Luzerner Experten im Interview

Diese Rezepte helfen gegen die Wohnungsnot

Markus Gmünder (links) und Ivo Willimann beobachten den Wohnungsmarkt in der Schweiz genau. (Bild: ewi)

Das Thema Wohnungsnot dominiert in der Schweiz die Schlagzeilen. Was dagegen unternommen werden soll, daran scheiden sich die Geister. Zwei Experten der Hochschule Luzern ordnen die Diskussion ein.

In den nächsten Jahren fehlen in der Schweiz bis zu 50'000 Wohnungen. Diese Prognose sorgte in den letzten Wochen für Aufregung und zahlreiche Schlagzeilen. Und die Angst vor der Wohnungsnot führte in Luzern mitunter jüngst dazu, dass die Airbnb-Initiative der SP überraschend deutlich angenommen wurde (zentralplus berichtete).

Das Abstimmungsergebnis hat gezeigt, dass sich mit der Wohnungsnot guten Wahlkampf machen lässt. Und da im Herbst die nationalen Wahlen stattfinden, bewirtschaften nun auch Parteien das Thema intensiv. Sie werben aber mit unterschiedlichen Rezepten. Manche kritisieren die strengen Regulierungen, die den Wohnungsbau einschränken. Andere verlangen die Förderung von Wohnbaugenossenschaften.

Sachlich, statt parteipolitisch gefärbt, betrachtet die Wissenschaft das Thema. Darum hat zentralplus zwei Experten zum Thema Wohnen getroffen. Markus Gmünder und Ivo Willimann sind beide an der Hochschule Luzern (HSLU) am Institut für Regionalökonomie tätig. Wohnpolitik ist eines ihrer Hauptthemen. Sie ordnen die verschiedenen Lösungsvorschläge ein, benennen Gründe für die aktuelle Wohnungsnot und sagen, weshalb günstige Mieten nicht nur Vorteile haben.

zentralplus: Auf dem Wohnungsmarkt ist die Nachfrage aktuell sehr hoch, doch es gibt nur wenige freie Wohnungen. Angebot und Nachfrage sind nicht im Gleichgewicht. Hat der Wohnungsmarkt versagt?

Markus Gmünder: Das würde ich nicht so sagen. Der Wohnungsmarkt funktioniert in der Schweiz grundsätzlich nicht schlecht. Nur reagiert er eher träge. Wenn die Nachfrage steigt, wird erst verzögert mehr gebaut. Bestehen angebotsseitig keine zu grossen Hürden, dürfte sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt mit der Zeit wieder entspannen. Das grössere Problem des Wohnungsmarktes ist, dass es ein Verteilungsproblem gibt. Für gewisse Menschen ist es sehr schwer, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

zentralplus: Und was liesse sich gegen dieses Problem tun?

Gmünder: Auf dem Wohnungsmarkt gibt es Anreize, die in der Tendenz zu einer zu geringen Umzugsmobilität führen. Die Menschen bleiben zu lange in ihrer Wohnung, obwohl diese unter Umständen gar nicht mehr ihren Bedürfnissen entspricht. Das liegt einerseits daran, dass die Menschen in ihrer Wohnung verankert sind. Gleichzeitig profitieren sie von relativ günstigen Mieten, weil das Mietrecht die bestehenden Mieten stark schützt. Kommt es jedoch zu einer Neuvermietung der Wohnung, kann der Vermieter den Mietpreis erhöhen. Mit diesem höheren Mietpreis, der sogenannten Angebotsmiete, kann er die Wohnung dann an eine neue Mieterin vermieten. So entsteht eine Differenz zwischen tiefer Bestandesmiete und hoher Angebotsmiete.

«Eine zu starke Regulierung der Angebotsmiete schreckt Investoren ab. Beispiele aus Genf oder neuerdings auch Basel belegen das.»

Markus Gmünder

Ivo Willimann: Das führt letztlich dazu, dass gerade Menschen nach dem Auszug der Kinder in einer zu grossen Wohnung «gefangen» sind, die im Alter möglicherweise unzweckmässig ist. Aber bei einem Umzug in eine kleinere Wohnung müssten sie eine höhere Miete zahlen.

zentralplus: Man könnte aber auch dafür sorgen, dass die Angebotsmieten nicht so hoch sind. SP-Nationalrätin Jacqueline Badran rechnet gerne vor, dass die Vermieter aufgrund ungerechtfertigt hoher Mietpreise jährlich rund zehn Milliarden Franken verdienen, die eigentlich den Mieterinnen zustehen würden.

Gmünder: Es ist nicht auszuschliessen, dass die maximale Rendite, die das Mietrecht gewährt, manchmal überschritten wird. Allerdings sind die Annahmen, die zur Berechnung dieser zehn Milliarden führen, nicht unumstritten. Auch bezieht sich diese Zahl primär auf die Bestandesmieten und weniger auf die Angebotsmieten. Und mit der Formularpflicht, die es auch in Luzern gibt, haben Mieter ein Instrument, mit dem sie sich gegen zu hohe Mieten wehren können. Das ist begrüssenswert, weil es den Markt transparenter macht. Eine zu starke Regulierung der Angebotsmiete hingegen schreckt Investoren ab. Beispiele aus Genf oder neuerdings auch Basel belegen das. Und das ist für den Wohnungsbau beziehungsweise die benötigte Angebotsausweitung alles andere als hilfreich.

«Der Flächenkonsum pro Kopf ist in gemeinnützigen Wohnungen deutlich kleiner als in normalen Mietverhältnissen oder beim Eigentum.»

Markus Gmünder

zentralplus: Sie haben viel über das Angebot gesprochen. Gibt es auch andere Rezepte gegen die Wohnungsnot?

Willimann: Es gibt da verschiedene Ansätze. Wir müssen zum Beispiel auch über Wohnformen sprechen. Die Zahl der Einpersonen-Haushalte nimmt weiterhin zu und trägt wesentlich zum Anstieg des Pro-Kopf-Wohnflächenkonsums bei. Gleichzeitig sind die Einpersonen-Haushalte eine der Ursachen, die zu mehr Einsamkeit in unserer Gesellschaft führen. Bei der Diskussion von Wohnformen geht es demnach um raumplanerische und soziale Aspekte.

zentralplus: Es gibt politische Forderungen von linker Seite, dass Vermieterinnen eine Mindestbelegung vorschreiben. In einer 4-Zimmerwohnung müssten dann zum Beispiel mindestens drei Personen leben. Politisch ist so ein starker Eingriff ins Privatleben wohl chancenlos, aber würde das helfen?

Gmünder: Ja, das würde sicher dazu beitragen, dass Wohnungen nicht «unternutzt» werden. Und gerade Wohnbaugenossenschaften schreiben oft eine Mindestbelegung der Wohnung vor. Der Flächenkonsum pro Kopf ist in gemeinnützigen Wohnungen dadurch deutlich kleiner als in normalen Mietverhältnissen oder beim Eigentum. Sie allein werden das Problem nicht lösen, aber gemeinnützige Wohnbauträger können hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.

Willimann: Die Allgemeine Baugenossenschaft Luzern (ABL) hat die Praxis, dass sie Personen in unternutzten Wohnungen nach Möglichkeit einen Wohnungswechsel innerhalb der Siedlung anbietet. Sie kann dies aufgrund der Grösse und des guten Wohnungsmix tun.

«Man kann kein Wirtschaftswachstum verfolgen, ohne auch eine entsprechende Wohnraumstrategie zu haben.»

Ivo Willimann

zentralplus: Die Politik muss also Wohnbaugenossenschaften fördern?

Gmünder: Das wäre sinnvoll und geschieht bereits vielerorts. Die Finanzierung eines Projekts ist für viele Genossenschaften selten ein Problem. Die grosse Herausforderung für Genossenschaften ist es aber, an Bauland zu kommen. Und hier können Städte und Gemeinden eine wichtige Rolle spielen, indem sie Bauland im Baurecht an gemeinnützige Wohnbauträger abgeben. Auch eine Abgabe im Baurecht an andere institutionelle Wohnbauträger in Kombination mit bestimmten Auflagen ist denkbar.

Zu den Personen

Prof. Dr. Markus Gmünder ist Co-Leiter am Kompetenzzentrum Regionalökonomie der HSLU. Zudem ist er Co-Programmleiter des MAS Gemeinde-, Stadt- & Regionalentwicklung. Er hat an der Universität Basel Geografie studiert und sich später auf die Fächer Wirtschaftsgeografie und Volkswirtschaft spezialisiert.

Ivo Willimann arbeitet als Dozent am Kompetenzzentrum Regionalökonomie. Er hat an der ETH Zürich Naturwissenschaften studiert und arbeitet seit 20 Jahren an der HSLU. In dieser Zeit hat er den Wohnkalkulator entwickelt. Das ist ein Analyseinstrument, das Städte und Gemeinden bei Strategieprozessen, zum Beispiel bei der Orts- oder der Finanzplanung oder auch bei der Quartierarbeit unterstützt.

zentralplus: Was hat die Gemeinde davon, Land im Baurecht abzugeben?

Gmünder: So können Gemeinden das Baurecht an Bedingungen knüpfen, zum Beispiel, dass genügend preisgünstige Wohnungen gebaut werden. Oder sie können einen Dichtebonus gewähren, wenn dafür ein gewisser Anteil an preisgünstigen Wohnungen gebaut wird. Das Baurecht gibt den Städten und Gemeinden – sofern sie über eigenen Boden verfügen – Steuerungsmöglichkeiten. Durch eine Abgabe im Baurecht anstelle eines Verkaufs des Bodens behalten sie die Kontrolle.

Willimann: Ich habe noch eine letzte Anmerkung. In der Schweiz hat man in den letzten Jahren viel dafür gemacht, um als Wirtschaftsstandort attraktiv zu sein. Luzern ist mit seiner Tiefsteuerstrategie ein gutes Beispiel dafür. Doch mit den Firmen ziehen auch neue Arbeitskräfte in die Schweiz, die Wohnraum benötigen. Das sollte in Zukunft stärker miteinander gedacht und besser aufeinander abgestimmt werden. Man kann kein Wirtschaftswachstum verfolgen, ohne auch eine entsprechende Wohnraumstrategie zu haben.

Verwendete Quellen
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