In sechs Monaten droht Konkurs

Die letzte Stundung der Nord Stream 2 hat geschlagen

Droht die Pipeline zum millionenteuren Rosthaufen zu werden? (Bild: Nord Stream 2 / Nikolai Ryutin)

Ein Zuger Einzelrichter hat den Konkurs der Nord Stream 2 AG erneut aufgeschoben. Das ist die letzte Gnadenfrist. Findet das Unternehmen mit Sitz in Steinhausen in einem halben Jahr keine Lösung, verkommt das Milliardenprojekt zum Rosthaufen.

«Engagiert», «verlässlich», «sicher». So wird die Nord-Stream-2-Pipeline auf ihrer Website angepriesen. Das 9,5-Milliarden-Euro-Projekt sollte Erdgas aus Russland für 26 Millionen europäische Haushalte liefern. Doch «sicher» ist die Nord Stream 2, welche ihren Firmensitz in Steinhausen hat, nicht mehr. Nicht mal der Slogan lässt sich noch lesen, die Website ist seit rund zwei Jahren offline. Und die 1234 Kilometer lange Rohrleitung von Russland nach Deutschland droht zur Bauruine zu werden.

Das drohende Todesurteil der Pipeline liest sich im Zuger Amtsblatt gänzlich unspektakulär: «Verlängerung der Nachlassstundung Nord Stream 2 AG». Eine Nachricht, die Interessierte so bereits mehrmals gelesen haben (zentralplus berichtete). Das Déjà-vu-Gefühl hat diesmal aber Folgen: Der Entscheid des Einzelrichters vom 26. Juni ist die dritte Verlängerung der definitiven Nachlassstundung, in der sich die Nord Stream 2 AG seit 10. Januar 2023 befindet. Und die letztmögliche.

In sechs Monaten muss Kanton Konkurs eröffnen

Eine Nachlassstundung ist ein juristisches Verfahren, um einen drohenden Konkurs zu vermeiden. In dieser Zeit kann die Firma nicht betrieben werden und darf weitgehend normal weiter geschäften. Dies unter der Aufsicht eines sogenannten Sachwalters, der dem Gericht und den Gläubigern Zwischenberichte liefert. Die Nachlassstundung wird jedoch nur gewährt, wenn Aussicht auf eine Sanierung oder Einigung besteht. Ewig haben die Unternehmen dafür nicht Zeit. «In besonders komplexen Fällen» kann die Nachlassstundung höchstens 24 Monate verlängert werden, heisst es im Schweizer Konkursrecht. Eine Gnadenfrist, die für die Nord Stream 2 AG in einem halben Jahr abläuft.

«Die definitive Stundung ist letztlich ein Provisorium, das erst durch die Erreichung des Stundungsziels oder des Scheiterns sein Ende findet», schreibt das Zuger Kantonsgericht auf Anfrage, ohne näher auf den Fall einzugehen. Wird das Unternehmen bis zum Ablauf der Frist nicht saniert, eröffnet das Kantonsgericht von Amtes wegen den Konkurs.

Verhandlungen laufen

Ob die Nord Stream 2 AG das drohende Ende abwenden kann, ist unklar. Eine Medienanfrage von zentralplus beim Unternehmen sowie der Eigentümerin Gazprom, welche mehrheitlich dem russischen Staat gehört, blieb unbeantwortet. Auch ihr Sachwalter, Philipp Possa der Transliq AG, hält sich bedeckt. Weder zum Verfahren noch zu den Optionen der Nord Stream 2 AG könne er Stellung nehmen. «Um die laufenden Verhandlungen nicht zu gefährden, können wir Ihnen zu deren Inhalt und Zielsetzung keine Informationen zukommen lassen.»

Damals sah es für die Nord Stream 2 noch gut aus: Verwaltungsratspräsident Gerhard Schröder unterschreibt ein Rohr aus der Fertigung für das Nord-Stream-2-Projekt (21. November 2016). Im Hintergrund: Geschäftsführer Matthias Warnig. (Bild: Archivbild: Nord Stream 2 / Wolfram Scheible)

Verhandlungen laufen also, um den Untergang abzuwenden. Ob diese in sechs Monaten zum Abschluss kommen, wird sich zeigen. Der Kanton Zug ist dabei nicht involviert. Auf die entsprechende Frage antwortet Volkswirtschaftsdirektorin Silvia Thalmann-Gut (Mitte), der Kanton habe keine aktuellen Informationen zum Unternehmen. Der Fall werde direkt über das Kantonsgericht bearbeitet.

Nachlassstundung kostete bisher über eine Million Franken

In den über zwei Jahren, in denen die Nord Stream 2 inzwischen gegen den Konkurs ankämpft, hat sie 8500 Franken an Gerichtskosten und fast 1,1 Millionen Franken Kosten fürs Honorar ihres Sachwalters angehäuft. Rechnungen, die durch einen Kostenvorschuss an die Zuger Gerichte bezahlt worden sind. Wer diesen geleistet hat, ist unbekannt. Die Nord Stream 2 wie auch deren Sachwalter äussern sich dazu auf Anfrage nicht. Der «Zuger Zeitung» zufolge soll das Mutterunternehmen Gazprom diese bezahlt haben.

Zudem hat die deutsche Bundesregierung laut deutschen Medienberichten mehrere Tausend Ersatzrohre der Nord Stream 2 AG abgekauft. Kostenpunkt gemäss «Business Insider»: 70 Millionen Euro. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) kommentiert die Zahlen jedoch nicht, da die Verträge vertraulich seien.

Doch: Die Nord Stream 2 AG kann nicht auf ihre Gelder zugreifen. Als Russland am 21. Februar 2022 die umstrittenen ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk als eigenständige Staaten anerkennt, spricht US-Präsident Joe Biden Sanktionen aus. Mit dem Einmarsch in die Ukraine drei Tage später landen die Nord Stream 2 und ihr Geschäftsführer Matthias Warnig auf der Sanktionsliste der USA.

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Nicht nur die Nord Stream 2 litt nach dem Einmarsch Russlands. Unbekannte machten sich Ende März 2022 an der Beschriftung der Firma Nord Stream zu schaffen. (Bild: wia)

Abgänge, Wechsel, Verschwiegenheit

Kurz nach dem Eintrag auf der Sanktionsliste beginnen für das Erdgasunternehmen chaotische zwei Jahre. Anfang März 2022 entlässt die Firma über 100 Angestellte. Wenige Wochen später tritt Finanzchef Paul Corcoran zurück, wieso, lässt er offen. Auch Barbara Käch tritt ab, die an Generalversammlungen bis anhin jeweils das Mutterunternehmen Gazprom vertrat. Kurz vor Start der provisorischen Nachlassstundung kehrt auch Fedor Strahl, bis anhin «Head of CEO Office», dem Unternehmen den Rücken. Mitten während der Nachlassstundung verlagert die Nord Stream 2 ihren Firmensitz von Zug nach Steinhausen. Ein Schritt, der nach Aussagen des Sachwalters Philipp Possa so oder so geplant gewesen sei.

Ebenfalls wirft die Revisionsstelle Pricewaterhouse Coopers (PwC) kurz vor Verlängerung der provisorischen Nachlassstundung das Handtuch. Sie sei «nicht länger in der Lage, das Mandat weiterzuführen», wie es im Rücktrittsschreiben an den Verwaltungsratspräsident und früheren deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder heisst. Die genauen Gründe lässt PwC offen. Auf Nachfrage verweist das Unternehmen auf das Berufs- und Revisionsgeheimnis. Gemeldet wird der Rücktritt dem Zuger Handelsregister aber erst drei Monate später. Weil der Verwaltungsrat der Nord Stream 2 dies nicht tat, kümmerte sich die PwC später selbst darum.

Im interaktiven Zeitstrahl sind die letzten zweieinhalb Jahre zusammengefasst:

Es folgen weitere Verlängerungen der Nachlassstundung und weitere Abgänge von Verwaltungsräten. Im Sommer 2023 geht Pressesprecher Ulrich Lissek, eine Nachfolgerin ist unbekannt. Kurz darauf tritt auch der langjährige CEO Matthias Warnig offiziell ab. Aufgehört habe der damals 67-Jährige bereits Ende März, wie die «Stuttgarter Zeitung» berichtete. Eine Nachfolge zu finden, gestalte sich schwer, schrieb sie damals. Wer inzwischen die Geschäfte leitet, ist unklar. Im Handelsregister finden sich darauf keine Hinweise. Die zwei als «Direktoren» aufgeführten Personen waren auf der damaligen Website als «Chief Commercial Officer» und «Chief Technical Officer» vermerkt. Inzwischen arbeiten – gemäss «SRF» – noch rund 20 Personen für das Unternehmen, die vor allem die Pipeline sichern sollen.

Pipeline liegt ungenutzt auf Meeresgrund

Für den Unterhalt der rund 200’000 Stahlrohre, die grösstenteils unter Wasser liegen, ist noch immer die Nord Stream 2 verantwortlich. Bis zu den Anschlägen im September 2022 in der Ostsee war die Pipeline technisch betriebsbereit und auch schon mit Erdgas befüllt. Weil die deutsche Bundesregierung im Februar 2022 das Zertifizierungsverfahren stoppte, wurde sie jedoch nie kommerziell in Betrieb genommen.

Am 6. September 2021 haben Spezialisten auf dem Verlegeschiff Fortuna das letzte Rohr der Nord-Stream-2-Pipeline verschweisst und versenkt. So wie es derzeit aussieht, kommt die Leitung nicht in Betrieb. (Bild: Nord Stream 2 / Axel Schmidt)

Repariert sind die angeschlagenen Erdgasleitungen aber noch immer nicht. Wie die britische Tageszeitung «The Times» im März 2024 schreibt, sollten allein die Kosten für die Reparatur und der Ersatz des Gases in der kaputten Pipeline der Nord Stream 1,2 bis 1,35 Milliarden Euro kosten. Zudem scheint das Unternehmen Probleme mit seinen Versicherungen zu haben: Laut der Zeitung verklagt Nord Stream ihre Versicherer auf etwa 400 Millionen Euro.

Beteiligte haben Projekt abgeschrieben

Grosse Hoffnungen, dass durch die Rohre bald Erdgas verteilt wird, hatten beteiligte Unternehmen jedoch bereits vor den Explosionen nicht mehr. Wie die «NZZ» Anfang September 2022 berichtete, hätten die finanziell beteiligten europäischen Energieunternehmen Engie (Frankreich), OMV (Österreich), Shell (Grossbritannien), Uniper und Wintershall Dea (beide Deutschland) das Projekt bereits abgeschrieben.

Und auch für die deutsche Bundesregierung ist gemäss einer Sprecherin die Zertifizierung der Pipeline kein Thema mehr, wie sie gegenüber zentralplus sagt: «Deutschland hat sich in der Gasversorgung nach dem Stopp der russischen Gaslieferungen breit aufgestellt und bezieht kein russisches Pipeline-Gas mehr.» Was mit den Rohren auf deutschem Grund passiert, sollte die Nord Stream 2 Konkurs gehen, lässt sie offen. Die Nord-Stream-2-Pipeline sei ein «privatwirtschaftliches Projekt», woran die Bundesregierung nicht beteiligt sei.

Auch wenn die Nord Stream 2 also innert sechs Monaten einen Weg finden sollte, dem Konkurs zu entkommen, ist unklar, ob die Leitungen zeitnah repariert würden und wenn, wer das Gas überhaupt abnähme. Das «sichere» Milliardenprojekt könnte zu einer Bauruine verkommen, die vielleicht noch Dorsche und Hechte der Ostsee als Versteck erfreuen könnte.

Verwendete Quellen
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