«Wir lassen uns nicht zum alleinigen Sündenbock machen»
Den Luzerner Mittellandseen geht es schlecht, sie müssen seit Jahrzehnten belüftet werden. Das veranlasste den ehemaligen Grünen-Kantonsrat Andreas Fischer zu Kritik an Luzerner Landwirten. Diese halten nun dagegen.
Seit über 40 Jahren werden der Sempacher-, Baldegger- und Hallwilersee künstlich belüftet – und noch viele weitere Jahre sollen folgen. Das hat Andreas Hofer, alt-Kantonsrat, Berufsfischer und Vorstandsmitglied von Pro Natura, zu einer geballten Kritik auf zentralplus veranlasst. Vor allem die Luzerner Bauern und deren Lobby kriegten ihr Fett weg.
Raphael Felder, Geschäftsführer des Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverbandes und Parteileitungsmitglied der Mitte Hitzkirch, sieht das erwartungsgemäss anders. Er spricht auf Anfrage von «teilweise ideologisch gefärbten Aussagen», die «nicht immer den Fakten entsprechen». Eine Stellungnahme zu Hofers Kritik in 4 Punkten.
Punkt 1: Die Seebelüftung sei reine Symptombekämpfung, die auch nach vierzig Jahren nicht zur Gesundung der Luzerner Mittellandseen geführt habe, sagt Andreas Hofer.
Felder räumt ein, dass am Seegrund tatsächlich kein Sauerstoff vorhanden sei – trotz Belüftung. Und dass auch die angepeilten Sauerstoffwerte des Tiefenwassers von 4 mg pro Kubikmeter während fast der Hälfte des Jahres nicht eingehalten werden. Trotzdem aber habe die Phosphorbelastung in den letzten Jahrzehnten «deutlich» reduziert werden können – «im Baldeggersee von 500 mg pro Kubikmeter im Jahr 1974 auf 19 im Jahr 2024».
«Viele Massnahmen werden umgesetzt»
Punkt 2: Hauptverursacher für die Überdüngung der Seen sowie für deren schleppende Genesung ist gemäss Hofer die Landwirtschaft. Was an Phosphor nach wie vor in Sempacher-, Baldegger- und Hallwilersee gelange, sei fast ausschliesslich der Landwirtschaft anzulasten.
Das verneint Felder nicht direkt, vielmehr verweist er darauf, dass die Landwirtschaft sich seit dem ersten Phosphorprojekt ab 1999 aktiv an der Sanierung der Seen beteilige. «Viele Massnahmen wurden umgesetzt und Einschränkungen in Kauf genommen.» Dabei stütze man sich stets auf die Vorschläge aus der Forschung.
Zudem sei die Natur komplex und nicht alle Zusammenhänge seien erforscht. So wisse etwa niemand, warum im Hallwilersee über die letzten beiden Jahre die Phosphorwerte wieder angestiegen seien – von 13 mg auf 23 mg pro Kubikmeter. Und das, obschon sämtliche Massnahmen seitens der Landwirtschaft eingehalten worden seien, bekräftigt Felder – um dann Hofers These noch in einem anderen Punkt anzuzweifeln: Der Phosphoreintrag aus Siedlungswasser liege wohl höher als angenommen. Dies aufgrund des Bevölkerungswachstums und der zunehmenden Starkniederschläge, welche die ARA und deren Zuleitungen an die Grenzen bringe.
Landwirtschaft als Teil der Lösung
Punkt 3: Die Landwirtschaft und insbesondere ihre Lobby würden systematisch verhindern, dass im Kanton Luzern Umweltgesetze eingehalten werden und das Problem der überdüngten Mittellandseen an der Wurzel gepackt wird, ist Hofer überzeugt.
«Das Luzerner Parlament ist demokratisch gewählt und vertritt die Anliegen seiner Wähler», sagt Raphael Felder dazu. Natürlich gäbe es Lobbyisten, zu denen alle politisch aktiven Verbände gehören – nicht zuletzt auch Andreas Hofer (Pro Natura und Fischerei). «Der Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband hat nicht die Macht, Auflagen systematisch zu verhindern.» Diese hätten sich zudem «stetig und massiv verschärft», was die Betriebsleiter vor grosse Herausforderungen stelle.
Punkt 4: Vertreter der Luzerner Landwirte würden von ihrer eigenen Verantwortung ablenken – indem sie etwa auf weitere Gründe wie Altlasten und Klimawandel verweisen, welche die Genesung der Mittellandseen erschweren.
«Es geht nicht um Ablenkung», hält Felder dagegen. Vielmehr gehe es darum, «die Situation ganzheitlich zu betrachten und die Landwirtschaft nicht zum alleinigen Sündenbock zu machen». Die Betriebsleiter stünden täglich vor grossen Herausforderungen und sie investierten viel in die Gesundung der Seen. Längst habe sich dabei die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Landwirtschaft Teil der Lösung sei. Umso befremdlicher sei es, wenn diese Anstrengungen nicht gewürdigt werden und wenn stattdessen ihre Arbeit zum Problem erklärt wird.
Eine «von der Umweltlobby geschürte Berichterstattung» trage nicht zur Verbesserung bei, sondern mindere die Bereitschaft der Landwirte, an Lösungen mitzuarbeiten, befürchtet Felder. Zudem sei es unbestritten, dass der Klimawandel einen Einfluss «auf fast alle Schweizer Seen hat». So habe sich beispielsweise im Bodensee die Sauerstoffversorgung im Tiefenwasser verschlechtert, was sich negativ auf die Felchen auswirke.
SRF-Dokumentation sorgte bei Bauern für viel Kritik
Wer für die schleppende Genesung des Sempachersees verantwortlich ist – und in welchem Ausmass! – darüber gehen die Meinungen von Umweltschützern und Bauern also weit auseinander. Das zeigt auch der SRF-Dokfilm «Unser täglich Fleisch» zum Thema, der im vergangenen Dezember veröffentlicht wurde – und bei den Luzerner Bauern für viel Kritik sorgte. Der Präsident des Luzerner Bauernverbandes Felder spricht von einem Paradebeispiel für Thesenjournalismus. Über 100 Beanstandungen hagelte es daraufhin bei der SRF-Ombudsstelle, vor allem von Luzerner Landwirten. Der Film sei tendenziös und prangere die Landwirtschaft an. Trotz dieser heftigen Vorwürfe kam die Ombudsstelle aber zum Schluss: Der Dokfilm war sachgerecht.
Unbestritten an diesem heissen Thema ist einzig: Von einer vollständigen Genesung sind die Luzerner Mittellandseen noch weit entfernt.