Asylpolitik

Ein Regierungsrat, der nicht über der Sache steht

Asylsuchende bei ihrer Ankunft. (Bild: Emanuel Ammon/ AURA)

Das Asylthema ist emotional aufgeheizt. Dazu beigetragen haben – neben ganz wenigen Asylsuchenden selbst – in erster Linie die politischen Wortführer von rechts und ein Teil der Medien, die jede oppositionelle Regung aufnehmen und prominent darüber berichten. Das letzte Beispiel: In Nottwil beklagten sich Anwohner, weil Asylsuchende aus dem Bundeszentrum vor einem Laden im Dorf Bier getrunken hätten.

Seinen eigenen Beitrag zum Thema leistet ab und zu Regierungsrat Guido Graf, meistens mit provokativen Auftritten im Lokalblatt. «In dieser angespannten Situation müsste ein Regierungsrat vor allem erklärend auftreten und nicht noch die Stimmung anheizen», sagt etwa Kantonsrat Michael Töngi von den Grünen. Graf will mehr Repression, um damit Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhalten. Er hat unter anderem ein Handyverbot propagiert, die Türschliessung um 22 Uhr in den Zentren, den Datenaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden und Caritas, mit der ursprünglichen Absicht, in den Zentren Sanktionen auszusprechen. Das ist aber Sache der Strafverfolgung und nicht der Betreuer.

Guido Graf nutzt auch jede Gelegenheit, um in der «Neuen Luzerner Zeitung» NLZ das Asylthema anzuheizen. Michael Töngi: «Das unheilvolle Zusammenspannen mit den Medien schadet der Sache. Graf darf seine Vorschläge nicht über die NLZ abhandeln.» Mit diesen Vorstössen mische sich Graf zudem in Aufgaben ein, für die er nicht zuständig sei. Sie sind Sache des Justiz- und Polizeidepartements. «Weshalb diktiert der Sozial- und Gesundheitsvorsteher neue Massnahmen im Bereich der Sicherheit, die nicht seinem Departement zustehen», fragte Michael Töngi in seinem Blog im August 2012.

Guido Graf wollte das Migrationsamt

Das Verhalten von Graf hat seine Hintergründe. Bei der Aufgabenneuverteilung des Regierungsrates hätte er das Migrationsamt, das beim Justizdepartement angegliedert ist, gerne unter seine Fittiche genommen, weiss Felix Kuhn vom Vorstand des Luzerner Asylnetzes. Doch der Kantonsrat war dagegen. Auch Kuhn kritisiert die Einmischung des Sozialdirektors in Sachen, die ihn nichts angehen. «Guido Graf will überall im Kanton mitreden.» Und weiter: «Die verstärkte Repression gegenüber Asylsuchenden auf dem Europaplatz vor dem KKL hat nichts mit der Unterbringung von Asylbewerbern zu tun, für die Graf verantwortlich ist.» Felix Kuhn ist auch enttäuscht vom Sozialdirektor, weil dieser die Aufgabe der Betreuung von Asylsuchenden vorwiegend als Problem sehe und damit bei der Lokalzeitung punkten könne. «Er sieht nicht, dass da auch Chancen sind, eine Bereicherung, wenn man etwas Hand bietet. Die Kantone haben auch Spielraum. Das beweist die Westschweiz. Der wird von Luzern nicht genutzt.»

Regierungsrat Guido Graf war nicht abkömmlich für eine Stellungnahme. Seine Mitarbeiterin Silvia Bolliger verwies auf die Antworten der Regierung auf ähnliche Fragen im Kantonsrat im September 2012. Graf sagte damals, die Fragen der Medien würden immer beantwortet, und zwar so, dass der Regierungsrat verstanden würde. Probleme müssten angepackt werden. Es dürfe nicht akzeptiert werden, dass eine Minderheit der Asylbewerber sich kriminell und renitent verhalte und damit den Goodwill gegenüber der grossen Mehrheit von asylsuchenden Menschen beschädige.

 «Caritas steht unter Generalverdacht»

Die Caritas Luzern ist Auftragnehmer des Kantons in Sachen Unterbringung und Betreuung der Asylbewerber. Geschäftsleiter Thomas Thali hat einen differenzierten Blick auf Regierungsrat Guido Graf. «Die Schwierigkeiten in der öffentlichen Diskussion treten immer dann auf, wenn mehr Asylbewerber da sind.» Thali hat mehr Mühe mit dem allgemeinen Misstrauen in Teilen der Bevölkerung. «Die Caritas steht mit ihrem Betreuungsauftrag unter Generalverdacht. Das gibt mir zu denken. Und ein Teil der Politik nimmt Distanz zu uns. Das macht mir Mühe. Die Wortführer wollen gar nicht sehen, um was es eigentlich geht.»

Frage an Thali: Müsste sich der Kanton im Asylbereich nicht stärker engagieren und dem negativ geprägten Bild in der Bevölkerung etwas entgegensetzen? «Es wird etwas gehen in dieser Richtung. Der Regierungsrat hat auf Initiative der Landeskirchen eine Taskforce eingesetzt, in der auch mögliche neue Standorte für Asylbewerberzentren diskutiert werden. Dafür ist der Kanton zuständig.» Ausserdem soll sich ein runder Tisch mit der Frage einer Imageverbesserung in der Öffentlichkeit befassen.

Giorgio Leuenberger ist seit 18 Jahren Bereichsleiter Migration-Integration bei der Caritas in Luzern. Die Suche nach neuen Zentren sei in den letzten Jahren zunehmend schwierig geworden, sagt er. Exemplarisch zeigte sich dies zum ersten Mal in Fischbach. Leuenberger: «Die Opposition bildet sich aus Gemeindebehörden und Einwohnern, die keine Asylbewerber wollen. Und sie werden dabei von den Medien unterstützt. Dabei sieht man hinter jedem Asylbewerberzentrum dealende, kriminelle und gewaltbereite Flüchtlinge.»

Thomas Thali erklärt den neuen Weg der Opposition: «Die Gemeinde verhandelt gar nicht mehr mit dem Kanton. Sie wählt den Weg über das Baubewilligungsverfahren, das dann solche Projekte über längere Zeit blockieren kann.» Was Thali dabei kritisiert. «Die politischen Parteien arbeiten über die politischen Ebenen hinweg nicht mehr zusammen. Dabei müssten ein CVP-Regierungsrat und ein CVP-Gemeinderat doch das gleiche Ziel haben.»

Die Stadt als positives Beispiel

Gibt es ein positives Beispiel für die Zentrensuche? Es gibt es. In der Zivilschutzanlage Eichhof in der Stadt Luzern konnte für sechs Monate eine Asylbewerberunterkunft eingerichtet werden. «Die Stadt hat anders funktioniert», sagt Thomas Thali von der Caritas. «Dieses Zentrum ist möglich geworden, weil sich Sozialdirektor Ruedi Meier dafür persönlich eingesetzt hat. Wenn ein Behördemitglied hinsteht, kann es viel erreichen.» Ein gutes Beispiel sei auch die frühere Gemeindepräsidentin Ruth Fuchs in Schwarzenberg gewesen, die sich für das Bundeszentrum im Eigenthal verwendet habe. Das Zentrum im Eichhof war sehr aufwendig. Rund um die Uhr war die Securitas in doppelter Besetzung präsent. Die Auflagen im Sicherheitsbereich wären in dieser Form nicht nötig gewesen. Dazu Giorgio Leuenberger: «Im Zentrum und in der Umgebung herrschte schliesslich eine gute Atmosphäre, mit positiven Begegnungen zwischen Betagten und Asylbewerbern.»

Wo konkret liegen denn die Probleme mit den Asylbewerbern? Welches sind Gründe, die in der Öffentlichkeit Angst provozieren? Giorgio Leuenberger von der Caritas: «Generell ist die Situation um die Zentren oder Unterkünfte von Asylsuchenden nicht unsicherer als an andern Orten, wenn die Personen professionell betreut werden. Dazu gehört eine gezielte Information und Einführung in Alltag und Verhaltensweisen in der Schweiz.» Auf Nachfrage sagt Leuenberger, dass von den rund 1000 Asylbewerbern im Kanton Luzern etwa 20 bis 30 Problemfälle seien.

Die Gründe für das zum Teil auffällige Verhalten sind mannigfaltig. Was wichtig ist: Die meisten dieser Leute lebten vor ihrer Einreise in die Schweiz schon längere Zeit in Italien, mehr oder weniger auf der Strasse, buchstäblich am Rande der Gesellschaft. Sie schlagen sich als Kleinkriminelle durch, sind drogen- oder alkoholabhängig und psychisch meistens in einer sehr schwierigen Situation. Giorgio Leuenberger erklärt: «Sie bringen ihre Probleme in unser Land, was sich in den Zentren und im Alltag negativ auswirkt. Eine andere Gruppe sind jene Leute aus dem Maghreb, die in Südspanien unter miesesten Lebensbedingungen in den Früchte- und Gemüseplantagen gearbeitet haben.»

Eine Form von Ratlosigkeit bleibt da schon zurück. Ein Teil der Bevölkerung in der Schweiz will eine repressive Asylpolitik, ohne die wirklichen Probleme wahrzunehmen. Und wir haben sehr schnell Worte zur Hand, um die vermeintlichen Auslöser zu benennen. Das sind dann zum Beispiel die renitenten Asylbewerber, für die wir sogenannte Renitentenzentren brauchen. Das schreckliche Wort wurde zu einem Sammelbegriff für alle, die irgendwo auffielen, ohne genau hinzusehen oder zu fragen, was der betreffende Mensch Böses angestellt hatte.

 

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