Felsen am Gütsch können jederzeit abbrechen

12’000 Tonnen Gestein bedrohen Häuser und SBB-Linie

Bei Bauarbeiten beim Schlössli Schönegg haben Experten eine instabile Felsmasse entdeckt. (Bild: Archivbild: gwi)

In Luzern herrscht am Gütsch akute Felssturzgefahr. Im Rahmen der Bauarbeiten beim Schlössli Schönegg entdeckten Geologen ein Felspaket, das jeden Moment abstürzen könnte. Mit fatalen Folgen für die ganze Stadt.

Wegen der Gefahr eines Felssturzes hat die Stadt Luzern am Gütsch Sofortmassnahmen eingeleitet. Bei den privaten Bauarbeiten beim Schlössli Schönegg entdeckten Geologen Mitte August bei ihrer wöchentlichen Baustellenbesichtigung eine mit Lehm gefüllte Spalte. Unmittelbar oberhalb der Spalte liegt ein grosses instabiles Felspaket, das Experten unmittelbar als «höchst gefährlich» einstuften. Bereits seit dem darauffolgenden Tag überwacht ein Alarmsystem die Bewegungen am Hang.

«Niemand weiss, wann das Gestein in Bewegung kommt. Es kann Stunden oder Jahre dauern.»

Beat Keller, Geologe

Die Abklärungen durch Geologen, Ingenieure und weitere Experten bedurften Zeit, um fundiert die passenden Massnahmen zu treffen und einzuleiten. «Es war für uns wie ein Krimi», schildert Daniel Meier, Leiter des Tiefbauamts, die Wochen seit der Entdeckung der Lehmspalte.

Mittlerweile ist der Fahrplan klar. Bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz gaben Mitarbeiter der betroffenen städtischen Ämter sowie Geologen am Freitagvormittag Auskunft.

Gesamte Felsmasse könnte abbrechen

Insgesamt seien rund 12’000 Tonnen Gestein betroffen, erklärte Geologe Beat Keller. Die seit der Entdeckung durchgeführten Analysen zeigen: Teile der – oder im schlimmsten Fall die gesamte – Felsmasse könnten jederzeit abbrechen und einen Felssturz auslösen. «Niemand weiss, wann das Gestein in Bewegung kommt. Es kann Stunden oder Jahre dauern», so der Geologe.

Geologe Beat Keller beantwortet die Fragen der Medien. (Bild: jdi)

In der akuten Gefahrenzone befinden sich der Gütschweg, die Gütschtreppe, das Schlössli Schönegg, vier Wohnhäuser, in denen unter anderem die Notschlafstelle untergebracht ist, ein paar Parkplätze sowie die Gleise des Hauptzugangs zum Bahnhof Luzern. «Das Risiko inmitten der Stadt ist nicht tragbar», stellt Keller klar.

Dieses Gebiet wäre von einem potenziellen Felssturz betroffen. (Bild: Stadt Luzern)

Deswegen leitet die Stadt diverse Sofortmassnahmen ein, um Menschenleben und Infrastruktur zu schützen. Sollte sich das gesamte Felspaket lösen, bevor die von der Stadt geplanten Massnahmen greifen, könnte dies fatale Folgen haben.

Schlafzimmer und Stuben auf Bergseite sind tabu

Die Anwohner der Gefahrenzone seien über die Situation informiert worden. Seit Donnerstagabend dürfen sie die bergseitigen Räume nur noch wenn unbedingt nötig betreten. Schlaf- oder Wohnzimmer auf der Seite des Berges sind tabu.

Auch wenn in den vier Wohnhäusern deutlich mehr Personen leben, sind von den konkreten Massnahmen nur rund 25 Personen betroffen. Mit rund der Hälfte von ihnen habe die Stadt Luzern direkt vor Ort sprechen können. Die anderen Bewohner, aber auch Passantinnen, will die Stadt über Informationstafeln, Zettel an Hauseingängen und die Verwaltungen erreichen.

Als Sofortmassnahme hat die Stadt zudem das automatische Überwachungs- und Alarmierungssystem ausgebaut.

Signalhörner und Drehleuchten für den Notfall

Bei unmittelbarer Gefährdung dröhnen Signalhörner und blinken Drehleuchten – es herrsche dann Lebensgefahr, so die eindringliche Warnung an der Pressekonferenz. Anwohnerinnen und Spaziergänger müssen die Gefahrenzone sofort verlassen. Und auch die SBB haben einen Plan für den Notfall: «Die betroffene Zugstrecke wird gesperrt, sobald die Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist», erklärt Marc Hauser, SBB-Leiter Naturgefahren. Es handelt sich dabei um die Hauptstrecke in den Luzerner Bahnhof.

Dieser Hangabschnitt bereitet den Experten Sorgen. (Bild: jdi)

Dies hätte weitreichende Auswirkungen für die Mobilität in der Region. Jegliche Zugverbindungen, die über den Bahnhof Luzern laufen würden, müssten im Bahnersatzbetrieb geführt werden. Einzig die Zentralbahn könne normal verkehren, da sie als Einzige nicht über den Zugang am Gütsch in den Bahnhof einfahre.

Mit Helikopterflügen den Hang sichern

Die Stadt arbeitet intensiv daran, den Hang langfristig zu stabilisieren und weitere Schutzmassnahmen aufzugleisen. Unter anderem soll mit Spritzbeton, Betonriegeln und Stahlpalisaden ab sofort dafür gesorgt werden, dass die Gefahrenzone gesichert wird. Erste Helikopterflüge starten bereits am Freitagnachmittag.

Beda Müller, Bereichsleiter Naturgefahren der Stadt Luzern, sagte an der Pressekonferenz: «Der Grossteil der Bauarbeiten soll bis Ende Jahr abgeschlossen sein.» Anfang des kommenden Jahres seien dann bloss noch Abschlussarbeiten projektiert. Bis dahin untersuchen Experten die Gefahrensituation und informieren die Betroffenen laufend.

Gestein am Gütsch beschäftigt Luzern nicht das erste Mal

Dass am Luzerner Gütsch das Gestein in Bewegung ist, ist derweil nichts Neues. Schon 2016 drohte ein Felssturz (zentralplus berichtete). Damals mussten 125 Personen aus einem Hochhaus evakuiert werden. Mitten in der Nacht verliessen die Bewohnerinnen, unterstützt und angeleitet durch die Feuerwehr, ihr Zuhause.

Passiert ist damals nichts. Ein Teil der Felswand am Gütsch wurde als Sofortmassnahme abgebrochen, die Felssturzgefahr war somit vorerst gebannt. Doch der Stadt Luzern war bewusst, dass man sich nur vorübergehend in Sicherheit wähnen durfte. Die jetzige Situation zeigt, dass die Sorge um vom Gütsch ausgehenden Naturgefahren berechtigt war.

Dennoch bleibt den Anwohnern nichts anderes übrig, als auf die Analysen der Geologen zu vertrauen. Daniel Meier, Leiter des Tiefbauamts, sagt: «Die Sicherheit der Bevölkerung geht vor. Doch kann man nicht den ganzen Gütsch überwachen.» Es käme der Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleich, den gesamten Hang laufend auf mögliche Risiken zu prüfen.

Verwendete Quellen
  • Medienkonferenz der Stadt Luzern
  • Medienmitteilung Stadt Luzern
  • Augenschein vor Ort
  • Medienarchiv zentralplus
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