Idee eines Politologen

Wie Ausländer die Emmer Stimmbeteiligung retten könnten

In Emmen gehen nur wenige abstimmen – doch was wäre, wenn auch Ausländer ein Stimmrecht hätten? (Bild: ewi)

Im Schnitt geht nur jede dritte Emmerin wählen. Der Politologe Mark Balsiger schlägt eine Diskussion um das Ausländerstimmrecht vor. Die Gemeinde wiederum versucht es anders.

Wie kann die Gemeinde Emmen ihre Abstimmungsmuffel an die Urne locken? Die Agglomerationsgemeinde ist zwar die zweitgrösste des Kantons – belegt jedoch punkto Stimmbeteiligung meistens einen der letzten Plätze (zentralplus berichtete). In den vergangenen Jahren machte im Schnitt nur jeder dritte Emmer Gebrauch von seinem Stimmrecht. Nur an einzelnen Tagen, an denen sehr emotionale Themen, wie etwa das Covid-19-Gesetz, zur Abstimmung kamen, waren es mehr als die Hälfte. Aber: Andere Gemeinden verzeichneten an den gleichen Tagen eine Rekordbeteiligung von rund 80 Prozent.

Dass die Emmer im Vergleich Abstimmungsmuffel sind, ist auch der lokalen Politik bewusst. Vor einem Jahr liess die Gemeinde Emmen deshalb die Politabstinenz ihrer Stimmbürgerinnen durch die Hochschule Luzern untersuchen (zentralplus berichtete). Gemäss der Studie fühlten sich viele Emmerinnen in der Gemeinde nicht wirklich zugehörig, könnten sich mit politischen Themen nicht identifizieren oder würden sich schlicht nicht dafür interessieren. Als Konsequenz lancierte die Gemeinde das Puzzleteil-Maskottchen Emma, das als Chatbot die Fragen der Emmer beantwortet.

Die Einwohnerräte haben dem Thema politische Partizipation allein 2023 mehrere Vorstösse gewidmet. Die SP schlug etwa vorfrankierte Couverts, einen Migrationsbeirat oder eine vereinfachte Einbürgerung vor (zentralplus berichtete). Die Mitte-/GLP-Fraktion wiederum verlangte erstmals spezifische Daten zur Stimmbeteiligung, damit die Gemeinde ihre Anstrengungen auf gezielte Zielgruppen fokussieren kann (zentralplus berichtete). Der bekannte Schweizer Politologe Mark Balsiger schlug in einem Interview mit der Gemeinde im Hinblick auf die Kommunalwahlen einen anderen Weg vor: das Ausländerstimmrecht.

Heute nur rund die Hälfte stimmberechtigt

Denn: Gemäss neuesten Zahlen der Gemeinde hat Emmen einen Ausländeranteil von 38 Prozent. Zusätzlich Minderjährige und anders Ausgeschlossene ausgenommen, ist nur knapp die Hälfte der Gemeinde stimmberechtigt. Klammert man einen ähnlichen Anteil an Minderjährigen und Co. bei den Emmer Ausländerinnen aus, könnten mit Ausländerstimmrecht potenziell rund 10’000 weitere Emmer an der Urne abstimmen. Oder anders gesagt: Neu wären vier von fünf Emmerinnen stimmberechtigt.

Ein grosses zusätzliches Abstimmungspotenzial. Auf die Frage, ob die Gemeinde im Nachgang der Studie auch Massnahmen wie das Ausländerstimmrecht überprüft habe, erhält zentralplus nur eine generelle Antwort zurück: «Wir befassen uns aktuell mit diversen Fragestellungen bezüglich Erhöhung der Partizipation, die sich aus langfristiger Perspektive dann auch positiv auf die Erhöhung der Stimm- und Wahlbeteiligung auswirken», hält Gemeindepräsidentin Ramona Gut-Rogger (FDP) fest. Zudem habe der Gemeinderat «noch keine konsolidierte Haltung» zum Ausländerstimmrecht.

Im Kanton Luzern mehrfach abgeschmettert

Eine recht gefestigte Meinung hat hingegen die Politik auf kantonaler Ebene: Der Luzerner Kantonsrat hat vor rund eineinhalb Jahren die Einführung eines gemeindlichen Ausländerstimmrechts abgelehnt (zentralplus berichtete). Auch die Luzerner Stimmbevölkerung durfte sich bereits dazu äussern. Sie schickte das Vorhaben 2011 sehr deutlich bachab: Gerade mal 16 Prozent legten ein Ja ein.

Ebenfalls «Njet» sagte kürzlich das Eidgenössische Parlament zur Idee. Der Nationalrat erteilte im Juni 2022 zwei Initiativen, die Stimmrechte für Ausländerinnen forderten, eine Abfuhr. Dies mit der Begründung, dass Ausländer sich einbürgern lassen könnten, um am politischen Leben teilzuhaben. Zudem sei dies Sache der Kantone.

Diese Option nutzen denn auch einige, vor allem welsche, Kantone. In den Kantonen Jura und Neuenburg dürfen Ausländerinnen in der kommunalen und kantonalen Politik mitmischen. In Waadt, Freiburg, Genf, Basel-Stadt, Graubünden und Appenzell Ausserrhoden immerhin auf Gemeindeebene.

Ausländerstimmrecht ist kein Garant für Nutzung

Doch die Möglichkeit ist noch kein Garant dafür, dass sie ihr Stimmrecht auch nutzen, wie ein Artikel von «Swissinfo» zeigt. In Genf lag die Wahlbeteiligung 2020 bei den Ausländerinnen gerade mal bei 23 Prozent. In Neuenburg wählten Ausländer zwischen 2003 und 2020 im Schnitt noch weniger: 18 Prozent.

Forscher der Universität Neuenburg haben daraufhin in einer Studie bei den extremen Abstimmungsmuffeln der beiden Kantone nachgefragt, warum nur so wenige von ihnen wählen würden. Das waren vor allem Spanier und Portugiesinnen. Das Fazit von Co-Autor Philippe Wanner, Professor am Institut für Demografie und Sozioökonomie der Universität Genf: «Sie fühlen sich nur schwach mit der Schweiz verbunden.»

Wie die Co-Autorin Rosita Fibbi, Forscherin an der Universität Neuenburg, gegenüber «Swissinfo» hinzufügt, empfänden viele ihre Situation als instabil. Ihre Miet- und Arbeitsverträge könnten jederzeit gekündigt werden, und sie seien Zielscheiben von Diskriminierung. Diese Einstellung variiere jedoch im Laufe der Zeit und nach sozioökonomischer Situation der Menschen. Beispielsweise würden sich auch Expats kaum an Wahlen beteiligen.

All dies zum Trotz: Die Forschung zeige, dass die Einführung eines Ausländerstimmrechts unabhängig von dessen tatsächlicher Nutzung einen positiven Einfluss auf die Stimmbeteiligung habe. Auch bei bereits eingebürgerten Stimmbürgerinnen fördere dies die Partizipation.

Verwendete Quellen
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