Neues Quartier am Bahnhof

Rösslimatt: Stadt Luzern lässt Kieszug bis 2040 weiterfahren

Niklaus Wüthrich ist für eine der Neubauten der SBB verantwortlich. (Bild: kok)

Im August wird das erste Gebäude auf dem Areal Rösslimatt am Bahnhof Luzern fertig. Nun zeigt sich: Das neue Quartier erhält vorerst keinen Park – wegen eines Kieszugs.

Mehrmals täglich schiebt sich ein Kieszug entlang der schicken Neubauten auf dem Areal Rösslimatt neben den Bahnhof Luzern. Dann ertönt lautes Rattern. Ein Lokführer erscheint im blauen Führerhaus und hinter ihm folgen Anhänger mit grauem Kies. An einer der Fassaden neben dem Zug steht seit Kurzem: «HSLU Hochschule Luzern».

Auf einer Fläche von sechs Fussballfeldern planen die SBB auf Rösslimatt ein «urbanes» Quartier. Seit Jahren spricht die Stadt darüber, nun gibt es etwas zu sehen. Das 100 Millionen Franken teure und 180 Meter lange Gebäude auf dem Baufeld A, das die Hochschule mietet, wird Ende August fertig. Der Neubau auf dem Baufeld B+C – vor allem Büros für das Pharmaunternehmen MSD – im März 2025.

Dafür verantwortlich ist Niklaus Wüthrich, Gesamtprojektleiter bei den SBB. Mit zentralplus trifft sich der Berner auf der Baustelle. Der 80-Millionen-Franken-Neubau auf dem Baufeld B+C ist das bisher grösste Projekt seiner Karriere. Und habe ihm mehr als eine schlaflose Nacht bereitet, wie er sagt.

In Rot das Baufeld A, das Gebäude mit PV-Anlagen auf dem Dach ist das Baufeld B+C. Daneben sind die Abstellgleise. (Bild: zvg)

Zum Beispiel wegen des Bodens. «Der Baugrund war schlechter als beim Baufeld A.» Drei gespannte Grundwasserstockwerke und 370 Holzpfähle vom Vorgängerbau erschwerten die Bohrungen – und führten zu drei Monaten Verzögerungen und Samstagsschichten.

Ausserdem beschäftigt Niklaus Wüthrich der Grünraum. «Die Gebäude bestehen aus viel Beton. Es wäre schön, wenn der Ort in Zukunft noch grüner wird», sagt er. Dafür hätte der Gestaltungsplan aus dem Jahr 2018 mehrere Flächen vorgesehen. Diese könne die SBB jetzt aber nur zu einem Teil umsetzen.

Stadt Luzern verlängert Konzession für Kiesunternehmen

Die Rede ist vom Gleisdreieck. Es besteht aus mehreren Gleisen, die zwischen den Baufeldern A und B+C liegen. Güterzüge der Seeverlad und Kieshandels AG (Seekag) transportieren darauf Kies und Sand von der Luzerner Werft zu Baustellen. Wüthrich sagt, dass die Züge stündlich über das Areal rollen.

Ein Kieszug rollt über das Areal Rösslimatt. Links die neue Hochschule, rechts der Frohburgsteg im Bau. (Bild: kok)
Links die neue Hochschule, rechts das Gebäude für das Pharmaunternehmen. Dazwischen: Gleise. (Bild: kok)

Ursprünglich sollte das Gleisdreieck begrünt werden, so Wüthrich. «Wir hatten dort einen waldähnlichen Park geplant.» Doch im Mai 2024 hat die Stadt den Terrainmietvertrag mit der Firma vorzeitig um 12 Jahre verlängert. Bis Ende 2040 dürfen die Kieszüge weiterrollen, bestätigt auch Deborah Arnold, Leiterin Stadtplanung, auf Anfrage.

«Für mich als Entwickler und unsere künftigen Nutzenden auf dem Areal ist das schade», sagt der SBB-Projektleiter. Denn vorerst wird das neue Quartier eher grau bleiben. Ende 2024 werden zwar die Bürgen- und Güterstrasse mit Bäumen gepflanzt. Neben den grossen Blocks sind das aber nur grüne Tupfer auf der Karte. Ausserdem scheint noch unklar, wie die Absperrungen an den Gleisen gestaltet werden.

Bis das Rösslimatt-Areal so aussieht, wird es noch etwa 20 Jahre dauern. (Bild: SBB)
Bis dahin durchschneiden Gleise das Areal Rösslimatt. (Bild: kok)

Eine Sprecherin der Hochschule schreibt auf Anfrage zum grauen Gleisdreieck: «Sollte eine künftige Begrünung möglich sein, würden wir dies begrüssen.» Bis dahin könnten Mitarbeiter und Studentinnen aber auf den Veranden und Dachterrassen an die frische Luft gehen. Als neue Mieterin gibt sich die HSLU sichtlich entspannt.

Kiestransporte sollen so lange, wie es sinnvoll ist, weitergehen

Stadtpolitiker dagegen sorgen sich, dass kein belebtes Quartier, sondern ein «toter Business District» entsteht (zentralplus berichtete). In seiner Antwort auf einen Vorstoss kündigte der Stadtrat daher 2017 an: Die Begrünung des Gleisdreiecks wird ab 2027 geplant. Mit der Verlängerung der Kiesverträge ist dieser Plan nun vom Tisch.

Warum hat sich die Stadt nicht an ihr Wort gehalten? Stadtplanerin Deborah Arnold erklärt, was passiert ist. Im Jahr 2017 hätte die Stadt mit Seekantonen wie dem Kanton Luzern nach Alternativen für den Seeverlad gesucht. Damals habe man gedacht, den Verladeort und die Bahnlinie über Rösslimatt zehn Jahre später schliessen zu können.

An der Werft verlädt die Seekag seit 100 Jahren Sand und Kies vom Schiff auf die Bahn. (Bild: Seekag)

Doch gesicherte Alternativen seien nicht gefunden worden, schreibt Arnold. Im Gestaltungsplan 2018 hielt die Stadt daher fest, dass ein grünes Gleisdreieck erst in Jahrzehnten möglich sei. Und im Jahr 2021 entschied das Stadtparlament, den Schotterverlad an der Luzerner Werft – inklusive Gleise – so lange zu erhalten, wie sinnvoll.

Stören die Kiestransporte nicht das neue Quartier Rösslimatt – das Eingangstor für das Tribschenquartier? Stadtplanerin Deborah Arnold sagt nein: «Hohe städtebauliche Dichte und ein Nebeneinander verschiedener, insbesondere auch industriell geprägter Nutzungen, zeichnen die Urbanität in diesem Gebiet aus und machen das Gebiet zu einem spannenden Ort in der Stadt.»

Ab 2040 wird die Rösslimatt weiterwachsen

Die Stadt hat die Verträge mit der Kiesfirma nicht zufällig bis Ende 2040 verlängert. Denn dann soll auf dem Areal Rösslimatt noch einmal ordentlich gebaut werden. Wo heute die Abstellgleise liegen, werden die SBB drei grosse Wohngebäude errichten. Es handelt sich um die Baufelder D bis F. Dahinter ist der Park «Rösslimatthain» geplant.

Wo heute die Abstellgleise liegen werden drei Wohngebäude gebaut.

Doch zuerst muss der Durchgangsbahnhof Luzern (DBL) gebaut werden – das ist seit Jahren klar. Dafür benötigen die SBB die Abstellgleise als Zufahrten und Installationsflächen, südlich des neuen Hochschulgebäudes wird ein Stollen für den Tunnelbau gegraben. 2026 wird das Bundesparlament über den Bau des Tiefbahnhofs entscheiden.

Wenn der DBL gebaut wird, werden auch die Kieszüge der Seekag wichtig. Denn schon heute beliefert die Firma die SBB mit Schotter und Baustellen in der Region mit Material. Der Transport sei ökologisch, findet Geschäftsführer Stefan Tresch. «Durch die kurzen Transportwege erspart die Seekag der Stadt Luzern jährlich zirka 480'000 Lastwagen-Kilometer.»

Bunter Ladenmix soll Rösslimatt beleben

Der Wandel gefalle den Anwohnern, findet der Projektleiter. Vor dem Umbau sei die Rampe des alten Roelli-Gebäudes von Jugendlichen belagert worden. Nun werde der Ort «gesitteter». In Zukunft werden im Quartier 3000 Studentinnen, 6500 Weiterbildungsteilnehmer und 400 Mitarbeiterinnen der HSLU – sowie 650 Mitarbeiter der MSD arbeiten.

Ist das Areal Rösslimatt in über 20 Jahren fertig, wird das Quartier auch mit Sicherheit grüner sein. Der Gestaltungsplan zeigt Baumreihen zwischen den Gebäuden und grüne Aussenflächen und Parks. Doch bis dahin wird das zentrale Quartier ein eher graues Dasein fristen. Trotz geplanter Zwischennutzung.

Blick vom MSD-Gebäude Richtung Abstellgleise. Davor, wo jetzt die Container stehen, ist die Zwischennutzung geplant. (Bild: kok)

Denn ab Anfang 2026 soll zwischen dem sanierten Gebäude an der Güterstrasse 7 und den Abstellgleisen ein «belebter Garten» oder sogar ein Pumptrack entstehen, kündigt Wüthrich die Zwischennutzung an. Angesichts der grossen Neubauten und der Gleisflächen rundherum wirkt die kleine Fläche allerdings wie Pflästerlipolitik.

Dafür sollen die Mieter den Ort beleben. Beim umgebauten Frohburgsteg öffnet ein Restaurant und im MSD-Gebäude mehrere Läden. «Vor dem Abriss der Bestandsgebäude gab es hier Ateliers, ein Tonstudio, Werkstätten und vieles mehr. Wir sind bestrebt, diesen Groove zurückzubringen», sagt Niklaus Wüthrich am Ende des Rundgangs. Der erste Mieter, den er verraten kann, ist der Veloladen Bikelocal.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Deborah Arnold, Leiterin Stadtplanung
  • Augenschein vor Ort
  • Gespräch mit Niklaus Wüthrich, Gesamtprojektleiter bei den SBB
  • Schriftlicher Austausch mit einer Sprecherin der Hochschule Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Stefan Tresch, Geschäftsführer der Seeverlad und Kieshandels AG (Seekag)
  • zentralplus Medienarchiv
  • Vorstoss und Antwort des Stadtrats zu «Belebtes Quartier statt toter Business District auf der Rösslimatt.»
  • Dokument der SBB zum Projektwettbewerb für das Baufeld B+C
  • Stellungnahme des Stadtrats zum Postulat «Vorwärts mit dem SBB Areal Rösslimatt»
0 Kommentare
Apple Store IconGoogle Play Store Icon