Früebüel auf dem Zugerberg: Teil 1

Wo Fremdenlegionäre, Russen und Asylbewerber unterkamen

Hier lebten in den frühen 1980er Jahren russische Soldaten und später Asylbewerber. (Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Com_L32-0055-0001-0005.tif)

Die Geschichte des Gebiets Früebüel auf dem Walchwilerberg hat es in sich: Während heute Forscher ein und aus gehen, wurden hier einst Deserteure auf den rechten Pfad gebracht, Russen interniert und Asylbewerber untergebracht.

Ein Gehöft auf dem Walchwilerberg. Die beiden grossen Ställe sind leer und sauber. Keine Kuh, kein Schaf, kein Schwein ist da. Der typische Geruch nach Vieh fehlt. Womöglich, weil die Jauchegrube mit einer Plane abgedichtet wurde. Auch von den Wohnhäusern auf dem Hof her ist kein Laut zu vernehmen. Einzig ein Büsi spaziert durch den Nebel über den Hofplatz.

Mitten durch den Hof führen die Wanderwege, die von hier aus in Richtung Zugerbergstation, Gnipen, Arth oder Unterägeri führen. Dass es sich nicht um einen üblichen Bauernhof handelt, dürfte Wanderern spätestens dann auffallen, wenn sie die Tafel am Stall entdecken: «AgroVet Strickhof Kuhstall». Hier ist nicht nur die Landwirtschaftsschule Strickhof tätig. Sowohl die ETH als auch die Universität Zürich gehen hier ihren Forschungsprojekten nach. Jedenfalls nach der Sommerpause, wenn das Vieh von der Alp zurück ist.

Tatsächlich forscht die ETH hier seit über 30 Jahren, konkret seit 1989. Forscher und landwirtschaftliche Angestellte sind jedoch nicht die Ersten, die, zumindest temporär, auf dem Hof wohnen. Davon zeugt nicht zuletzt eine Eiche, die am Ende einer 500 Meter langen Allee steht.

Die Eidgenossenschaft erwarb das Areal Früebüel 1943 zum Ausbau und zur Nutzung als Militärstrafanstalt. Der damalige Kommandant Scheuber liess den Baum nach Kriegsende, im Mai 1945, als Zeichen für den Frieden setzen. Was gut gemeint war, hat seine Tücken. Die sogenannte Friedenseiche ist, das ist selbst für Laien erkennbar, nicht sonderlich gesund. Das könnte mit der Höhe zu tun haben, denn das Gewächs steht auf rund 1000 Metern über Meer.

Die Operation Friedenseiche ist so halb geglückt

2010 beschloss das Amt für Raumplanung des Kantons Zug, gemeinsam mit Hans-Rudolf Wettstein, dem Leiter der ETH-Forschungsstation Früebüel, die Rettungsaktion «Operation Friedenseiche». Im Zuge der Aktion sägten Baumpfleger ungesunde Äste der Eiche ab. Nun, 14 Jahre später, lebt das Friedensgewächs zwar noch, macht jedoch einen eher mittelprächtigen Eindruck. Ein Sinnbild unserer Zeit?

Bis 1943 gehörte das Gebiet Früebüel der Korporation Walchwil. Diese verkaufte es dem Eidgenössischen Militärdepartement für knapp 56’590 Franken.

Dass das rund 15 Hektaren und 71 Aren grosse Landstück von der Armee gekauft wurde, ist nicht verwunderlich. «Während des Zweiten Weltkriegs, da war unser Zugerberg immer mit Soldaten besetzt, Lastautos fuhren mit Baumaterial auf den Berg und viele Gebiete waren als Sperrzonen abgesperrt», erinnerte sich der damalige Journalist Heinrich Bütler im Zuger Kalender von 1948.

«Der friedliche Berg wurde befestigt, damit er im Ernstfalle zu einer ersten grossen Auffangstellung des Reduits geworden wäre. Tankgräben durchziehen als tiefe Furchen seitdem seine Hochfläche und manch andere kriegerische Anlage wird von den ernsten Zeiten erzählen», schreibt Bütler weiter. Auch 76 Jahre später sind diese Gräben und Bunker noch sichtbar. Bütler schreibt auch von der militärischen Strafkolonie, die 1942 von Savatan bei Saint-Maurice hierher – ins Früebüel – verlegt worden sei. «Die Gefangenen, oft bis 120 Mann, haben dann den Boden gereutet und unter kundiger Leitung gepflanzt und aus der Wildnis ein fruchtbares Gebiet gemacht.»

Auf 1000 Metern Kartoffeln anzupflanzen, wurde zur Pflicht

Dass man auf dem Zugerberg anfing, Gemüse und Korn anzubauen, passierte nicht freiwillig. Während der Kriegs- und Krisenjahre des Zweiten Weltkriegs entwickelte das eidgenössische Pflanzwerk verschiedene Gemüsebau- und Vorsorgepläne. Der Pflichtanbau galt auch für 60 Hektaren Land auf dem Walchwilerberg. Zunächst wurde die Korporation als anfängliche Landeigentümerin in die Pflicht genommen, welche in der Gemeinde Mitarbeiter und Hilfskräfte suchte. Später übernahm der Bund respektive die militärischen Sträflinge diese Arbeit.

Aus jener Zeit stammt eines der Gebäude, die noch heute prominent sichtbar sind und trotz des neuen Farbanstrichs unschwer erkennen lassen, dass es sich einst um eine militärische Einrichtung handelte. Das ehemalige Verwalterhaus und Ökonomiegebäude wird heute von Forschern als Büro und Wohnraum genutzt.

Das ehemalige Wohn- und Verwaltergebäude der Strafanstalt hat mittlerweile ein paar bauliche Anpassungen erfahren. (Bild: wia)

Das Barackenlager, in dem die Gefangenen im offenen Strafvollzug zunächst lebten, ist hingegen verschwunden. Zu kalt wurde es dort im Winter. Stattdessen wurde eine bessere Unterkunft für die Gefangenen gebaut. Nachdem die Felder mit viel Aufwand urbar gemacht worden waren, hielten Kühe, Schafe, Schweine und Hühner im Früebüel Einzug.

Der Strafvollzug im Früebüel scheint nicht mit allzu strenger Hand geführt worden zu sein. Jedenfalls schildert ein ehemaliger Häftling seine Erlebnisse auf dem Früebüel während der frühen 60er-Jahre in einer späteren Ausgabe des Zuger Neujahrsblatts als sehr positiv. Der Zuger hatte sich in Frankreich der Fremdenlegion anschliessen wollen, wurde jedoch gefasst und vom Militärgericht zu vier Monaten «Haft» verdonnert.

Der Früebüel brachte Gewisse zurück auf den rechtschaffenen Pfad

«Ich erinnere mich noch genau: An der Bergstation erwartete mich der Hauptmann Scheurer, der Leiter des Früebüels. Von da an, ich war jetzt 27, verlief mein Lebensweg anders», erinnerte sich der Mann. Der Hauptmann – es dürfte sich um denselben Mann handeln, der 17 Jahre davor die Friedenseiche pflanzen liess – scheint einen humanen Umgang mit den Häftlingen gepflegt zu haben. «Er wollte wissen, weshalb ich hier oben gelandet sei. Er erkundigte sich nach meiner Kindheit und Jugend. Als er meine Geschichte kannte, sagte er sich wohl: ‹Wenn ich kann, will ich dem Burschen helfen.› Das hat er auch getan.» Der Hauptmann sorgte dafür, dass der Zuger nach seiner Entlassung eine Arbeit erhielt, und er habe eine «Affengeduld mit uns Banditen» gehabt.

Über seinen Aufenthalt sagte der Mann: «Wir waren ungefähr 15 Männer im Früebüel. Gegessen und geschlafen haben wir in einer Baracke. Der Hauptmann wohnte nebenan in einem schönen Haus.» Es dürfte sich um bereits erwähntes Gebäude handeln, das noch heute steht. «Die Zeit dort oben war für mich wie ein Ferienlager. Ich war für die Hühnerfarm verantwortlich. Morgens musste ich die Eier holen und misten. Danach war der Tag für mich gelaufen.»

Die ehemalige Strafanstalt Zugerberg im Jahr 1983. (Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Com_L32-0055-0002-0001.tif)

Eine Spur des Kalten Krieges

Jahre später wehte wegen des Früebüels ein Hauch des Kalten Krieges über die sanften Hügel des Walchwilerbergs. Ende der 70er marschierte die Sowjetarmee in Afghanistan ein. Nicht allen russischen Soldaten gelang die Einreise ins Land. Einige wurden von afghanischen Freiheitskämpfern verschleppt.

So geschah es auch dem damals 19-jährigen Jurij Povarnitsin. Dank Verhandlungen zwischen dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) und der UdSSR auf der einen Seite und den afghanischen Rebellen auf der anderen wurde Povarnitsin gemeinsam mit zwei weiteren kommunistischen Soldaten in die neutrale Schweiz geflogen. Nach maximal zwei Jahren sollten sie wieder in ihr Heimatland geschickt werden.

Povarnitsin landete zunächst in Bern, wurde jedoch später mit weiteren Soldaten in Zug festgehalten. Es dürfte nicht leicht gewesen sein, die auf dem Walchwilerberg Internierten in Schach zu halten. Trotz extra montierten Stacheldrahtzäunen, Wachtürmchen und patrouillierenden Soldaten. Sie randalierten, tranken, klauten Töfflis und versuchten zu flüchten. Einem Soldaten gelang die Flucht per Autostopp nach Deutschland, wo er politisches Asyl beantragte. Jurij Povarnitsin und ein weiterer Soldat versuchten dies in der Schweiz. Mit Erfolg. Beide konnten bleiben (zentralplus berichtete).

Auch Asylbewerber lebten hier

Anfang 1989 wurden die Gebäude auf dem Gutsbetrieb Früebüel teilweise an die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) übergeben. Ein Teil der Liegenschaften blieb jedoch unter der Verwaltung des Militärs. In diesen wurden zeitweise rund dreissig Asylbewerber einquartiert. Dies als Entlastungsmassnahme, da die Durchgangsstation Hinterberg in Steinhausen platztechnisch bereits auf dem Zahnfleisch lief. 1996 brannte ein Teil des Asylzentrums ab.

Heute hat sich das Militär ganz vom Früebüel zurückgezogen. Das gesamte Areal steht im Zeichen der Forschung. Auch wenn man den Rindern, die etwas entfernt vom Hof auf der Weide stehen und den Passantinnen neugierig nachblicken, auf den ersten Blick nicht ansieht, dass sie zu einem Forschungsprojekt gehören. Und obwohl man den Sensoren, die auf einer Wiese stehen, nicht anmerkt, dass sie Spektakuläres aufzeichnen.

Damit, was heute im Früebüel genau passiert, befasst sich zentralplus in einem nächsten Artikel.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Hans-Rudolf Wettstein
  • Artikel der «Zuger Zeitung» zur Operation Friedenseiche, 2010
  • Augenschein
  • Website Agrovet-Strickhof
  • Zuger Kalender 1948
  • Informationen aus dem Staatsarchiv Zug
  • Informationen der Gemeinde Walchwil
  • Zuger Neujahrsblatt 2008
  • Artikel «NZZ» zu den Zugerberg-Russen
  • Archiv der ETH-Bibliothek
  • Schriftlicher Austausch mit der Korporation Walchwil
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