Ein Tag im Leben eines Zuger Wildhüters

Er hält Biber in Schach, klaut Eier und berät Menschen

Adrian Zehnder kommt dann zum Einsatz, wenn es Konflikte zwischen Wildtieren und Menschen gibt. (Bild: wia)

Was tut ein Wildhüter im Kanton Zug, der, so könnte man meinen, durch und durch zivilisiert ist? Eine ganze Menge, ist die Erkenntnis während einer Pikettschicht. Soviel vorweg: Sonderlich flauschig ist der Job meist nicht.

«Oh nei!», ruft die ältere Dame aus, schlägt die Hand vor den Mund und wendet den Blick ab. Gerade hat Adrian Zehnder, mit Latexhandschuhen ausgerüstet, ein totes Tier aus einer Wassertonne gezogen. Das Wesen ist so gross wie eine Katze, sein Blick ist starr, sein Bauch aufgedunsen. Wüsste man es nicht besser, würde man glauben, dass es sich um ein durchtränktes Stofftier handelt. «Das ist ein Jungfuchs», erklärt Zehnder sachlich. «Wenn sie noch klein sind, kennen sie keine Furcht. Dieser hier ist wohl in den Wasserbehälter gelangt, konnte sich jedoch selber nicht mehr daraus befreien. Daraufhin ist er ertrunken.»

Zum Vorschein kommt im Wasser auch ein kleiner Maulwurf. Beide Kadaver nimmt Zehnder mit und legt sie in die grosse Plastikkiste, die sich auf der Ladefläche seines Pick-up-Trucks befindet. Es sind nicht die ersten toten Tiere, die der Zuger an diesem Tag eingesammelt hat. In der Kiste liegt bereits ein weiterer toter Fuchs, umgeben von 18 grossen Gänseeiern. Dazu jedoch später.

Ein Knochenjob – manchmal wortwörtlich

Adrian Zehnder ist einer von drei Wildhütern im Kanton Zug. Immer wenn sich die menschliche Zivilisation und Wildtier zu stark in die Quere kommen, werden sie auf den Plan gerufen. An einem Mittwoch, während Zehnders Pikettwoche, begleitet zentralplus den Wildhüter. Die erste Erkenntnis stellt sich relativ bald ein: Das romantisierte Berufsbild des Hegers und Pflegers, der flauschige Tiere aufpäppelt, ist nur ein kleiner Teil der Arbeit.

«Klar ist das nicht schön, wenn ein Fuchs ertrinkt. Wenigstens handelt es sich nicht um eine seltene Art. Gerade Füchse fühlen sich in bewohntem Gebiet äusserst wohl. Denen geht es hier besser als im Wald», stellt Zehnder klar. Es sei deshalb wichtig, dass auch Leute in der Stadt über das Verhalten der Tiere aufgeklärt seien und möglichst keine «Tierfallen», wie eben diese offene Wassertonne, schüfen.

Der Job als Wildhüter braucht Nerven, Fingerspitzengefühl und eine grosse Portion Pragmatik. Das trifft insbesondere zu, wenn Zehnder auf verletzte Tiere trifft. «Oft ist es für ein Wildtier besser, wenn es von seinem Leiden erlöst wird. Gerade wenn es in der freien Natur mit seinen Verletzungen keine Überlebenschancen hätte.»

Gerade hat Adrian Zehnder einen toten Jungfuchs aus einer Wassertonne geholt. Solche Geschehnisse sind nicht unüblich. (Bild: wia)

Das Auto ist sein Büro

Nicht immer rücken die Wildhüter aus, wenn Tiere von Autos angefahren werden. «Unfälle mit kleineren Tieren wie Vögel, Dachse oder Füchse regelt die Polizei, insbesondere in der Nacht, selber. Bei grösseren Tieren, wie etwa Rehen oder Hirschen, werden wir aufgeboten. Auch wenn ein verletztes Tier nach einem Unfall flüchtet, kommen wir zum Einsatz. Unter anderem mit Suchhunden», erklärt Zehnder, der mittlerweile hinter dem Steuer seines Autos sitzt. Bevor er zum nächsten Termin fährt, zückt er ein kleines Notizbuch und notiert sich die Details des vergangenen Einsatzes.

«Ich verbringe viel Zeit im Auto. Etwas zu viel», sagt er schmunzelnd. «Das Auto ist eigentlich mein Büro.» Die vielen Fahrzeiten nutzt Zehnder oft, um via Freisprechanlage mit den Behörden, ratsuchenden Menschen oder der Polizei zu telefonieren. «Ich versuche immer zu optimieren. Welche Termine kann ich wie verbinden, damit ich Strecken nicht mehrmals fahren muss? Wen kann ich vom Auto aus erreichen?»

Der rosenfressende Rehbock musste weg

Der nächste Termin findet bei einer Gärtnerei statt. Der Betrieb wird seit Wochen massiv durch einen Rehbock geschädigt, der sich Nacht für Nacht nicht nur grossflächig an den Rosen und anderen Blumen genüsslich tut, sondern auch sein Geweih so vehement an den Baumschulpflanzen reibt – oder im Jägerjargon «fegt» –, dass grosser Schaden entsteht.

Obwohl die Gärtnereibesitzer verschiedene Vorkehrungen trafen, kehrt der Bock jede Nacht zurück. Oder besser gesagt: kehrte. Zehnder erzählt: «Seit Tagen habe ich versucht, das Tier zu erwischen. Gestern ist es mir schliesslich gelungen.» Und hier hört die flauschige Romantik auf.

Denn solche Tiere werden nicht eingefangen und anderswo ausgesetzt, sondern erlegt. «Wir sind im bewohnten Gebiet, es gibt Häuser, Wege und Gärten. Es ist nicht praktikabel, dass man jedes auffällige Tier schützt. In solchen Fällen ist es zumutbar, dass man ein Tier ‹entnimmt›.» Insbesondere, da der Bock durch sein Verhalten grossen Schaden angerichtet hätte und er für die Population nicht relevant sei. «Eine Rehgeiss hätte ich hingegen nicht schiessen dürfen», sagt Zehnder.

So werden die Bestände von Reh und Hirsch reguliert

Zur Veranschaulichung: Rund 1000 Rehe leben im Frühling im Kanton Zug. 600 kommen jährlich durch die natürliche Fortpflanzung dazu. 300 bis 400 Rehe und 35 bis 45 Hirsche werden jährlich während der Jagd geschossen. Weitere 150 sterben durchschnittlich auf Zuger Strassen. «Würden die Bestände von Reh und Hirsch nicht reguliert, stiege die Zahl der Verkehrsopfer und sowohl Konkurrenzdruck als auch Krankheiten nähmen zu.» Zehnder weiter: «Eine Rehgeiss, die viel Platz hat, verfügt über eine bessere Konstitution, da sie sich kaum verteidigen muss. Dies führt zu gesundem Nachwuchs, die Rehkitze sind wiederstandfähiger.»

Zurück zum rosenfressenden Bock. Der Wildhüter hatte sich also abends zuvor auf die Lauer gelegt. «Nach Einbruch der Dunkelheit tauchte der Bock so nah vor mir auf, dass ich ihn mit dem Nachtsichtgerät sicher erlegen konnte. In Siedlungsgebieten nutzen wir sogenannte Subsonic-Munition, die sehr leise ist, um die Anwohner nicht zu erschrecken», sagt der 45-Jährige.

«Es wäre schade, dieses Fleisch zu verschwenden und nicht zu verwerten.»

Adrian Zehnder, Zuger Wildhüter

«Danach brachte ich das Tier nach Walterswil in den Kühlraum. Dort habe ich es ausgeweidet, damit das Fleisch nicht kaputtgeht.» Tiere, die «entnommen» werden oder nach etwa einem Unfall erlöst werden müssen, werden nach Möglichkeit verwertet. «Es wäre schade, dieses Fleisch zu verschwenden und nicht zu verwerten.»

Der Marder tanzt den Mietern auf der Nase rum

Gerade biegt Zehnder mit seinem Pick-up in Richtung Gärtnerei ein. «Ich möchte der Gärtnerin mitteilen, dass das Problem mit dem Rehbock gelöst werden konnte. Nötig wäre dieser persönliche Besuch nicht, doch liegt der Betrieb sowieso auf dem Weg.» Zehnder begrüsst die Frau freundlich, erzählt, zeigt Fotos. Sie ist sichtlich erleichtert. Für die selbständige Gärtnerin war der Einnahmeverlust durch den Rehbock einschneidend.

Schon geht es weiter in Richtung Unterägeri. Eine Mietpartei eines älteren Hauses hat einen ungewünschten Mitbewohner im Dach. Ein Steinmarder sorgt insbesondere in der Nacht für Rambazamba, rennt herum, raubt den menschlichen Bewohnern den Schlaf.

Zehnder berät den jungen Vater, erklärt, an welchen Stellen der Marder überall unters Dach eindringen kann. Er macht dem Mann unmissverständlich klar: «Momentan ist Schonzeit. Ein Einfangen ist somit keine Option und erst ab Ende August möglich. Zudem kann er, wenn wir ihn fangen, auch anderswo nicht wieder freigelassen werden. Das Tier findet den Weg zurück.» Der Mann nickt verdrossen. Doch gehandelt werden kann bereits jetzt. Zehnder zeigt auf, welche Bereiche des Dachs mit Gitter verschliessbar wären, damit das Tier nicht mehr unters Dach kann.

Auch der Mensch muss sich bemühen, das Problem zu lösen

Als Zehnder wieder in seinem Auto sitzt und sein Vehikel aus der Siedlung manövriert, erklärt er: «Oft erwarten die Leute, dass man sich ihren Problemen annimmt, welche sie mit Wildtieren haben. Doch fordern wir, dass auch sie einen zumutbaren Aufwand betreiben, um die Situation zu verbessern.»

Auf dem Programm steht an diesem Tag noch einiges. Eine Bäuerin aus Hünenberg ruft an, da Greifvögel auf ihre jungen Freilandhühner losgehen. Am Tag zuvor seien vier getötet worden. Die Lösung kennt sie bereits: Ballone mit 75 Zentimetern Durchmesser, welche mit Helium befüllt in der Luft fliegen. Die Raubvögel fürchten sich vor diesen.

Die Bäuerin will wissen, wer die Kosten übernimmt. Zehnder besucht den Hof, berät die Frau, sieht sich die Situation an. Weil es sich um eine aussergewöhnliche Situation und um eine beschränkte Dauer handelt, nämlich, bis die Junghühner zu schwer für die Bussarde sind, kann der Kanton den finanziellen Aufwand für die Schadenabwehr mit Beiträgen unterstützen.

Hier, nahe am Bibersee, hat man kürzlich eine Lösung gefunden mit dem Biber. Der Damm wurde verschoben, eine Drainage innerhalb eines Käfigs sorgt zudem für stetigen Wasserabfluss. (Bild: wia)

Der Biber macht nicht alle glücklich

Weiter gehts zum Biber. Dieser hat sich seit einigen Jahren im Kanton Zug ziemlich ausgebreitet (zentralplus berichtete). «Das ist zwar toll für die Biodiversität, die erwiesenermassen erheblich ansteigt, wo sich der Biber niederlässt. Aber insbesondere in der Landwirtschaft bringt der Biber auch viele Probleme.»

Ein Beispiel: Beim Bibersee in Cham hat das Tier in den vergangenen Jahren den Abfluss des Bachs derart verbaut, dass auch eine grosse Landwirtschaftsfläche unter Wasser stand. Das Problem konnte dank Zehnder behoben werden. Heute steht der Biberdamm an einer breiteren Stelle, ein Drainagesystem wurde eingebaut, womit das Wasser nun besser fliessen kann. Ebenfalls bauten die Wildhüter einen zehn Zentimeter hohen Zaun, der das geschäftige Tier erfolgreich davon abhält, Obstbäume zu fällen.

Der Biber hat es sich im Dersbach gemütlich gemacht. Unschöner Nebeneffekt: Der Wasserstand ist nun so hoch, dass die nebenan liegende Siedlung bald Schaden nehmen könnte. (Bild: wia)

Ein weiteres Beispiel für den Einfluss des Bibers zeigt sich andernorts in Cham. Beim Dersbach hat es sich das Tier unweit einer Siedlung gemütlich gemacht. Der Damm, den es gebaut hat, ist beachtlich. In dem Feuchtbiotop, das bereits früher bestand, ist aufgrund des Bibers der Wasserstand um einen halben Meter gestiegen. Bereits jetzt steht deshalb eine von drei Meteorleitungen des Siedlungsgebiets unter Wasser.

Die Anwohnerinnen, welche selbst einen Anteil an der Renaturierung des Bachs gezahlt haben, fürchten nun, dass plötzlich ihre Keller unter Wasser stehen könnten. Zehnder misst die Höhe des Wassers, unterhält sich noch am selben Tag mit dem Tiefbauamt, um eine mögliche Lösung zu finden. Einfach ist das nicht, denn der Biber ist in der Schweiz geschützt.

Die Eier der Graugänse müssen weg

Vom Auto aufs Boot: In dieser Jahreszeit ist Zehnder nicht nur auf dem Land aktiv, sondern auch im Wasser beziehungsweise auf den Inseln im Zugersee. Der Grund: Die Graugans sorgt für Probleme. Sie verunreinigt etwa die Wiese beim Brüggli und sorgt damit bei den Betreibern und Gästen für Unmut. Ausserdem verursacht sie Schäden auf dem Landwirtschaftsland und bedroht die lokalen Schilfbestände und die darin brütenden Singvögel.

«Vom Bund haben wir die Befugnis, die Eier der Graugans an zwei Stellen zu entnehmen», erklärt er. «So versuchen wir, die Population auf eine für die Tiere schonende Art einzudämmen. Für die Grösse des Sees gibt es zu viele Graugänse», erläutert Zehnder.

Der Wildhüter steuert sein Boot von Walchwil über den See in Richtung der winzigen Insel beim Brüggli. Mit einem Kessel in der Hand steigt er aus, sucht die Insel nach Graugansnestern ab. Er findet drei und nimmt insgesamt 18 Eier mit. Die brütenden Gänse haben vorgängig das Nest verlassen. Erstaunlicherweise ist der Schwan, der auf sein eigenes Nest aufpasst, ziemlich unbeeindruckt von der Anwesenheit der Menschen.

Mensch und Tier: Ein kompliziertes Verhältnis

Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist ein kompliziertes. Und es scheint immer komplizierter zu werden. «Ich merke immer mehr, wie der Bezug zur Natur abnimmt», erzählt Zehnder.

«So kann es sein, dass mich jemand aus dem Ägerital kontaktiert, weil die Person einen Spatz gefunden hat, der nicht wegfliegt», sagt Zehnder. «Extra dorthin zu fahren, bedeutet nicht nur ein zeitlicher Aufwand, sondern ist auch ökologisch fragwürdig.»

Trotzdem steht Zehnder auch Menschen mit einem Spatzenproblem zur Seite. Die Lösung: «Wir empfehlen, den Vogel in Handschuhen in eine Hecke setzen, wo er Schutz findet. Vielleicht erholt er sich und hat eine Chance zu überleben. Und wenn nötig fahre ich hin und unterstütze. Da kann es vorkommen, dass der Spatz bereits weg ist, wenn ich ankomme. Das ist eigentlich der Optimalfall», erzählt er augenzwinkernd.

Auf der kleinen Insel beim Brüggli lebt und brütet eine Vielzahl an Vögeln. (Bild: wia)
Verwendete Quellen
  • Begleitung eines Wildhüterdienstes
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