Verbandelungen der Gesundheitspolitiker

Gerhard Pfister: «Der Lobbyismus hat ein übertriebenes Ausmass erreicht»

Gerade im Gesundheitsbereich gibt der Lobbyismus im Bundesparlament häufig zu reden. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Ein Mitte-Nationalrat rügt den Lobbyismus in den Gesundheitskommissionen des Bundesparlamentes. Involvierte Zuger und Luzerner Politiker nehmen Stellung. Was auffällt: Wenn es um die Höhe der Entschädigungen geht, geben sich die Beteiligten zumeist wortkarg.

Es war eine bemerkenswerte Aussage, die der Urner Mitte-Nationalrat Simon Stadler im September in einer Wahlsendung von Radio SRF machte. «Der Lobbyismus gerade in der Gesundheitskommission ist für mich stossend», sagte Stadler. Jeder Parlamentarier, der nach Bern gewählt werde, sei doch in erster Linie dem Volk verpflichtet und nicht irgendeiner Lobby. Angesprochen auf einen Anti-Lobbyismus-Vorstoss von Mitte-Ständerat Beat Rieder meinte Stadler, er fände dies «die richtige Tendenz».

Rieder wollte verhindern, dass Kommissionsmitglieder bezahlte Mandate von Organisationen annehmen, die von den Entscheidungen der entsprechenden Kommissionen unmittelbar betroffen sind. Der Ständerat schrieb diesen Vorstoss aber ab. Ständerat Rieder weist auf Anfrage darauf hin, dass die beiden Gesundheitskommissionen aktuell zusammen auf 96 entsprechende Mandate kommen.

Bemerkenswert war die Aussage von Nationalrat Stadler darum, weil er mit seinem Votum auch Parteikollegen angriff. So haben in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) des Ständerates gleich mehrere Mitte-Mitglieder Einsitz, die mit Organisationen der Gesundheitsbranche verbandelt sind.

«Wir sind ein Milizparlament»

Gleich drei der fünf Zuger, die den Kanton in Bern vertreten, haben einen Sitz in einer der beiden Gesundheitskommissionen. So ist Mitte-Ständerat Peter Hegglin seit vier Jahren Mitglied der SGK des Ständerates. Hegglin ist aber auch Vorstandsmitglied von Santésuisse, einer Branchenorganisation von Schweizer Krankenversicherern.

Nachfrage also bei Ständerat Hegglin: Was meint er zu den Aussagen von Parteikollege Stadler? «Ich setze mich seit Jahren für den Prämienzahler ein», erklärt Peter Hegglin. Anfänglich habe er dies im Rahmen der Kollektiv-Versicherungen getan, dann bei der Mitgründung der Agrisano-Krankenkasse. Nach seinem Rücktritt als Regierungsrat sei er angefragt worden, ob er das Präsidium der RVK übernehme. Der RVK ist der Verband der kleinen und mittleren Krankenkassen. Der RVK sei Mitglied bei der Santésuisse und habe bei dieser Anspruch auf einen Vorstandssitz. Aufgrund einer Vakanz habe er letzten Sommer diese Aufgabe übernommen.

Keine Angabe zur Höhe der Entschädigung

Zur konkreten Kritik von Nationalrat Simon Stadler meint Peter Hegglin: «Wir sind ein Milizparlament. Jeder Parlamentarier hat seine Herkunft und seine Interessenbindungen. Es ist von Vorteil, wenn Praxiserfahrungen einfliessen. Wichtig ist, dass die Interessenbindungen bekannt sind.»

«Ich unterstütze alle Anträge im Parlament, die fordern, dass Mandate und Entschädigungen offengelegt werden müssen.»

Manuela Weichelt, Zuger Nationalrätin

Bei Lobbywatch, einer Organisation, die Licht in die Lobbyverbindungen der Bundesparlamentarier bringen will, gibt Ständerat Hegglin nicht an, wie hoch seine Entschädigungen bei der RVK und bei Santésuisse sind. Bei den Interessenbindungen habe er gegenüber lobbywatch.ch angegeben, ob die entsprechenden Mandate entschädigt seien oder nicht, erklärt Hegglin. Die Summe der Entschädigungen sei in den jeweiligen Geschäftsberichten nachlesbar. «Bei Santésuisse habe ich eine eher bescheidene Entschädigung.» Öffentlich gibt Ständerat Hegglin die Höhe dieser Entschädigung nicht bekannt. Er sagt dazu: «Ich möchte meine finanziellen Verhältnisse nicht in den Medien ausbreiten.»

Santésuisse-Sprecher Stefan Schneider schreibt zur Frage der Entschädigung: «Santésuisse ist es ein grosses Anliegen, die finanziellen Mittel des Verbandes möglichst sparsam einzusetzen. Entsprechend sind auch die Entschädigungen an die Mitglieder des Verwaltungsrates ausgestaltet. Die Vergütungen sind marktüblich und stellen eine faire Entlöhnung für die geleistete Arbeit dar.» Wie andere Branchenorganisationen gebe Santésuisse die Entschädigungen nicht im Detail bekannt.

«Einzig die Grünen sind nicht mit der Krankenkassenlobby verbandelt»

Nebst Peter Hegglin haben zwei weitere Parlamentsmitglieder aus dem Kanton Zug Einsitz in einer der beiden Gesundheitskommissionen. Es sind dies Manuela Weichelt, Nationalrätin der ALG, und Thomas Aeschi, Nationalrat der SVP.

Manuela Weichelt hat nebst ehrenamtlichen Tätigkeiten im Bereich des Gesundheitswesens Mandate bei der Stiftung Kinderkrebs Schweiz und bei der Schweizer Paraplegiker-Stiftung inne. Sie gab gegenüber Lobbywatch die Höhe der Entschädigung dieser beiden Mandate an. Im Jahre 2021/2022 betrug die jährliche Entschädigung im Durchschnitt 800 Franken respektive 400 Franken. Es handelt sich somit in beiden Fällen um Mandate mit einer geringen Entlöhnung. Solche wären vom erwähnten Vorstoss von Ständerat Rieder gar nicht erfasst worden. Rieder ging es nur um Mandate mit einer Entschädigung von mehr als 5000 Franken pro Jahr.

Zur Kritik von Nationalrat Simon Stadler meint Manuela Weichelt: «Diese Kritik teile ich voll. Ich unterstütze alle Anträge im Parlament, die fordern, dass Mandate und Entschädigungen offengelegt werden müssen. Korruptionsfälle müssen wir verhindern. Leider fanden entsprechende Anträge bis jetzt keine Mehrheit.» Manuela Weichelt ergänzt: «Ich verweise auf die Lobbygruppe der Krankenkassen. Sie haben 36 Verbindungen ins Parlament (13 Mitte, 12 SVP, 6 FDP, 3 SP, 1 GLP, 1 EDU). Solange dies gesetzlich möglich ist, müssen wir uns nicht wundern, wenn wir im Gesundheitswesen keine entscheidenden Änderungen herbeiführen können.» Nationalrätin Weichelt betont zudem: «Die Grünen sind die einzige Partei, die nicht mit der Krankenkassenlobby verbandelt ist.»

Nationalrat Aeschi lässt zentrale Frage offen

Gemäss der Parlamentswebseite hat der Zuger SVP-Nationalrat Thomas Aeschi keine Mandate im Bereich des Gesundheitswesens. Zur Frage, ob dies einem ganz bewussten Entscheid entspreche, antwortet Thomas Aeschi folgendermassen: «Ich denke, dass jede Annahme oder Nichtannahme eines Mandates bei jeder Person einen bewussten Entscheid darstellt.» Die konkrete und zentrale Frage aber, ob er – solange er Mitglied der Gesundheitskommission ist – kein Mandat aus dem Gesundheitsbereich annehmen werde, lässt Nationalrat Aeschi offen.

Die Kritik von Mitte-Nationalrat Simon Stadler kommentiert Thomas Aeschi folgendermassen: «Es ist scheinheilig, wenn Vertreter der Mitte-Parteien die Mandate von Parlamentariern in der Gesundheitsbranche kritisieren.» So leite Mitte-Nationalrat Martin Landolt den Krankenkassenverband Santésuisse, während alt Mitte-Ständerat Konrad Graber Curafutura leite, den anderen Krankenkassenverband. Thomas Aeschi nennt weitere Exponenten der Mitte, welche Mandate bei Krankenversicherern innehaben. Nationalrat Simon Stadler hatte gegenüber SRF allerdings deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er seine Kritik in Kenntnis dieser Verflechtungen äussere.

Thomas Aeschi greift Gerhard Pfister an

Thomas Aeschi greift auch den Mitte-Präsidenten und Zuger Nationalrat Gerhard Pfister direkt an. Aeschi schreibt dazu: «Entsprechend heuchlerisch ist auch die Kritik von Mitte-Parteipräsident Gerhard Pfister in seinem NZZ-Interview vom 27. September.» Unter dem Titel «Niemand hat wirklich Interesse an tieferen Kosten» kritisierte Pfister in diesem NZZ-Beitrag unter anderem den Lobbyismus im Gesundheitswesen und auch die Krankenkassen.

Angesprochen auf diese Kritik von Nationalrat Aeschi meint Gerhard Pfister: «Ich kritisiere nicht den Lobbyismus per se, der in einem Milizparlament nötig ist. Aber in der Gesundheitspolitik hat der Lobbyismus ein übertriebenes Ausmass erreicht. Ich nehme die Mitglieder der eigenen Partei nicht aus.» Pfister verweist auf Medienberichte, wonach alle Bundesratsparteien Interessenvertreter im Gesundheitswesen in ihren Reihen haben.

Keine Angabe über die Entschädigung auch bei Ständerat Müller

Von den Luzerner Bundesparlamentarierinnen hat einzig Ständerat Damian Müller (FDP) Einsitz in einer der beiden Gesundheitskommissionen: Er ist Mitglied der Gesundheitskommission des Ständerates. Ständerat Müller hat unter anderem ein Mandat des Berufsverbandes der Schweizer Ärzte und Ärztinnen (FMH). Er schreibt dazu auf Anfrage: «Ich weise meine Tätigkeiten auf meiner Webseite sowie auf der Webseite des Parlamentes transparent aus – genauso, wie es der Gesetzgeber verlangt. Ich erhalte einen Lohn für meine geleistete Arbeit.» Auf der Webseite von Lobbywatch ist die Höhe der Entschädigung nicht angegeben. Thomas Angeli, Co-Präsident von lobbywatch.ch, erläutert dazu, dass Damian Müller auf die Anfrage von Lobbywatch geantwortet habe. Zur Höhe der Entschädigung habe er aber keine Angabe gemacht.

Die FMH schreibt auf Anfrage, Ständerat Müller habe bei der FMH ein Beratungsmandat im Sinne eines sogenannten Sounding Boards inne und werde zu standespolitischen Themen konsultiert. Dieses «Sounding Board» der FMH diene dem Austausch über aktuelle politische Themen. «Auf dieser Grundlage kann die FMH entscheiden, welche Haltung sie zu einzelnen Geschäften einnimmt.» Angesprochen auf die Höhe der Entschädigung winkt auch die FMH ab: «Die Entschädigung für externe Mandate ist zwischen der FMH und Damian Müller vertraglich geregelt und nicht öffentlich.»

Die spezifischen Eigeninteressen der Krankenversicherer

Es mag auf Anhieb etwas weniger offensichtlich sein als bei anderen Organisationen aus dem Gesundheitsbereich: Aber auch für die Krankenkassen gibt es im Parlament Vorlagen, bei denen sie ganz spezifische eigene Interessen haben. So gab es im Parlament schon mehrfach Vorstösse, welche sich mit der Entlöhnung des Krankenkassenmanagements befassten.

Weiter zu nennen sind etwa Diskussionen darüber, welche Leistungen in den Grundkatalog gehören, die Fragen der Spitallisten, der Abrechnungssysteme und so weiter. Unbestritten ist auch, dass die Möglichkeit von Observationen im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich auch den Krankenkassen dient.

Die Zuger Nationalrätin Manuela Weichelt nennt weitere Beispiele: «Ich denke, die Kassen haben auch das Eigeninteresse, dass es möglichst keine Einheitskasse analog zu jener der Suva gibt. Sie möchten alle gerne ihre VR-Mandate und ihren Handlungsspielraum behalten. Das kostet die Prämienzahlenden enorm viel Geld und bringt nichts ausser Kosten und viel Administration.» Weiter würden sich die Kassen auch dagegen wehren, dass die Kantone Zugang zu den Rechnungen haben. «Sie möchten gerne die Daten für sich alleine haben, obwohl die Kantone ja für die Steuerung des Gesundheitswesens zuständig sind.»

SPK des Ständerates sagt Ja zu mehr Transparenz

Am 19. Oktober hat die Staatspolitische Kommission (SPK) des Ständerates einer parlamentarischen Initiative von Lisa Mazzone (Grüne, Genf) zugestimmt, die Transparenz im Bereich der bezahlten Mandate schaffen will. Der Vorstoss von Lisa Mazzone sieht vor, dass Mitglieder der Bundesversammlung angeben müssen, in welchen Grössenordnungen sie für Tätigkeiten ausserhalb des Parlamentsmandates entschädigt werden. Gemäss geltendem Recht müssen die National- und Ständeräte bloss angeben, ob sie für eine entsprechende Tätigkeit entschädigt werden; die Höhe der Entlöhnung muss also nicht angegeben werden. Die von Lisa Mazzone vorgesehene grobe Angabe der Entschädigungshöhe würde gegenüber der heutigen Situation deutlich mehr Klarheit schaffen. Aus leicht nachvollziehbaren Gründen macht es einen deutlichen Unterschied, ob ein Mandat fast ehrenamtlich ausgeführt wird oder ob die Entschädigung eine beträchtliche Höhe erreicht. In einem nächsten Schritt muss nun die SPK des Nationalrates über diesen Vorstoss entscheiden.

Verwendete Quellen
  • Schriftliche Auskünfte von: Ständerat Peter Hegglin (Mitte, Zug), Nationalrätin Manuela Weichelt (ALG, Zug), Nationalrat Thomas Aeschi (SVP, Zug), Ständerat Damian Müller (FDP, Luzern), Mitte-Präsident und Nationalrat Gerhard Pfister (Mitte, Zug), Ständerat Beat Rieder (Mitte, Wallis), Stefan Schneider, Santésuisse, Thomas Angeli, Co-Präsident von lobbywatch.ch, Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), Claudio Kuster, persönlicher Mitarbeiter von Ständerat Thomas Minder (SH), Bundesamt für Gesundheit, Mark Stucki, Parlamentsdienste (Bundesparlament), Stefanie Bailer, Professorin für Politikwissenschaften, Universität Basel, Ruth Lüthi, Sekretariat der Staatspolitischen Kommissionen
  • Webseite von lobbywatch.ch
  • Webseite des Bundesparlaments
  • Beitrag von Radio SRF 1, Parteiencheck mit Simon Stadler
  • Interview der «NZZ» mit Gerhard Pfister
  • Artikel des «Tages-Anzeigers»
  • Parlamentarische Initiative Ständerat Beat Rieder
  • Parlamentarische Initiative Ständerätin Lisa Mazzone
12 Kommentare
Apple Store IconGoogle Play Store Icon