Doppelspur am Zugersee

Kritik an Millionenprojekt: Milizpolitiker stossen an Grenzen

Haben die Milizpolitiker im Zuger Kantonsrat für komplexe Geschäfte genügend Zeit und Ressourcen? (Bild: Andreas Busslinger)

Ein Experte bezweifelt, ob der Nutzen des Doppelspur-Ausbaus am Zugersee die millionenschweren Investitionen rechtfertigt. Das wirft die Frage auf: Stossen Milizpolitiker bei komplexen Geschäften an ihre Grenzen? zentralplus hat in Zug nachgefragt.

Wer die Situation auf der SBB-Strecke am Zugersee aus heutiger Sicht analysiert, muss zum Schluss kommen, dass es auch ohne die teure Doppelspur bei Walchwil gegangen wäre. Man hätte bloss den zweiten Takt der S2 schon in Oberwil statt erst in Walchwil enden lassen müssen (zentralplus berichtete).

Aus dem Protokoll der Kantonsratssitzung von 2013 beispielsweise ergibt sich aber nicht, dass diese Möglichkeit damals transparent kommuniziert respektive wirklich erkannt wurde. Für die durchschnittlich interessierte Kantonsrätin war es daher wohl eher schwierig, die beschriebene «Null-Kosten-Variante» von sich aus zu erkennen.

Immerhin hätte ein Nichteintreten-Entscheid damals eine interessante Grundsatzdebatte auslösen können. Stellt sich die Frage: Zeigt sich anhand dieses Beispiels ein grundlegendes Problem? Ist es denkbar, dass die Milizpolitiker bei komplexen Geschäften gelegentlich an ihre Grenzen stossen?

«Kantonsrat versteht auch komplexe Probleme gut»

Drei befragte Kantonsräte aus Nichtregierungsparteien schätzen die Situation unterschiedlich ein. Kantonsrat Daniel Marti von den Grünliberalen erkennt kein grundsätzliches Problem: «Auch komplexe Probleme und Sachverhalte werden vom Kantonsrat gut verstanden, denn sie werden vorab in den Kommissionen in allen Details intensiv diskutiert.»

Die Kommissionsmitglieder und insbesondere das Kommissionspräsidium hätten dabei Zugriff auf die Sachexperten in der Verwaltung. Die Milizpolitiker könnten Abklärungsaufträge und auch externe Expertisen beauftragen. «Es ist im Interesse der Verwaltung und der Regierung, den Kantonsräten keine Informationen vorzuenthalten. Dies würde sich nicht auszahlen, da der Kantonsrat als Aufsichtsgremium entsprechend mit zusätzlichen Abklärungen, Kontrollen und engerer Führung der Regierung reagieren würde.»

«Die Grenzen für Kantonsrätinnen und Kantonsräte liegen weniger in der Komplexität selbst, sondern eher in der zur Verfügung stehenden Zeit.»

Anastas Odermatt, ALG-Kantonsrat

Auch Kantonsrätin Hanni Schriber-Neiger von den Grünen – die Alternative ist der Auffassung, dass die Kantonsräte gut informiert sind. «Ich bin klar der Meinung, dass sich alle Entscheidungsträgerinnen bis zu den Kantonsratssitzungen genügend ins Bild setzen können und dies bei den Abstimmungen zu den einzelnen Geschäften auch entsprechend kundtun.»

Zudem gebe es auch noch die Staatswirtschaftskommission, die sich alle Geschäfte anschaue. Wenn es um die Finanzen gehe, so mache diese, sofern nötig, entsprechende Anträge.

Milizpolitiker: Die knappe Zeit als Problem

«Die Komplexität der einzelnen Geschäfte ist unterschiedlich», meint hingegen Anastas Odermatt, Kantonsrat der Grünen – die Alternative. Innerhalb von Geschäften gebe es immer wieder Einzelpunkte, die sehr komplex seien – auch so komplex, dass alle Beteiligten an ihre Grenzen stossen würden. «Die Grenzen für Kantonsrätinnen und Kantonsräte liegen meiner Erfahrung nach weniger in der Komplexität selbst, sondern eher in der zur Verfügung stehenden Zeit, sich im Rahmen eines Milizamtes zu vertiefen, da ja alle noch andere berufliche und familiäre Verpflichtungen haben – das liegt in der Natur der Sache eines Milizsystems.»

Ein wichtiger Aspekt dabei sei die Tatsache, dass es schlussendlich um Mehrheiten gehe – auch um parteipolitische. «Und wenn eine Frage in einem komplexen Sachgeschäft für die Mehrheit genügend vertieft wurde oder ein Narrativ so einleuchtend ist, dass es keiner weiteren Fragen bedarf, dann ist das so.» Für wen es noch vertiefter hätte sein müssen, der könne dann zwar versuchen, nachzuhaken und noch etwas rauszuholen. «Aber meistens ist dann der Zug abgefahren und man unterliegt in entsprechenden Anträgen gegen die Mehrheit.»  

Es braucht auch die Zivilgesellschaft

Es sei nicht einfach, konkrete Verbesserungsmöglichkeiten zu benennen. «Wichtig ist, dass sich jeweils auch Personen mit entsprechendem Fachwissen einbringen», sagt Odermatt weiter. «Ich finde, wir sind angewiesen auf Hinweise, Ideen und Rückmeldungen aus der Bevölkerung und der Zivilgesellschaft. Ohne das geht es nicht.»

Die Politikwissenschafterin Sarah Bütikofer weist auf Anfrage darauf hin, dass Milizpolitiker in ihrer ursprünglichen Form in einer weniger komplexen Welt bestehen mussten. Insoweit sei diese Organisationsform für die jetzige Welt nicht in allen Bereichen ideal. «Würde man den Parlamentarierinnen – oder den Fraktionen und Parteien – mehr administratives und wissenschaftliches Personal zur Verfügung stellen, wäre dies sicherlich ein denkbarer Ansatz.»

Verwendete Quellen
  • Austausch mit Kantonsräten und Kantonsrätinnen
  • Anfrage an Politikwissenschaftlerin Sarah Bütikofer
  • Frühere Medienberichte
0 Kommentare
Apple Store IconGoogle Play Store Icon