Teil 3: Pyros sorgen für rote Köpfe

So zackig könnte Pyrotechnik im Stadion «legal» werden

Pyros gehören bei Fussballspielen in der Schweiz für die aktive Fanszene dazu. (Bild: fcl.fan-fotos.ch)

Im Stadion zu zünden, ist Fussballfans in Österreich und Norwegen unter Auflagen erlaubt. Auch in der Schweiz wird die Legalisierung von Pyrotechnik diskutiert. Eine Praxisänderung ohne jahrelange Gesetzesrevision scheint möglich.

«Ich wünsche mir eine sachliche und faktenbasierte Diskussion über ein Phänomen, welches seit Jahrzehnten Teil einer grossen Subkultur ist, während sich die Debatte dazu kaum verändert hat», sagt Fabian Achermann, Stellenleiter der Fanarbeit Luzern. Denn das Thema erhitzt die Gemüter noch immer, obschon zündende Fussballfans in der Schweiz längst zum wöchentlichen Matchbesuch dazugehören – und dabei selten Schaden anrichten.

Denn bei den Heimspielen des FC Luzern brennts zwar ziemlich oft. Verletzte gibt es beim Zünden von Fackeln, Raketen und Rauch aber so gut wie nie. So sind im laufenden Jahrtausend auch keine Fälle von Pyrowürfen durch FCL-Fans bekannt. Weder im eigenen Stadion noch an Auswärtsspielen.

«Die Ergebnisse der in Luzern, Basel und Bern durchgeführten Fanbefragungen zeigen auch, dass sich die Personen in den Stadien grundsätzlich sehr sicher fühlen», sagt der Luzerner Jurist Tim Willmann, Mitarbeiter der Forschungsstelle Gewalt bei Sportveranstaltungen am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Bern.

Zünden ist nicht gleich zünden

Anstelle von Verletzungen durch Pyrowürfe im Stadion lösten in Luzern zwei Knallpetarden Gehörschäden aus. Eine davon hat ein Fan des FC St. Gallen im Jahr 2019 Richtung Spielfeld geworfen und dabei bei einem damals 48-jährigen Luzerner einen schweren Hörverlust verursacht (zentralplus berichtete). Der Luzerner teilt das Schicksal mit einem Linienrichter, der im Jahr 2009, beim letzten Match im altehrwürdigen Stadion Allmend, ein Knalltrauma erlitt.

Die Swiss Football League (SFL) bestraft Fussballfans, die «bloss» Pyros abbrennen, weniger hart als solche, die Knallpetarden zünden, Raketen abfeuern oder Pyros werfen, wie in der Box zu lesen ist.

So bestrafen Behörden und Liga zündende Fussballfans

Für das Zünden von Pyrotechnik im Stadion gilt: Wer dabei erwischt wird, erhält ein Stadionverbot. Auf der Allmend ist es der FCL, der die Fans filmt, die Aufnahmen auswertet und der Luzerner Polizei weiterleitet. Kann diese einen Täter identifizieren, erstattet sie Strafanzeige wegen Verstosses gegen das Sprengstoffgesetz und allenfalls gegen weitere Strafnormen – insbesondere bei der Verletzung von Dritten. Teilweise spricht die Polizei auch Rayonverbote aus.

Zudem erfassen die Strafverfolgungsbehörden Gewalttäter rund um Fussballspiele und andere Sportveranstaltungen in der Datenbank Hoogan.

Zu den in der Datenbank erfassten Personen zählen auch Fans, die beim Zünden niemanden gefährdet oder verletzt haben. Gemäss Fabian Achermann von der Fanarbeit Luzern verfälscht dies die Statistiken zu Gewalt an Sportveranstaltungen. Denn das Zünden von Pyrotechnik kommt mit Abstand am häufigsten vor – hat aber nur selten Folgen für Dritte.

Auf diesen Umstand hat die Swiss Football League (SFL) vor einigen Jahren reagiert. Wird beim Abbrennen von Pyros oder Rauch niemand verletzt, werden die straffälligen Fans nur noch ein Jahr statt zwei Jahre lang vom Matchbesuch abgehalten. Hingegen lässt die Swiss Football League für das Abfeuern von Raketen oder Knallpetarden sowie das Werfen von Pyros dreijährige Stadionverbote aussprechen.

Auch Tim Willmann differenziert. Zumindest abstrakt könne von einer Gefahr durch Pyrotechnik gesprochen werden, da einzelne pyrotechnische Gegenstände sehr heiss würden. «Insbesondere ein verantwortungsloser Umgang mit Handlichtfackeln kann zu ernsthaften Verbrennungen führen», sagt Willmann.

Willmann meint damit insbesondere auch Fackelwürfe wie jenen im Cup-Halbfinal zwischen Servette und Winterthur, Ende April. Ein Genfer warf damals eine brennende Fackel auf eine Tribüne der Schützenwiese, wo auch Familien standen. Nur durch Glück wurde niemand verletzt.

Was für eine Legalisierung von Pyrotechnik im Stadion spricht

Doch abgesehen vom missbräuchlichen beziehungsweise unvorsichtigen Einsatz von Pyrotechnik im Stadion scheint vieles für die Legalisierung zu sprechen. «Pyrotechnik sorgt für viele Diskussionen, teilweise Auseinandersetzungen zwischen Fans und Sicherheitsdiensten beziehungsweise der Polizei sowie einen grossen Aufwand für die Strafverfolgungsbehörden», führt Willmann aus.

Tatsächlich gelingt es der Luzerner Polizei nur selten, zündende Fussballfans zu identifizieren und zu bestrafen (zentralplus berichtete).

Die meisten zündenden FCL-Fans kann die Luzerner Polizei nicht identifizieren. (Bild: fcl.fan-fotos.ch)

«Durch die weit gefasste Gewaltdefinition des Hooligan-Konkordats, welche auch das einfache Abbrennen einer pyrotechnischen Fackel als gewalttätiges Verhalten qualifiziert, intensivierte sich die Spannungssituation rund um Pyrotechnik zusätzlich», fährt Willmann fort. «Mit einer Legalisierung beziehungsweise Entkriminalisierung könnte so immerhin dieses Spannungsfeld rund um Fussballspiele entschärft werden.»

Österreich und Norwegen begehen neue Wege

Aus ähnlichen Gründen dürften sich auch die Entscheidungsträgerinnen im Ausland mit möglichen Lockerungen der entsprechenden Gesetze und Vorschriften befassen. So läuft in Norwegen seit dieser Saison ein Pilotprojekt, welches dazu beitragen soll, dass die Menge illegal gezündeter Pyrotechnik im Stadion abnimmt.

«Die SFL ist sehr interessiert an Lösungsvorschlägen, die versuchen, eine gesunde Balance zwischen Elementen der Fankultur und grösstmöglicher Sicherheit für alle Stadionbesuchenden zu finden.»

Philippe Guggisberg, Swiss Football League

Tim Willmann erklärt, wie es funktioniert: «Bei ausgewählten Fussballspielen ist es erlaubt, klar definierte pyrotechnische Gegenstände unter bestimmten Auflagen einzusetzen.» Notwendig seien dafür jedoch entsprechende Rahmenbedingungen, beispielsweise eine umfassende Risikoeinschätzung im Vorfeld sowie klar definierte Einsatzbereiche innerhalb des Stadions.

Bereits länger existiert eine analoge Bestimmung in Österreich. «Gestützt auf das dortige Pyrotechnikgesetz können Fussballclubs Ausnahmegenehmigungen beantragen, die den Einsatz unter bestimmten Auflagen erlauben», sagt Willmann.

Er betont: «In beiden Ländern ist die Verwendung von pyrotechnischen Gegenständen in den Fussballstadien nicht per se legal.» Das Zünden von Fackeln und dergleichen bedürfe einer entsprechenden Ausnahmegenehmigung.

FCL und die Liga beobachten Projekte im Ausland

Weder der FCL noch die Liga spricht sich explizit für eine Legalisierung aus. Stattdessen beobachten sie die Reformen und Pilotprojekte im Ausland. Seien die Ergebnisse positiv, könne auch in der Schweiz eine entsprechende Diskussion geführt werden, sagt Philippe Guggisberg, Kommunikationsleiter der SFL.

«Man stellt weltweit fest, dass die Null-Toleranz-Politik – wie übrigens in allen gesellschaftlichen Brennpunkten – nicht umsetzbar ist», fährt er fort. Die SFL sei deshalb «sehr interessiert» an Lösungsvorschlägen, die ermöglichen würden, «eine gesunde Balance zwischen Elementen der Fankultur und grösstmöglicher Sicherheit für alle Stadionbesuchenden zu finden.»

Würden Ultras Regulierungen akzeptieren?

Doch ist unklar, ob eine Legalisierung von Pyrotechnik – insbesondere, wenn sie an starke Regulierungen gekoppelt ist – von der aktiven Fanszene überhaupt gewünscht wäre. Fabian Achermann sagt: «Zur Pyrolegalisierung gibt es mehrere Meinungen, selbst in der Kurve – und im restlichen Stadion sowieso.»

Im norwegischen Modell müssen zündende Fans unter anderem volljährig, nüchtern und geschult sein sowie in einem vor dem Spiel festgelegten Bereich stehen. (Bild: fcl.fan-fotos.ch)

Das norwegische Modell, welches das Zünden mit etlichen Auflagen reglementiert, «würde wahrscheinlich auf keine Akzeptanz stossen», vermutet er. Sinnvoller wäre seiner Meinung nach die Entkriminalisierung pyrotechnischen Materials.

Was Pyrotechnik und Cannabis gemeinsam haben könnten

Mit der Entkriminalisierung von Cannabis hat die Schweizer Politik den Umgang mit der nach wie vor illegalen Droge liberalisiert. Ob bald auch das Abbrennen von Pyrotechnik im Stadion nicht mehr geahndet wird?

Tim Willmann erklärt, dass die Strafverfolgungsbehörden beispielsweise auch beim Littering oder im Strassenverkehr «im Sinne des Opportunitätsprinzips» darauf verzichten würden, jeden einzelnen noch so geringfügigen Gesetzesverstoss konsequent zu ahnden.

Jahrelang Gesetze – oder zackig die Praxis anpassen

«Eine Legalisierung im Rahmen einer Revision des Sprengstoffgesetzes sowie des Hooligan-Konkordats wäre eine Option», sagt Willmann. «Eine andere denkbare, im Vergleich zur Gesetzesrevision unkompliziertere Lösung wäre, dass die Behörden aus Opportunitätsgründen das Sprengstoffdelikt nicht mehr strafrechtlich verfolgen, solange Pyrotechnik ohne konkrete Gefährdung für Personen abgebrannt wird.»

«Gesetzesrevisionen dauern Jahre», sagt Willmann, «hingegen wäre eine Praxisänderung im Sinne des Opportunitätsprinzips relativ schnell umsetzbar.»

Die Politik scheint jedoch andere Pläne zu haben und fährt einen eher repressiven Kurs. So hat die Kantonale Konferenz der Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) jüngst das umstrittene Kaskadenmodell eingeführt, das auf Kollektivstrafen basiert (zentralplus berichtete).

Die Politik ist sich uneins

Zur Legalisierung von Pyrotechnik im Stadion hat die KKJPD keine offizielle Haltung. Deren Mitglieder aber schon. Auch die Luzerner Regierungsrätin und Sicherheitsdirektorin Ylfete Fanaj (SP) gehört der KKJPD an. Kurz nach Ablauf der vergangenen Saison sprach zentralplus sie in einem Interview auf die Legalisierung von Pyrotechnik im Stadion an. Fanaj sagte: «Pyros werden meist inmitten der Kurve abgebrannt, wo es relativ eng ist. Sie bergen darum ein Gefahrenpotenzial.»

Fanajs Nidwaldner Amtskollegin und KKJPD-Co-Präsidentin Karin Kayser-Frutschi (Mitte) hingegen sagte im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Bern, ein paar Wochen vor Fanaj: «Ich habe eine gewisse Offenheit gegenüber der Legalisierung von Pyros.» Vielleicht trage diese zur Deeskalation bei.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit ehemaligem Fussballer des FC Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Stefan Wolf, Präsident des FC Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Fabian Achermann, Fanarbeit Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Tim Willmann, Mitarbeiter der Forschungsstelle Gewalt bei Sportveranstaltungen am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Bern
  • Schriftlicher Austausch mit Philippe Guggisberg, Kommunikationsleiter der SFL
  • Schriftlicher Austausch mit Florian Düblin, Generalsektretär der KKJPD
  • Videoaufzeichnung der Berner Podiumsdiskussion «Fangewalt an und um Sportveranstaltungen – wie weiter?»
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