Was macht eigentlich… Donghua Li?

Einmal Turner, immer Turner

Donghua Li beim Training auf seiner Terrasse in Adligenswil. (Bild: Robert Bossart)

Eigentlich wollten wir Donghua Li gemütlich bei einem Kaffee fragen, was er heute so macht im Leben. Das stellte sich mit dem Olympiasieger im Kunstturnen als schwieriges Unterfangen heraus. Ein Besuch bei einem, der das Turnen nicht lassen kann – und sogar von einer weiteren Olympiateilnahme mit über 50 träumt.

Hingehen, ein paar Fotos schiessen und Fragen stellen: So läuft das normalerweise bei einem Porträt. Bei Donghua Li kommt alles anders. Ohne Umschweife führt er den Gast auf die Terrasse seiner Wohnung in Adligenswil. Und fängt an zu turnen. Das heisst: Er macht zuerst Aufwärmübungen – und will fast nicht mehr aufhören. Dabei habe ich ihn nur gefragt, ob ich «kurz» ein Foto von ihm machen darf, während er an einem Turngerät eine Übung macht.

Immer noch topfit

Was nun folgt, ist eine Vorführung, eine Demonstration, eine Gala und einfach grossartig. Die Terrasse ist eingerichtet wie eine Outdoor-Trainingsanlage: Turnstange, Pauschenpferd, Ringturnanlage – alles ist da. Der kleine Chinese, der vor über zwanzig Jahren die Schweiz mit seinem Olympiasieg im Kunstturnen zum Jubeln brachte, hat es immer noch drauf. Und wie. Mit bald fünfzig Jahren turnt er wie ein 20-jähriger Spitzenathlet. Der Körper gestählt, die Bewegungen leicht und kraftvoll. Die Falten in seinem Gesicht stehen in einem eigenartigen Kontrast zum jugendlich durchtrainierten Körper. Die Frage war, was Donghua Li eigentlich heute macht. Fussballer geben die Antwort auf dem Platz, wie es so schön heisst. Er gibt sie auf der Terrasse.

Wohnung voller Trophäen

Irgendwann sitzen wir dann doch noch am Tisch in seiner fein säuberlich aufgeräumten Wohnung. Unzählige Fotos hängen an den Wänden, in einem Schrank sind seine Medaillen ausgestellt. Stolz zeigt er seine Trophäen, die damals die ganze Schweiz in Verzückung gebracht haben. Stolz ist er auch auf viele Fotos, die ihn mit Prominenten aus aller Welt zeigen. Mit der Tochter von Bill Clinton, mit der Boxlegende Muhammed Ali, und so weiter und so fort. Es ist klar: Li war ein ganz Grosser im Weltsport. Und das gehört auch heute noch zu seinem Leben.

«Die Medaillen haben mir viele Türen geöffnet.»

Donghua Li

Viel gefragter Mann

Schliesslich dann doch noch die Frage, was er denn nun heute tatsächlich so alles macht. «Ich trainiere immer noch jeden Tag. Manchmal stehe ich um sechs, manchmal auch erst um acht oder neun Uhr auf», beginnt Li zu erzählen. «Dann trainiere ich.» Von Beruf ist er eigentlich Sportmanager und führt seine eigene Firma. Immer noch ist er ein gefragter Mann bei Events, Präsentationen und Ähnlichem. Erst kürzlich hat er am CSIO in Zürich das Publikum mit einer akrobatischen Turnnummer auf einem lebendigem Pferd verzückt. Daneben gibt Donghua Li auch Turnlektionen. «Ich habe immer noch viele Anfragen und bin entsprechend gut ausgebucht», verrät er.

Medaillen als Kapital

Li macht keinen Hehl daraus, dass die Medaillen, die er vor rund 20 Jahren für die Schweiz gewann, auch heute noch sein grosses Kapital sind. «Sie haben mir viele Türen geöffnet», sagt er. Auf der faulen Haut rumliegen ist, so scheint es, nicht seine Sache. Das tägliche harte Training ist ebenso wichtig wie die Trophäen in seinem Glasschrank. Wäre er nicht so fit, hätte er nicht so viele Anfragen und Buchungen. Dennoch nimmt Li es heute ruhiger als zu seiner Aktivzeit. «Ich arbeite zwar voll, habe aber schon mehr Zeit für mich als früher.»

Gefeierter Olympiasieger

Donghua Li, 1967 in China geboren, begann mit sieben Jahren in einem Internat mit geregeltem Kunstturntraining. Nach zwei lebensbedrohlichen Verletzungen holte Li 1987 den Chinesischen Meistertitel am Pauschenpferd. Ende der Achtzigerjahre heiratet er die Schweizerin Esperanza Friedli und zieht in die Schweiz. 1994 wird Li eingebürgert, noch im selben Jahr wird er Schweizer Meister im Mehrkampf und am Pauschenpferd. 1995 wird er Welt- und 1996 Europameister, im selben Jahr gewinnt er die Goldmedaille an den Olympischen Spielen in Atlanta. 1995 und 96 wird Li zweimal zum Schweizer Sportler des Jahres gewählt. Nach seinem Olympiasieg beendete er seine Karriere als Kunstturner. Heute ist er als selbstständiger Unternehmer tätig. Donghua Li lebt in Adligenswil, er hat eine Tochter aus erster Ehe und einen Sohn mit seiner neuen Partnerin.

Auch heute noch ist Donghua Li geprägt vom entbehrungsreichen Leben, das er von klein auf hatte. Der gebürtige Chinese wurde bereits als kleiner Junge von seinen Eltern getrennt und während sieben Jahren in einem Internat zum Turner ausgebildet. «Das war eine harte Lebensschule», sagt er heute. Später kam er als junger Mann in die Schweiz – und durfte die ersten fünf Jahre keine internationalen Wettkämpfe bestreiten, erhielt keinerlei Lohn oder Unterstützung. «Das war fast noch härter, als die Zeit in China», sagt Li. Er war enttäuscht vom Schweizer Verband, durchlebte schwierige Zeiten, gab aber nie auf. Was viele auch nicht wissen: Mit 16 Jahren wäre Donghua Li beinahe gestorben. «Ich hatte zwei lebensbedrohliche Verletzungen.»

Leute kennen ihn immer noch

Nun, wie alle wissen, kam es schliesslich doch noch gut mit ihm. Li erhielt die Schweizer Staatsbürgerschaft und wurde Mitte der Neunzigerjahre Europameister, Weltmeister und Olympiasieger. Auch heute noch kann er kaum unerkannt am Vierwaldstättersee spazieren gehen. «Es ist erstaunlich, wie viele mich immer noch kennen. Die Leute erzählen mir, wie sie damals den Wecker in der Nacht gestellt haben, damit sie meine Wettkämpfe am Fernsehen mitverfolgen konnten. Das berührt mich sehr.»

Nach 26 Jahren in der Schweiz fühlt sich Li wohl hier. «Luzern ist meine neue Heimat, aber zu Hause fühle ich mich sowohl hier wie auch in China.» Donghua Li ist immer wieder auch privat oder geschäftlich in seiner alten Heimat, täglich hat er über Facetime mit seinen Eltern Kontakt. Familie, Freunde und Verwandte sind ihm wichtig. Darüber sprechen möchte er aber nicht öffentlich und bittet um Verständnis.

Donghua Li bei seinem Sieg an der Olympiade in Atlanta 1996.

Donghua Li bei seinem Sieg an der Olympiade in Atlanta 1996.

(Bild: zvg)

Spass haben mit Freunden

Ein paar Dinge verrät er dann doch noch. Etwa, dass er seit drei Jahren ein Hobby pflegt, das ihn fast so begeistert wie das Kunstturnen: Golf. Mit einem Strahlen im Gesicht erzählt er, wie er täglich stundenlang Abschläge übt – auch da hat er eine entsprechende Anlage auf der Terrasse –, und wie ihn dieser Sport in den Bann zieht. Und sonst? Gibt es auch den Donghua Li, der mal faul auf dem Sofa sitzt und einfach nichts tut? Dieser nickt eifrig und verrät, dass er sehr gerne Filme anschaut und auch über ein stattliches Home-Cinema-Equipment verfügt. «Ich habe es auch gerne lustig und lache sehr gerne, wenn ich unter Kollegen bin.»

Wie schon am Anfang erwähnt, scheint ihm das zunehmende Alter zumindest körperlich nicht zuzusetzen. «Bis jetzt bin ich gut in Form», sagt er dazu nur mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Dennoch wird auch er nicht jünger – macht ihm das Altern keine Mühe? Er schüttelt den Kopf und erzählt vom chinesischen Filmteam, das gerade eben 17 Tage mit ihm unterwegs war und einen Film über ihn gedreht hat. «Die Filmleute meinten, ich solle doch an der Olympiade 2020 starten. Wenn ich sehr viel trainiere, wäre das möglich.» 2020, mit über 50? «In so einem Alter nochmals Olympiasieger werden, das würde mich schon reizen.» Wieder sein breites Lächeln und die Ungewissheit, wie ernst es ihm tatsächlich ist. Schliesslich winkt er ab. Der Aufwand wäre viel zu gross, meint er. Und fügt leicht schelmisch an: «Vom Körper her wäre es noch möglich, denke ich.»

Mehr Bilder von Donghua Li zeigen wir Ihnen hier in unserer Bildergalerie:

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