Die Fledermaus: ein faszinierender Nachtkobold

Unheimliche Untermieter bevölkern den Zuger Nachthimmel

Eine Wasserfledermaus im Flug. (Bild: Dietmar Nill)

Sie sind lichtscheu, mögens gerne kuschelig, kennen sich mit Echoortung und Ultraschall aus, fressen in einer Nacht ein Drittel bis zur Hälfte ihres Körpergewichts und sind laut wie ein Rockkonzert, obwohl wir Menschen sie fast nie hören. Die Fledermaus, auch Königin der Nacht genannt, verblüfft mit ihrer Vielseitigkeit.

14 interessierte Teilnehmende finden sich während der Dämmerung vor der Kirche St. Michael in Zug ein. Der Grund ist eine Fledermausexkursion des Projekts «Wilde Nachbarn Zug». Das Setting dazu könnte nicht passender gewählt sein: Düster ragen die Kirchenfront und der grosse Turm in den Zuger Nachthimmel.

Keine blutrünstigen Draculas

Der richtige Ort und Zeitpunkt, um mit einigen Mythen aufzuräumen. Isabelle Bögli vom Fledermausschutz Zug macht schnell klar, dass die Fledermaus alles andere als ein Batman oder ein Vampir ist. Geduldig stellt sie sich allen Fragen, wie zum Beispiel jener, ob Fledermäuse tatsächlich Blut trinken.

«Es gibt drei verschiedene Arten von Vampirfledermäusen, die bei Hühnern oder Kühen die Haut aufritzen, um das auslaufende Blut zu schlecken. Diese Arten sind aber nur in Südamerika heimisch.» Tatsächlich ernähren sich die hiesigen Fledermäuse je nach Art vornehmlich von Insekten wie Mücken und Nachtfalter. Aber auch Spinnen und Hundertfüsser gehören zum Speiseplan.

Isabelle Bögli mit einem Fledermauspräparat und einer Zeichnung von einem Fledermausskelett. (Bild: Liane Wittwer)

Tiefe Dielen oder unartige Kinder?

Ein zweiter weitverbreiteter Mythos haben früher vor allem Kinder zu Ohren bekommen. Wenn sich jemals eine Fledermaus in den Haaren verfängt, bringt man sie fast nicht mehr los. «Das ist natürlich ein Märchen», schmunzelt Isabelle Bögli und versucht, den Grund für diese Aussage gleich selbst zu erörtern: «Es könnte damit zusammenhängen, dass die Menschen früher in Häusern mit niedrigen Decken gleich unterhalb von Estrichen wohnten. Und da ist vielleicht das eine oder andere Mal jemand mit den Haaren an einer Fledermaus hängen geblieben. Oder es war ein Trick der Eltern, damit ihre Kinder nicht allein im Dunkeln herumlaufen.»

Würfelzucker-grosser Greis

Generell herrscht bei vielen im besten Fall nur Halbwissen, wenn es um den nächtlichen Flugakrobaten geht. Isabelle Bögli fragt in die Runde, wie viele Säugetiere es in der Schweiz gibt. Die Antworten fallen sehr unterschiedlich aus. Tatsächlich sind es 99 Stück, und davon sind 30 Fledermäuse. 16 der in der Schweiz bekannten Arten leben im Kanton Zug. Das kleinste Tier – die Mückenfledermaus mit einer Flügelspannweite von 20 Zentimetern – ist gerade einmal so gross wie ein Würfelzucker. Das Grosse Mausohr hingegen schafft es immerhin auf 40 Zentimeter Flügelspannweite.

Isabelle Bögli hält die interessierte Gruppe interaktiv auf Trab und stellt die nächste Schätzfrage: «Wie schwer ist die kleinste und wie schwer die grösste Fledermaus?» Eifriges Rätselraten, und auch hier verblüfft die Antwort: Das Gewicht der hiesigen Fledermäuse bewege sich zwischen minimal 4 bis maximal 40 Gramm. Um das geringe Ausmass dieser Federgewichte zu vergegenwärtigen, reicht Bögli kleine Säckchen mit Zuckereiern herum.

Auch bei der Frage, wie alt eine Fledermaus werden kann, greifen die gemachten Schätzungen daneben. «Viele Fledermausarten werden ein halbes Dutzend Jahre alt oder älter», erklärt Isabelle Bögli. «Von einigen kennt man Rekorde von über 30 Jahren. Die älteste in Europa bekannte Fledermaus wurde 43 Jahre alt.» Das löst respektvolles Raunen bei der Gruppe aus. Spätestens jetzt sind auch diejenigen, die noch keine Fledermausfans waren, Anhänger der kleinen Nachtschwärmer.

«Da, wo ein Daumen Platz hat, können Fledermäuse hausen»

Am Tag ruhen die Fledermäuse. Anders als vermutet, hängen sie nicht nur kopfüber in Estrichen oder Kirchtürmen, sondern ihre Behausungen sind so mannigfaltig wie ihre Fähigkeiten und Talente. «Überall, wo ein Daumen Platz hat, können Fledermäuse leben», sagt Bögli und nennt auch gleich ein paar Beispiele: «Das kann in Mauerritzen, Holzaufschichtungen, Brückenauflegern, Bergbahnhäuschen oder in Höhlen sein.» Aber meistens seien diese possierlichen Tierchen gar nicht so weit vom eigenen Zuhause weg. «Vielfach nisten sie sich in Storenkästen ein.»

Fast 250 Kilogramm Kot

«Das merkt man dann vor allem, wenn winzige Kotbällchen auf dem Fenstersims liegen.» Und das kann, je nach Anzahl Tiere, auch schnell grössere Ausmasse annehmen, wie Bögli erzählt: «An meinem Wohnort in Mühlau wurden einst sieben 35-Liter-Abfallsäcke mit Fledermauskot aus der Kirche gefegt.» Kein Wunder, denn die kleinen Fledertiere sind regelrechte Fressmaschinen.

Das verdeutlicht Isabelle Bögli mit einem mitgebrachten Pizzakarton und einer kleinen Rechenaufgabe. Die Frage lautet: «Wie viele Pizzas müsste ein Kind, das 30 Kilogramm wiegt, pro Nacht essen, wenn es eine Fledermaus wäre? Wüssten Sie es? Nein? Es wären ungefähr 30 Pizzas à 333 Gramm.»

Jagen mit Ultraschallpeilrufen

Damit die Gruppe eine Ahnung bekommt, wie die Fledermaus zu ihrer Nahrung kommt, bewegt sich der Tross von der Kirche weg direkt ins benachbarte Jagdgebiet in der Nähe eines Stadtbächleins. Fledermäuse sind die einzigen Säugetiere der Schweiz, die fliegen können. Die versierten Flugakrobatinnen können sich in der Nacht dank Echoortung orientieren und gleichzeitig lautlos nach Insekten jagen.

Damit wir sie trotzdem hören können, verteilt Bögli Fledermausdetektoren, ein Gerät, das Ultraschall hörbar macht. «Fledermäuse können bis zu 100 Dezibel laut werden, und trotzdem können wir sie meistens nicht hören, weil ihre Rufe zu hoch für unser Gehör sind», bemerkt Isabelle Bögli. «Sie bewegen sich in einer Frequenz von 17 bis 130 Kilohertz. Ein Kind kann bis zu 20 Kilohertz hören. Im Alter kann es bis auf 10 Kilohertz runtergehen.» 

Isabelle Bögli verteilt Fledermausdetektoren. (Bild: Liane Wittwer)

Nervöses Klackern und flatternde Kreise

Und tatsächlich: Auf dem Weg von der Kirche bis zum Zuger Landsgemeindeplatz geht es nicht lange, bis unsere Geräte ausschlagen. Auf das nervöse Klackern folgt meist ein kurzer Blick auf eine bedrohlich nahe an unseren Köpfen vorbei flatternde Fledermaus. Eine kurze Drehung später verschwindet sie wieder im dunklen Dickicht. Ohne diese Geräte wäre es wohl viel schwieriger, einen Blick auf die scheuen Tiere zu werfen.

Grosse Feinde: Katzen und der Mensch

Wenn man diesen vielseitigen Nachtschwärmern so zusieht und zuhört, kann man kaum glauben, dass fast alle in der Schweiz heimischen Arten bedroht sind. Neben Raubvögeln wie der Eule oder dem Falken sind Marder, Katzen und der Mensch ihre Feinde. Letzterer vor allem wegen der Lichtverschmutzung, dem Einsatz von Pestiziden oder weil Fledermausquartiere wegen des Abrisses oder der Sanierung von Gebäuden zerstört werden.

Fledermausfindlinge – richtig reagieren

Fledermäuse sind scheue Wildtiere. Vor Menschen fliegen sie weg. Was tun, wenn man doch eine Fledermaus findet? Ist die Fledermaus offensichtlich geschwächt oder verletzt, kontaktieren Sie bitte die kantonale Fledermaus-​Pflegestation. Hier werden verletzte, geschwächte oder junge Fledermäuse fachgerecht gepflegt und so schnell wie möglich wieder in die Freiheit entlassen. Das Fledermaus-Nottelefon Kanton Zug: 041 758 07 34. Das Fledermausschutz-Nottelefon Schweiz: 079 330 60 60. Die Telefonnummer der Kantonalen Fledermausschutz-Beauftragten: 077 423 91 28.

Verwendete Quellen
  • Besuch der Fledermausexkursion in der Stadt Zug des Projekts «Wilde Nachbarn Zug»
  • Gespräch und Interview mit Isabelle Bögli vom Fledermausschutz Zug
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