Gemeinden müssen sich gedulden

Luzerner Gemeinden schimpfen über Tempo-30-Stopp des Kantons

Unter anderem ist man in Vitznau mit der aktuellen Tempo-30-Strategie des Kantons gar nicht zufrieden. (Bild: jal)

Der Kanton Luzern hat vorübergehend sämtliche Tempo-30-Projekte auf Eis gelegt. Gemeinden, die seit Jahren auf eine Temporeduktion warten, sind unzufrieden.

Gross war der Unmut mehrerer Stadtluzerner Quartiervereine, als sie vom Kanton darüber in Kenntnis gesetzt wurden, dass dieser wegen mehrerer politischer Vorstösse vorerst sämtliche Tempo-30-Projekte im Kanton auf Eis legt (zentralplus berichtete). Mit einer Medienmitteilung machten die Quartiervereine ihrem Ärger Luft.

Das Tempo-30-Moratorium sorgt aber auch ausserhalb der Stadtgrenzen für Unverständnis. Nebst der Stadt Luzern haben 16 weitere Gemeinden beim Kanton ein Gesuch für eine Temporeduktion auf Kantonsstrassen durch ihr Dorf eingereicht (zentralplus berichtete).

Malters wünschte sich Tempo 30 schon 2014

Eine davon ist Malters. Im Jahr 2014 hat der Kanton Luzern die Luzernerstrasse, die in Malters mitten durch den Dorfkern führt, lärmsaniert. Weil Massnahmen zur Reduktion des Lärms auf der Luzernerstrasse jedoch aus Sicht des Kantons unverhältnismässig gewesen wären, hat sich dieser eine Erleichterung erteilt. Eine Praxis, die der VCS Luzern als «Papiersanierung» kritisiert, da es auf den sanierten Strassen nur auf dem Papier, nicht aber in der Realität leiser werde.

Der VCS machte darum eine Einsprache gegen die Lärmsanierung in Malters und schlug zur Lärmreduktion Tempo 30 vor. Dem Gemeinderat gefiel die Idee, obwohl ihn das Lärmschutzargument nicht restlos überzeugte. So schrieb der Gemeinderat in der damaligen Stellungnahme zur VCS-Einsprache: «Allerdings kann sich der Gemeinderat Malters vorstellen, dass im Bereich Kreuzplatz [...] eine Tempo­-30-Zone aus Überlegungen der Verkehrssicherheit sowie zur Verflüssigung des Verkehrs durchaus Sinn machen und mit einfachen Mitteln umgesetzt werden könnte.» Der Gemeinderat bat den Kanton darum um die entsprechenden Abklärungen.

«Es ist unverständlich, dass ein Prozess, der nun seit 2014 läuft und für dessen Umsetzung seit Juni 2020 alle rechtlich notwendigen Unterlagen vorliegen, durch eine Motion im Jahr 2023 gestoppt wird.»

Marcel Lotter, Gemeindeammann Malters

Doch lange geschah nichts. Erst als das Bundesgericht Tempo 30 als adäquate Massnahme zum Lärmschutz anerkannte, kam wieder Bewegung in die Sache. Gemeindeammann Marcel Lotter beschreibt auf Anfrage von zentralplus: «Mit Schreiben vom 2. Mai 2019 hat sich der Gemeinderat Malters positiv zu Tempo 30 im Dorfkern geäussert und seinem Wunsch Ausdruck gegeben, dass Tempo 30 rasch umgesetzt werden kann.»

Malters muss sich auch nach neun Jahren gedulden

2020 bestätigte ein externes Gutachten die Zweck- und Verhältnismässigkeit – die entscheidenden Kriterien für eine Temporeduktion – einer neuen Tempo-30-Zone im Zentrum. Die Einführung dieser Zone lässt aber bis auf heute auf sich warten und wurde nun gar auf Eis gelegt.

Malters wartet seit knapp zehn Jahren auf Tempo 30 im Zentrum. (Bild: Gemeinde Malters)

Das kommt in Malters gar nicht gut an. Marcel Lotter findet: «Es ist unverständlich, dass ein Prozess, der nun seit 2014 läuft und für dessen Umsetzung seit Juni 2020 alle rechtlich notwendigen Unterlagen vorliegen, durch eine Motion im Jahr 2023 gestoppt wird.» Er verweist darauf, dass die Umsetzung der geforderten Temporeduktion unter geltendem Recht möglich wäre. «Mit dem Moratorium hebt der Regierungsrat mögliche zukünftige politische Entwicklungen über geltendes Recht, was staatspolitisch mindestens als fraglich bezeichnet werden muss.»

Lotter macht zudem darauf aufmerksam, dass der Kreuzplatz im Dorfkern von Malters als Unfallschwerpunkt gälte. Da die Sichtverhältnisse vor Ort eingeschränkt seien, lasse sich dieser Unfallschwerpunkt gemäss Verkehrsnormen nur mittels Temporeduktion beheben.

Vitznau will Tempo 30 – sofort

Ähnlich wie in Malters klingt es auch im Gemeindehaus Vitznau. Dort ist die Vorgeschichte von Tempo 30 zwar nicht so lange – reicht aber auch schon einige Jahre zurück. Bereits im Herbst 2020 beurteilte der Kanton Luzern eine Temporeduktion auf der Seestrasse im Zentrum Vitznaus als zweck- und verhältnismässig. Im Juni dieses Jahres jedoch informierte der Kanton den Vitznauer Gemeinderat darüber, dass die Tempo-30-Zone aufgrund politischer Vorstösse doch nicht umgesetzt werden könne.

«Der Gemeinderat beurteilt es als stossend, dass der Kanton die zügige Umsetzung notwendiger und zweckmässiger Sicherheits- und Lärmsanierungsmassnahmen verzögert.»

Gemeinderat Vitznau

In einer Medienmitteilung im Juli kritisiert der Vitznauer Gemeinderat den kantonalen Entscheid. «Der Gemeinderat kann diese Begründung aus diversen Gründen nicht nachvollziehen.» Einerseits, weil die Lärmgrenzwerte bei zahlreichen Häusern im Vitznauer Zentrum überschritten würden. Anderseits, weil eine Temporeduktion die Verkehrssicherheit erhöhen würde.

«Der Gemeinderat beurteilt es als stossend, dass der Kanton die zügige Umsetzung notwendiger und zweckmässiger Sicherheits- und Lärmsanierungsmassnahmen verzögert», heisst es im Schreiben des Gemeinderats. Dieser will sich den Entscheid des Kantons aber nicht gefallen lassen. Er pocht jetzt gar auf eine umgehende Umsetzung der Temporeduktion. Ursprünglich hätte diese erst im Zuge der Sanierung der Kantonsstrasse im Jahr 2026 erfolgen sollen. «Gemäss Vorprojekt kann eine solche Temporeduktion in Vitznau ohne bauliche Massnahmen problemlos sofort umgesetzt werden», schreibt der Gemeinderat.

Gelassenheit in Rothenburg, Bedauern in Luzern

Mit Rothenburg und der Stadt Luzern haben derzeit zwei weitere Gemeinden Gesuche um eine Temporeduktion auf Kantonsstrassen beim Kanton hängig. Ein erstes Gesuch für eine Tempo-30-Zone im Flecken reichte Rothenburg 2019 ein. Im Juni 2022 folgte ein weiteres Gesuch für eine Temporeduktion vom Flecken bis zum Kreisel Konstanz. Auch hier sind die Verkehrssicherheit sowie die Aufwertung des Zentrums die ausschlaggebenden Gründe für die beiden Gesuche.

«Tempo 30 trägt im stark frequentierten Stadtzentrum zur Verkehrsberuhigung und Verbesserung der Aufenthaltsqualität bei.»

Milena Scherer, Co-Leiterin Mobilität Stadt Luzern

Das erste Gesuch hat der Kanton in die Planung aufgenommen, eine Antwort auf das zweite Gesuch ist noch ausstehend. In Rothenburg nimmt man das verfügte Tempo-30-Moratorium gelassen zur Kenntnis. «Da wir bis heute keine anderweitige Information erhalten haben, gehen wir davon aus, dass der Kanton die Tempo-30-Zone in der Planung Flecken weiter berücksichtigt», schreibt Valentin Kreienbühl, Ressortleiter öffentliche Infrastruktur, auf Anfrage.

In der Stadt Luzern sind es eine ganze Reihe von Strassen, auf denen sich die Stadt eine Temporeduktion wünscht (zentralplus berichtete). Während diese im unteren Teil der Bernstrasse schon umgesetzt ist, ist die geplante Tempo-30-Zone auf der Baselstrasse derzeit wegen Beschwerden blockiert (zentralplus berichtete). Gesuche für Tempo 30 auf der Zentral- und Bundesstrasse, dem Bahnhofplatz, der Seebrücke, dem Schweizerhofquai sowie der Halden-, Zürich- und Alpenstrasse sind beim Kanton hängig und liegen jetzt auf Eis.

Milena Scherer, Co-Leiterin Mobilität bei der Stadt Luzern, erklärt auf Anfrage: «Tempo 30 trägt im stark frequentierten Stadtzentrum zur Verkehrsberuhigung und Verbesserung der Aufenthaltsqualität bei.» Im Gegensatz zu baulichen Massnahmen sei Tempo 30 einfach umsetzbar und kostengünstig. Zum Planungsstopp des Kantons meint sie: «Wir haben diese Information mit Bedauern zur Kenntnis genommen.»

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Marcel Lotter
  • Strassenlärmkataster des Kantons Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Valentin Kreienbühl
  • Medienmitteilung der Gemeinde Vitznau
  • Schriftlicher Austausch mit Milena Scherer
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