Teil 2: Regiert Bürokratie Luzerns Nachtleben?

Gastronomen klagen über pingeliges Vorgehen der Behörden

Gastronomen kämpfen in Luzern mit verschiedenen Auflagen und Behörden. (Bild: Adobe Stock)

Trinkverbot auf dem Trottoir und Polizeieinsätze wegen einer Bar auf einem Stromkasten: Wer in der Stadt Luzern urbane Freiräume bespielen will, muss sich durch den bürokratischen Behördendschungel kämpfen – und mit Repressalien rechnen.

Boulevardflächen auf Parkplätzen oder Trottoirs, bewilligt im «stark vereinfachten Verfahren» – das war während der Pandemie in der Stadt Luzern noch möglich. Damit ist nun aber Schluss. Wie zentralplus im ersten Teil aufzeigte, entschied der Stadtrat, anstelle der kulanten Handhabe wieder auf die «penible und wortgetreue» Durchsetzung der Reglemente zu setzen. Die Rückkehr zum Status quo begründet die Stadt Luzern vor allem mit fehlendem juristischem Handlungsspielraum.

Doch wie S. Späth*, ein Stadtluzerner Gastronom, der aus Angst vor «Repressalien» anonym bleiben will, betont, sei die Stadt Luzern nicht nur zur präpandemischen Praxis zurückgekehrt. Vielmehr scheine der öffentliche Raum heuer so restriktiv kontrolliert zu werden wie noch nie.

Luzerner Polizei zieht die Schrauben an

«Wir hatten vor der Pandemie nie Probleme mit Gästen, teilweise Dutzenden, die vor unserem Lokal mit Glas oder Plastikbecher ihren Drink im Stehen konsumierten.» Um für Ruhe und Ordnung zu sorgen, habe er einen Türsteher engagiert. «Probleme mit Nachbarn oder der Polizei gab es nur sehr, sehr selten», beteuert Späth.

Nach der Pandemie habe sich die Situation aber schlagartig und komplett verändert. «Mit Getränken vor unserem Lokal stehende Gäste waren plötzlich nicht mehr erwünscht. Jedes noch so kleine Grüppchen reichte für eine Busse samt Anzeige», sagt Späth. «Dabei liess die Polizei nicht mit sich reden. Sozialkompetenz und gesunder Menschenverstand fehlten komplett.»

Nur wer spurt, wird in Ruhe gelassen

Das «repressive Vorgehen» – so nennt es Späth – zeigte Wirkung. «Seit letztem Sommer setzen wir die restriktive Politik der Stadt Luzern zu 100 Prozent um.» Der Türsteher lasse Gäste mit Getränken in der Hand nicht mehr nach draussen. Dies wiederum habe dazu geführt, dass er seither mit der Stadtverwaltung und der Luzerner Polizei keine Probleme mehr gehabt habe.

Ähnliche Erfahrungen machte auch Roger Duvoisin von der Raviolibar. «Letztes Jahr wollten sie uns verbieten, dass unsere Gäste draussen vor dem Lokal rauchen», sagt der Wirt. «Die rauchenden Gäste blockieren die Bushaltestelle», hätten ihm die Behörden zu verstehen gegeben. Darum sei die Polizei immer wieder vorbeigekommen und habe der Raviolibar Bussen ausgestellt. Nach klärenden Gesprächen und seit er für 20’000 Franken pro Jahr einen Türsteher engagiert, wurden die Probleme mit der Polizei weniger.

Durchgang von 1,80 Metern muss gewährleistet sein

Gegenüber zentralplus erklärt die Stadt Luzern, wieso es nicht angehe, dass bei Gastronomiebetrieben, die keine Boulevardbewilligung haben, dennoch trinkende Gäste vor dem Lokal stehen. «Im Leitfaden wird eine minimale Durchgangsbreite von 1,80 Metern festgelegt», schreibt sie – für Fussgängerinnen und die Strassenreinigung.

Davon, dass diese Vorgabe in den vergangenen Jahren vermehrt zu Bussen und Anzeigen geführt hat, will der zusammen mit der Dienststelle Stadtraum und Veranstaltungen (STAV) für die Kontrolle zuständige Bereich Gastgewerbe und Gewerbepolizei nichts wissen. Die Praxis sei nach der Pandemie nicht verschärft worden.

«Stadt Luzern verfällt in einen Dornröschenschlaf»

Das sieht Duvoisin anders. «Ein Türsteher zur Einhaltung dieser Vorgaben war früher nicht nötig», ist er überzeugt. Und hofft, dass der neu gewählte linke Stadtrat für einen Kurswechsel sorgen wird. Auch Späth sieht die Entwicklung der vergangenen Jahre kritisch: «Die Stadt Luzern verfällt in einen Dornröschenschlaf und wird immer uninteressanter und langweiliger für Junge und Junggebliebene.»

Nicola Blatter ist einer dieser Jungen. Der Luzerner hat sich als Organisator aussergewöhnlicher Veranstaltungen einen Namen gemacht. Mit seinen Freunden stellte er beispielsweise eine Technoparty im Zug oder eine Bar samt Livemusik auf einem Saunaboot auf die Beine. Bekanntheit erlangte Blatter aber in erster Linie als Betreiber der Kastenbar (zentralplus berichtete).

Gibts in der Stadt Luzern keinen Platz für Utopien?

Doch die Kastenbar, bestehend aus ein paar Getränken, die Blatter jeweils auf den namensgebenden Stromkasten an einer Strassenecke im Bruchquartier stellte, wurde von der Luzerner Polizei eines Abends geräumt. Weil Blatter für die über den «schlichten Gemeingebrauch» hinausgehende Nutzung des öffentlichen Grundes keine Bewilligung eingeholt hatte (zentralplus berichtete).

Nicola Blatter ist Mitgründer des Vereins Kastenbar. (Bild: jdi)

Auch Blatter erhofft sich von der Stadt Luzern weniger Bürokratie und mehr Flexibilität. «Dass die hiesigen Behörden das Beleben der Stadt unterbinden, widerspricht dem Bedürfnis, nach aussen progressiv und modern wirken zu wollen», sagte er vergangenen Herbst im Interview mit zentralplus. «Darum bezeichnen uns die Zürcher, Berner und Basler auch als ‹Buure›.»

«Das klingt vielleicht naiv», fuhr er fort, «aber ich fände es schön, würden solche Aktionen im juristischen Graubereich toleriert. Momentan sind sie nicht mehr als eine Utopie.»

Andernorts brauchts für eine Kastenbar keine Bewilligung

Als Nicola Blatter sein Konzept nach Bern exportierte, sich mit Freundinnen und Bekannten, ein paar Getränken und etwas Musik an einen Stromkasten stellte, ist er damit gar nicht erst aufgefallen. «Alle, die an uns vorbeispazierten, fanden das völlig normal.» Für die letzte Veranstaltung hat sich Blatters Verein die urbanen Freiräume in Zürich gesucht.

Unter dem Motto «Beers, Beats, Barbers» tanzten Junge und Junggebliebene an einem lauen Frühlingsabend an der Uetlibergstrasse. Beim Stromkasten an der Bruchstrasse hingegen bliebs am besagten Abend ruhig.

Wie verschlafen die Stadt Luzern tatsächlich ist und was sie unternimmt, um urbane Freiräume zu beleben, liest du im dritten Teil. Er wird in den kommenden Tagen auf zentralplus erscheinen.

*Name der Redaktion bekannt

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Roger Duvoisin, Wirt der Raviolibar
  • Telefonat mit S. Späth, Wirt einer Bar
  • Schriftlicher Austausch mit der Stadt Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Nicola Blatter, Mitgründer des Vereins Kastenbar
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