Papierfabrik sucht Untermieter

Perlen Papier: So kämpft die Traditionsfirma um ihr Leben

Die Papierfabrik Perlen gehört zur Industriegeschichte der Region. (Bild: Perlen Papier AG)

Im Kanton Luzern ringt ein Industriebetrieb in einer immer papierloseren Welt ums Überleben: die letzte grosse Papierfabrik der Schweiz in Perlen. Nun sollen neue Firmen auf dem Areal einziehen.

Ihre Strategie scheint aufzugehen. Wie die CPH Group diese Woche schreibt, sinke das Angebot auf dem internationalen Papiermarkt. «Mitbewerber kündigten Schliessungen von Anlagen an, was zu einem ausgeglicheneren Angebots- und Verbrauchsverhältnis führen sollte.» Sparen und Optimieren sei für die letzte grosse Schweizer Papierfabrik in Perlen aber weiter wichtig.

Die CPH Group gibt es erst wenige Wochen. Im Juni hat die Generalversammlung der Industriegruppe Chemie + Papier Holding die 200 Jahre alte Firma aufgespalten. In der CPH Group befinden sich jetzt die Sparten Chemie und Verpackung, die beide Gewinne machen. Die schwächelnde «Papieri» und das gigantische Industrieareal in Perlen sind nun Teil der Perlen Industrieholding AG.

Der Grund: Bisher hatte der schrumpfende Markt für Zeitungsdruck- und Magazinpapier Anlegerinnen davon abgehalten, ihr Geld in die CPH zu stecken. Jetzt können sie Aktien nur für Chemie und Verpackung kaufen. Vor der Abspaltung machte Papier nicht einmal die Hälfte des Umsatzes des Unternehmens aus. Was viel über den Zustand der Branche verrät.

Luzerner Papierfabrik ist in der Schweiz Marktführer

Denn: Die Papierfabrik Perlen ist Marktführer. Die Hälfte des gedruckten Papiers in der Schweiz stammt von ihren zwei Papiermaschinen. Dort produzieren 360 Mitarbeiter aus 500’000 Tonnen Altpapier und Holzschnitzel jährlich 560’000 Tonnen neues Papier. Das «Migros-Magazin», die «Coopzeitung» und die «Luzerner Zeitung» gehören zu den Kunden.

Die Papiermaschine PM7 ist eine der modernsten Produktionsanlagen für Zeitungspapier. Sie läuft seit 2010. (Bild: Website Perlen Papier)

Auch in Europa hält Perlen 2024 laut Medienberichten einen Marktanteil von zehn Prozent – bei einer Konkurrenz von 720 Papierfabriken. Ein Drittel des Papiers aus Perlen landet zum Beispiel in Deutschland. Der nördliche Nachbar hat die Schweiz als wichtigsten Absatzmarkt der «Papieri» längst überholt. Was einen einfachen Grund hat.

Um den gleichen Absatz zu erzielen, muss die Papierfabrik ihren Wirkungskreis ausweiten. Durch den Vormarsch von Onlinemedien sinkt die Nachfrage nach Zeitungspapier hierzulande nämlich drastisch, ebenso wie die Preise. Ein CPH-Sprecher meinte kürzlich zwar: «Die Nachfrage nach Magazinpapieren wird so schnell nicht verschwinden.» In Wahrheit kämpft der Luzerner Traditionsbetrieb aber ums Überleben.

Umsätze sinken unaufhörlich, Fabrik reagiert

Der Umsatz der Papierfabrik brach 2023 um ein Drittel auf 262 Millionen Franken ein, womit sich der Trend der vergangenen 15 Jahre fortsetzte. Auch im ersten Halbjahr 2024 machte die Firma ein Minus von über 30 Millionen Franken. Trotz dieser Verluste ist die «Papieri» Perlen die letzte grosse Überlebende der Schweizer Papierindustrie. Die Branche zählte im Jahr 1980 noch 30 Firmen. Eine davon war die Papierfabrik in Cham, die 2015 geschlossen wurde.

In der ehemaligen Papierfabrik in Cham gibt es heute Lofts und Büros. (Bild: Papieri Cham)

Damit die 150-jährige Geschichte des Traditionsbetriebs in Perlen nicht auf die gleiche Weise endet, hat die Geschäftsführung die Reissleine gezogen. Neben der Abspaltung und Sparoffensive verfolgt die Geschäftsführung die Strategie des «Last man standing».

Das heisst es, die «letzte Person im Markt» zu sein

Die Strategie funktioniert wie folgt: Während die Papierproduktion für die Konkurrenz im Ausland immer teurer wird, weil die Nachfrage und Preise sinken, hält Perlen die Maschinen am Laufen und versucht durch Einsparungen, Kostenführer zu werden. Sprich: möglichst billig zu sein.

Durch die hohen Eintrittsbarrieren wird keine neue Konkurrenz ins Papiergeschäft einsteigen, alte Firmen werden aus Preisdruck gehen oder umsatteln. In ihre Nischen schlüpft die Papierfabrik Perlen. Der Kuchen wird insgesamt kleiner – das Stück für die Luzerner aber im besten Fall grösser. Und das mit einem Angebot, das punkto Nachhaltigkeit alle übertreffen soll.

Papierfabrik verbraucht mehr Energie als die Stadt Luzern

Vorwarnung: Wohl jede moderne Firma will Musterschülerin in Nachhaltigkeit sein. Die Papierfabrik Perlen ist keine Ausnahme. Ihre Zahlen – nach eigenen Angaben – lassen aber staunen: 84 Prozent weniger CO₂-Ausstoss seit 2013, 88 Prozent weniger Erdgasverbrauch. Im Vergleich zur Konkurrenz soll der CO₂-Fussabdruck ein Viertel tiefer sein, und die Dampfenergie stammt aus der Kehrichtverbrennungsanlage Renergia nebenan (zentralplus berichtete).

Links ein Teil des «Papieri»-Areals, rechts am Reusskanal die kastenförmige Renergia. Sie verbrennt den Güsel der Zentralschweiz. (Bild: Google Earth)

Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Papierindustrie hat es bitter nötig, grün zu werden. Die Trocknung der Papierbögen frisst enorm viel Energie. Insgesamt verbraucht die Papierfabrik Perlen eineinhalbmal so viel Strom wie die Stadt Luzern. Und fast doppelt so viel wie das Stahlwerk der Swiss Steel in Emmenbrücke.

So lange gibt es Perlen Papier schon

Dieser Verbrauch stammt nicht aus einer Halle. Auf 460’000 Quadratmetern gibt es auf dem historischen Industrieareal in Perlen zwei Papiermaschinen, zwei Wasserkraftwerke, ein Biomassekraftwerk, eine Kläranlage, vier meist inaktive Dampfkessel, ein Altpapierlager, ein Holzmahlwerk und ein Schienennetz von 13 Kilometern.

Ihren Ursprung hat die Anlage im Jahr 1873. Der Krienser Maschinenfabrikant August Bell hat den Reusskanal und ein Wasserkraftwerk gebaut und anschliessend eine Holzstofffabrik gegründet: die Geburtsstunde der Papierfabrik Perlen. Neun Jahre später stiegen die Gebrüder Schnorf ein. Die Gründer der CPH führten seit 1818 eine Firma für Schwefelsäure, Eisen- und Kupfervitriol zur Schwärzung von Leder am Zürichsee. In den 60er-Jahren eröffnete der Konzern die Verpackungssparte.

Andere Firmen sollen auf dem Areal einziehen

Diese Firmengeschichte erhält nun ein neues Kapitel. Wie der Mediensprecher Oliver Seifried auf Anfrage schreibt, werde der Platz- und Ressourcenbedarf auf dem Industrieareal mittelfristig sinken. Dies schaffe Möglichkeiten für «andere industrielle Nutzungen». Die Firma suche nach «komplementären industriellen Aktivitäten».

Damit meint der Mediensprecher Firmen, die zur Arbeit der Papierfabrik passen. Dies könnten zum Beispiel Energieversorger, Firmen in der Verbrennung oder Reinigung, Wasserversorgung, Faserstoffnutzer, Recycler, IT-Firmen, Techdienstleister oder Infrastrukturunternehmen sein. 90’000 Quadratmeter Fläche will die Papierfabrik «entwickeln». Das entspricht einer Fläche von 13 Fussballfeldern.

Mehr will der Sprecher zum aktuellen Zeitpunkt nicht sagen. Peter Schildknecht, CEO der Perlen Industrieholding AG, gab in einer Mitteilung kürzlich aber einen Hinweis. Die neuen Firmen sollten «die Kostenführerschafts-Strategie des Papierbereichs unterstützen.» Sprich: Sie sollen helfen, dass Perlen günstig Papier produzieren kann. Ein Energieversorger, der günstig Strom liefert, wäre denkbar.

Eine erste Möglichkeit ergab sich vergangenes Jahr. Das Bundesamt für Energie (BFE) war auf der Suche nach geeigneten Standorten für ein Reservegaskraftwerk. Das Areal der Papierfabrik Perlen wurde als einer von 18 möglichen Standorten ausgewählt. CEO Schildknecht verzichtete auf eine Bewerbung, denn: «Das finanzielle Risiko ist uns viel zu gross.»

Zukunft der Papierfabrik in Luzern steht unter guten Sternen

Vergangenes Jahr hat die CPH trotz der Verluste auf dem Papiermarkt mit allen drei Sparten – Papier, Chemie, Verpackung – das «zweitbeste Geschäftsjahr in der Firmengeschichte» geschrieben. Ob die neu gegründete Perlen Industrieholding AG ohne die Zugpferde Chemie und Verpackung überleben kann, muss sich jetzt zeigen.

Die Gesellschaft betont, dass die neue AG mit einer Eigenkapitalquote von 80 Prozent nahezu schuldenfrei sei. Und von einem Familien-Ankeraktionär unterstützt werde. Es handelt sich um Nachkommen der Gründerfamilie. Sie werden der letzten grossen Papierfabrik der Schweiz helfen durchzuhalten. Bis der Markt genug geschrumpft ist.

Verwendete Quellen
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