Polarisierende Politikerin

Yvette Estermanns Patriotismus steht nicht mehr zur Wahl

Polarisierend und patriotisch durch und durch: Nationalrätin Yvette Estermann (SVP) (Bild: Archivbild: zvg)

Sie hat die Schweizer Flagge aufs Bundeshaus gesetzt – und daneben viele verärgert. Auch die eigene Partei. Die Luzerner SVP-Nationalrätin Yvette Estermann (56) tritt im Herbst nicht mehr an. Das hat sie schon vor drei Jahren so entschieden.

Die Berichte über den Rückzug von Yvette Estermann (SVP) gleichen einer Würdigung. Sie lassen beinahe vermuten, die Nationalrätin sei verstorben. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die streitbare Politikerin, die von sich sagt, sie ecke gerne an (zentralplus berichtete), ist quicklebendig.

Ich wusste schon nach den letzten Wahlen, dass das meine letzte Amtsperiode ist, habe es aber erst jetzt mitgeteilt.»

Yvette Estermann, Luzerner Nationalrätin SVP

2007 erstmals in den Nationalrat gewählt, will die bald 56-Jährige Ende Jahr ihre vierte und letzte Amtsperiode beenden. Sie stellt sich bloss nicht ein viertes Mal zur Verfügung. Sie sagt auf Anfrage: «Nach 16 Jahren als Nationalrätin ist es Zeit geworden, jemand anderem Platz zu machen. Ich wusste schon nach den letzten Wahlen, dass das meine letzte Amtsperiode ist, habe es aber erst jetzt mitgeteilt.»

Was nicht wenige mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen dürften. Die in der damaligen Tschechoslowakei aufgewachsene Politikerin aus Kriens hat es geschafft, nicht nur das Politspektrum links und rechts mit teils sehr eigenwilligen Stellungnahmen und Vorstössen zu brüskieren. Sie hat sich auch viel Gegnerschaft in der eigenen Partei geschaffen. Zuletzt war sie des Öfteren isoliert.

«Es gibt in der Politik immer öfter die Situation, dass es eine klare Position gibt, die zu vertreten und entsprechend zu verteidigen ist. Das war früher seltener der Fall.»

In der Luzerner Zeitung erwähnte sie, dass sie mit der zunehmend polarisierenden Politik Mühe hat. Damit konfrontiert, was sie dazu sage, dass sie auch selber zu dieser Polarisierung beitrage, schreibt sie: «Es gibt in der Politik immer öfter die Situation, dass es eine klare Position gibt, die zu vertreten und entsprechend zu verteidigen ist. Das war früher seltener der Fall.»

Es gelingt ihr nicht, genügend Unterschriften für Initiativen zu sammeln …

Zu ihrer aktuellen politischen Arbeit: Derzeit unterstützt die SVP-Nationalrätin zwei Abtreibungsinitiativen. Die «Einmal-darüber-schlafen-Initiative» will die Verfassung dahingehend ändern, dass Frauen, die abtreiben wollen, einen Tag Bedenkzeit einlegen müssen. Als Mitunterstützerin einer zweiten Initiative macht sie sich für Ungeborene im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium stark.

Sobald ein Ungeborenes ausserhalb des Mutterleibs überleben könnte, selbstredend mit geeigneter medizinischer Unterstützung, darf es nicht mehr abgetrieben werden. Aktuell wäre dies noch erlaubt, sofern die Gesundheit der Schwangeren ernsthaft gefährdet ist (zentralplus berichtete). Wie Mitinitiant David Trachsel gegenüber der «Luzerner Zeitung» verlauten liess, seien gerade mal zwei Drittel der benötigten Unterschriften für die beiden Initiativen gesammelt. Diese bis im Juni noch zu erreichen betrachtet er als «Herausforderung».

Damit steht zum wiederholten Mal eine Initiative auf dem Spiel, die Estermann mitinitiiert hat. So haben drei von ihr initiierte Initiativen die erforderliche Unterschriftenhürde nicht geschafft. Damit konnte das Schweizer Stimmvolk weder zur Krankenkasse light noch zur Steuerfreiheit für AHV-Renten noch zur Abschaffung der Sommerzeit befragt werden.

… doch hat sie vier Mal genügend Wahlstimmen erhalten

So bleibt Yvette Estermann in den Annalen Bundesberns einzig mit einem erfolgreichen nationalrätlichen Vorstoss verewigt. Dank ihr wird auf dem Dach des Bundeshauses permanent die Schweizer Fahne gehisst. Sie hat dem Schweizer Parlament viel Patriotismus vorgelebt. So trat die schweizerisch-slowakische Doppelbürgerin am 3. Dezember 2007 in volkstümlicher Tracht zur Vereidigung als Nationalrätin an.

Krachend gescheitert ist sie dann allerdings mit dem Versuch, die Schweizer Nationalhymne zu schützen. Und das Parlament hat sich auch nicht ihrem Begehren fügen wollen, jeweils zu Beginn der Session die Nationalhymne zu singen. Statt diesen Sololauf zu tätigen, hätten allenfalls Vorabklärungen zur Stimmungslage unter Kolleginnen geholfen.

«In der letzten Legislatur habe ich nicht aus Politikmüdigkeit mehrmals gefehlt. Ich hatte Pech mit zwei Unfällen. Ich liess sie ausheilen, statt mir ein Arztzeugnis zu holen.»

Die Wahl zur Nationalrätin hat sie allerdings immer wieder geschafft. Wenn auch mit abnehmendem Erfolg: 2015 hat sie mit 44'237 Stimmen hinter Ida Glanzmann (damals CVP) kantonsweit den zweiten Platz belegt. Wohl mitbegünstigt durch ihre gleichzeitig gescheiterte, aber nichtsdestotrotz werbewirksame Kandidatur für den Ständerat. 2019 sah es dann, mit noch neun statt zehn kantonsweit zur Verfügung stehenden Nationalratssitzen, ganz anders aus: Mit 32'217 Stimmen konnte sie Vroni Thalmann-Bieri (SVP) um knappe 109 Stimmen überflügeln, andernfalls wäre sie abgewählt gewesen.

Trotz Entscheid im Voraus: Ausgangslage wäre schwierig gewesen

Auch wenn Yvette Estermann schon vor drei Jahren entschieden hat, es nicht wieder zu versuchen: Diesen Herbst hätte sie es eher schwer gehabt für eine fünfte Amtsperiode. Denn sie hat auch Anlass zu Zweifeln an ihrer Leidenschaft für die Politik gegeben. War sie in der Legislatur 2015 bis 2019 noch als Parlamentarierin mit der höchsten Abstimmungsquote in Bundesbern aufgefallen, war sie in der vergangenen Legislatur bis zum Jahreswechsel 2023 diejenige, die den meisten Parlamentssitzungen fernblieb (zentralplus berichtete)

Doch für diese Absenzen hat sie eine Begründung: «In der letzten Legislatur habe ich nicht aus Politikmüdigkeit mehrmals gefehlt. Ich hatte Pech mit zwei Unfällen. Ich liess sie ausheilen, statt mir ein Arztzeugnis zu holen.» Deswegen seien diese Absenzen als unentschuldigt verbucht.

Damit kurz zur Vorgeschichte um Yvette Estermann. Sie dürfte dem Verständnis ihrer politischen Arbeit dienlich sein: Seit 1993 in der Schweiz lebend, hat es die Medizinerin 2005 als erste Luzerner SVP-Vertreterin überhaupt ins Kantonsparlament geschafft. 2007 gelang ihr die Wahl sie in den Nationalrat.

Doktortitel aberkannt – Doktormühle in Teufen mitbetrieben

Apropos Medizinerin: Sie ist in der Schweiz während Jahren als Dr. med. aufgetreten. Diesen hatte ihr dann aber die Swiss Medical Association (FMH) entzogen, weil sie in Bratislava zwar ein Medizinstudium absolviert hatte, dieses aber nicht mit einer Dissertation abschloss, wie es hierzulande für den Dr. med. erforderlich ist. Seither führt sie den Titel «MU Dr., Comenius-Universität in Bratislava.» Nach einer Weiterbildung in klinischer Homöopathie eröffnete sie 1995 eine eigene Praxis für Komplementärmedizin und Homöopathie in Luzern.

Ganz entgegen der nicht wissenschaftlich belegbaren Lehrmeinung der Homöopathie, dass eine x-fache Verdünnung besonders viel Wirkung zeige, agiert Yvette Estermann nicht nur in der Politik, sondern auch als Unternehmerin nicht in homöopathischen Dosen. So war sie schon in den Nationalrat gewählt, als auskam, dass ihr Ehemann Richard Estermann als Inhaber der freien Universität Teufen mit Lizentiaten und Doktortiteln Handel betrieb. In deren Verwaltungsrat hatte auch sie von 2004 bis 2005 Einsitz gehabt.

Die Geschäftsidee von Richard Estermann war so einfach wie lukrativ: Wer in der Lage war, genügend Geld aufzubringen, konnte sich an seiner Uni Teufen Studienabschlüsse und Doktortitel kaufen. Das ersparte die Mühsal des Unterrichts, Büffelns, Recherchierens und Schreibens. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden war dies aufgrund fehlender gesetzlicher Bestimmung möglich, also nicht illegal. Aber moralisch durchaus verwerflich.

Zahlreiche Stellungnahmen, die auf Kritik und gar Spott stossen

Dieser Tolggen im Reinheft zuzüglich ihrer patriotisch überladenen Vorstösse hat Yvette Estermann auch anderweitig viel Kritik eingebracht. Vor allem in jüngster Zeit im Zusammenhang mit der Coronakrise, dem Ukrainekrieg, dem Klimawandel oder der US-Präsidentschaft Donald Trumps. Immer wieder nahm sie Stellung zu heiklen Fragen, ohne anscheinend die genaueren Hintergründe zu kennen. Was zu einem kommunikativen Harakiri ausarten kann. So zeigen folgende Beispiele ein sehr durchzogenes Bild der Politikerin, die sich zunehmend isoliert hat.

Anfang Dezember 2022 teilte sie beispielsweise völlig unkritisch eine Twitter-Fake-News zu einer nicht stattfindenden Klimaerwärmung. Mit dem Wortlaut «Vielen Dank. Sehr gut dargestellt» kommentierte sie den Post eines deutschen Unternehmensberaters mit «Umsturzphantasien» (zentralplus berichtete). Der angesehene Schweizer Klimaforscher Reto Knutti (ETH Zürich) stellte die Falschmeldung umgehend bloss. Über 200 Kommentatoren warfen Estermann infolgedessen vor, Verschwörungstheorien zu verbreiten, und liessen Zweifel an ihrer Kompetenz als Politikerin und Ärztin laut werden.

Weiter griff Yvette Estermann im «Willisauer Boten» vom 22. November 2022 die Sanktionspolitik der Schweiz gegenüber Russland mit dem Argument an, dies schade der Verlässlichkeit der Schweiz als Partner für Friedensbemühungen. Das Schweizer Vorgehen der Sanktionierung widerspreche der Neutralität. Der Tatsache, dass Russland mit diesem Angriffskrieg Völkerrecht massiv verletzt und damit verantwortlich ist für Zehntausende von Toten, gedachte sie mit keinem Wort.

Eine Wiederwahl wäre nur schwer möglich gewesen

Ende 2019 arbeitete die «Mittelland-Zeitung» auf, auf welch seltsamen Helfer und Verschwörungstheoretiker sich Yvette Estermann mit ihren Initiativen zur Sommerzeitabschaffung, steuerfreien AHV-Renten und Krankenkasse light abstützt.

Das Alpenparlament, so der Name der Gruppierung aus dem Berner Oberland, hatte damals mit der Verschwörungstheorie der sogenannten Chemtrails – Flugzeuge würden gesundheitsschädigende Substanzen versprühen – für Stirnrunzeln gesorgt. Statt sich von diesen Leuten, die sich selbst als Freidenker betitelten, zu distanzieren, hatte Estermann damals erwähnt, sie sehe kein Problem darin, von dieser Gruppierung unterstützt zu werden.

Geradezu gespenstisch mutet im Rückblick ihre Unterstützung von Donald Trump an. Im November 2017, ein Jahr nach der Wahl von Donald Trump, zeigte sich Yvette Estermann begeistert vom Ex-Präsidenten. Und meinte, er könne noch etwas russland-freundlicher sein. Dies notabene zu einem Zeitpunkt, als ihm andere bereits mit aller Deutlichkeit die Kompetenz zur Amtsführung absprachen. Fairerweise muss man sagen: In der Ära Trump haben sich auch andere Schweizer Politiker nicht eben mit Ruhm bekleckert.

Trotzdem: Mit all dem auf dem Kerbholz wird deutlich, dass es mit Yvette Estermanns Ankündigung höchste Zeit ist. Gut möglich, dass sie mit ihrem Nicht-wieder-Antreten schlicht und einfach einer Abstrafung der Wählerinnen in diesem Wahlherbst zuvorkommt.

Fakt ist: Die Luzerner Stimmbevölkerung hat Yvette Estermann vier Mal zur Nationalrätin gewählt. Die beiden haben sich damit auch voll und ganz verdient. Auch diese politische Wahrheit gilt es zu würdigen.

Verwendete Quellen
  • Telefonat und Mailwechsel mit Yvette Estermann
  • Medienarchiv zentralplus
  • SRF-Newsportal zu «Die Landeshymne braucht keinen Schutz»
  • Aargauer Zeitung zu den seltsamen Helfern von Yvette Estermann
  • Infosperber mit einer kritischen Auseinandersetzung zu Estermanns Buch «Erfrischend anders»
  • lu-wahlen mit Leserbrief des damaligen Kantonsrats Michael Töngi (Grüne) zu Estermanns Buch «Erfrischend anders»
  • Willisauer Bote mit dem Gastbeitrag Yvette Estermanns, in welchem sie die Schweizer Sanktionspolitik kritisiert.

3 Kommentare
Apple Store IconGoogle Play Store Icon