachmann. Zu ihrem Glück konnte die Familie die ganze Zeit weiter in ihrem Haus leben. Obwohl ihrem Haus im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füssen weggezogen wurde, merkten sie davon kaum etwas.

So funktioniert das Ganze

Die Planung erfolgte durch die Sempacher B2G Architekten und das Oberägerer Bauunternehmen Iten AG. Architekt Markus Bachmann hat im Auftrag des Kantons – respektive für seine Namensvetter – die Bauleitung inne und gemeinsam mit der Iten AG den Umzug geplant. Für den Umzug musste sich die Familie von ihrem bisherigen Keller trennen – Bachmann plante den neuen Keller und wo künftig die Werkleitungen hinverlegt werden. Eine Hausverschiebung habe er in seiner Karriere bisher nicht erlebt.

Kurt Brülhart hingegen hat schon manche Häuser bewegt. Der Geschäftsführer der Iten AG verschob beispielsweise vor ein paar Jahren ein Altersheim in Schötz. Nun hat er sich des Hauses in Nottwil angenommen. Um dieses zu verschieben, war einiges an Vorbereitungsarbeit nötig. Begonnen haben die Verantwortlichen im Januar. Der bisherige Garten wich einer grossen Grube, um Platz für den neuen Standort des Hauses und die Schienen zu schaffen und den Arbeitern einen Zugang zu ermöglichen.

Um das Haus vorzubereiten, sägte die Iten AG den untersten Teil des Hauses weg, im Jargon «Abkopplung» genannt. Anschliessend entfernten die Arbeiter die Wände Schritt für Schritt und ersetzten sie durch Stahlstützen. Weil das Mauerwerk unter anderem aus Sand bestand, mussten sie das Haus mit einer Art Stahlkranz und Beton stabilisieren. Das Haus stellten sie dann auf einen «Riegel». Brülhart erklärt das so: «Wenn man eine Kaffeetasse auf einen Teller stellt, kann man sie gut verschieben. Wenn man nur die Tasse schiebt, wirds schwierig.» Anschliessend bauten die Arbeiter die Verschubbahnen auf.

Langsam rollt das Haus an seinen neuen Standort

Am Donnerstagvormittag wurde das Haus mit Hydraulikpumpen schliesslich an seinen neuen Standort geschoben – etwa 17 Meter weiter weg von der Strasse, etwas näher zur Zufahrt und minimal höher, wegen des Gefälles der Zufahrtsstrasse. Das Ganze ging relativ leise vonstatten: Ein wässriges Knistern, dann schoben sich die Rollen langsam vorwärts, im Schlepptau ein ganzes Daheim. Daneben nur Vogelgezwitscher, Geplauder des Publikums, vorbeifahrende Autos, eine Fräse und ein Akkuschrauber.

Dazwischen stoppten die Bauarbeiter kurz, massen nach und justierten die Hydraulikpumpen nach. Danach das ganze wieder von vorn, Stück für Stück.

So sah das ganze (hier doppelt so schnell) aus:

Ein Haus auf Schienen. (Bild: mik)

Und von der anderen Seite:

Immer wieder wird nachgemessen und justiert. (Bild: mik)

Mögliche Herausforderungen hätte es beim Projekt einige gegeben: ein Stromausfall, das Fundament sackt ab, wegen der Steigung rutscht das Haus oder gar ein plötzliches Erdbeben, wie Brülhart aufzählt. Doch schlussendlich ging die Verschiebung – abgesehen von einem kurzen Stromausfall – ohne Probleme über die Bühne. Nach gut eineinhalb Stunden stand das Haus punktgenau dort, wo es neu stehen sollte.

Reges Interesse der Nachbarschaft

Für das gesamte Projekt nimmt der Kanton 14,8 Millionen Franken in die Hand. Wie viel davon auf die Verschiebung des Hauses fallen, lässt der Kanton nicht durchblicken. Lediglich, dass der Kanton für den Umzug den grössten Anteil stemme, danach folge die Gemeinde Nottwil. Projektleiter Rauch betont: «Die Sicherheit der Kantonsstrasse ist ein Mehrwert. Auch für die Anwohner.»

Mit dem Slider kannst du sehen, wie sehr das Haus am Donnerstag verschoben worden ist.

Für diese war die Verschiebung eine kleine Attraktion. Schliesslich gibts eine Hauszüglete nicht alle Tage zu sehen, eine der letzten im Kanton fand im Dezember in Horw statt (zentralplus berichtete).

Die Züglete in Nottwil wirkte fast wie ein kleines Quartierfest. Unter einem Schuppen standen denn auch Festbänke bereit, gegen Mittag brutzelten auf einem Grill Würste. Bis am Abend installierten Sanitäre und Elektriker noch die Werkleitungen, damit die Bachmanns bald wieder in ihr Haus ziehen können.

Mit dem Vorteil gegenüber herkömmlichem Zügeln, dass sie keine Kisten schleppen mussten.

Verwendete Quellen
  • Augenschein vor Ort
  • Persönliches Gespräch mit Urs Bachmann, Eigentümer und Landwirt
  • B&A zum Bauprojekt an der K13 2020
  • Projektwebsite des Kantons
  • Persönliches Gespräch mit Markus Bachmann, Architekt
  • Luzerner Strassengesetz
  • Persönliches Gespräch mit Kurt Brülhart, Geschäftsführer der Baufirma
  • Persönliches Gespräch mit Peder Andri Rauch, Projektleiter der Dienststelle Verkehr und Infrastruktur
  • Grundbuchplan des Kantons Luzern
  • Artikel im «Baublatt» zum Projekt in Schötz
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