Nach Abstimmungsdebakel in Zug

Annullation der Abstimmung ist gemäss Experte unnötig

Bei der Transparenz-Abstimmung ging einiges schief. Fragt sich, ob bei den Bürgern, den Abstimmungsbüros oder in der Staatskanzlei. (Bild: wia)

Die Abstimmung zur Transparenz-Initiative wurde am Sonntag in Zug für ungültig erklärt. Nun bemängeln Kritiker nicht nur die Aufmachung der Unterlagen, sondern auch den Entscheid, die Abstimmung zu kippen. Auch von Expertenseite wird das Vorgehen der Regierung infrage gestellt.

«An einer ausserordentlichen Sitzung am Sonntagnachmittag hat der Zuger Regierungsrat beschlossen, die Abstimmung für ungültig zu erklären.» Mit diesen Worten eröffnete der Zuger Direktor des Innern, Andreas Hostettler, die Abstimmungsmedienkonferenz zur Transparenz-Initiative.

Der Grund: Unregelmässigkeiten in der Bearbeitung der Stimmen auf den Gemeinden (zentralplus berichtete). Die Stimmberechtigten waren angewiesen, alle drei Zettel zur Transparenz-Initiative ins Couvert zu stecken, nicht nur einen oder zwei, was offenbar nicht wenige taten. Stimmen, die dem nicht Folge leisteten, wurden ungültig erklärt. In einer oder mehreren Gemeinden waren jedoch auch diese vermeintlich ungültigen Stimmen mitgezählt worden.

Tatsächlich änderte die Staatskanzlei bei der vergangenen Abstimmung ihre Praxis. Statt wie bisher auf einem einzigen Stimmzettel wurde die Volksabstimmung zur Transparenz-Initiative und dem entsprechenden Gegenvorschlag auf drei Stimmzetteln abgehandelt. Ein Umstand, der bereits im Vorfeld für Kritik sorgte (zentralplus berichtete).

Bitte nicht trennen – aber warum eigentlich?

Auf dem lindgrünen Schreiben, das den Abstimmungsunterlagen beilag, stand neben der üblichen Aufforderung, den Stimmrechtsausweis zu unterschreiben und das Stimmzettelcouvert zuzukleben, auch folgender Satz: «Zudem bitten wir Sie, die einzelnen Stimmzettel nicht voneinander abzutrennen.»

Der Satz macht insofern Sinn, als man als Bürgerin geneigt ist, die perforierten Zettel zu trennen. Denn wozu sollte die Perforation sonst gut sein? Diesem Impuls dürften viele gefolgt sein, nicht zuletzt, da es bei einem der vier verbundenen Zettel um ein anderes Anliegen, nämlich um die Velonetz-Initiative, ging.

Anscheinend sowohl für die Abstimmenden als auch die Auszählenden zu kompliziert: die Abstimmung zur Transparenz-Initiative. (Bild: zvg)

ALG gelangt mit Kleiner Anfrage an die Regierung

Nach Bekanntgabe des Nichtresultats wurden sofort kritische Stimmen laut. Die Fraktion Alternative – die Grünen gelangte inzwischen mit einer Kleinen Anfrage an die Zuger Regierung. Darin macht sie unter anderem auf den § 27a des Wahl- und Abstimmungsgesetzes (WAG) aufmerksam. Dort heisst es in Bezug auf Abstimmungen über Initiativen mit Gegenvorschlag folgendermassen: «Den Stimmberechtigten werden auf dem gleichen Stimmzettel drei Fragen vorgelegt.» Die ALG hinterfragt, warum das in besagtem Fall nicht gemacht worden sei.

Ebenso weist die Fraktion auf § 27b hin: «Das absolute Mehr wird für jede Frage getrennt ermittelt. Unbeantwortete Fragen fallen ausser Betracht.» Die ALG fragt: «Gestützt auf welcher gesetzlichen Grundlage soll die Stimmabgabe ungültig sein, wenn Abstimmende nur zwei von drei Zettel ins Couvert gesteckt haben?»

Flashback ins Wahljahr 2014

Dieselben Fragen wie ihre Heimfraktion stellt sich die Nationalrätin Manuela Weichelt. Der vorliegende Fall weckt in ihr böse Erinnerungen. Weichelt war 2014 Zuger Direktorin des Innern und somit mit der Wahlaufsicht beauftragt. Bei den damaligen Regierungsratswahlen wählten rund zehn Prozent der Bevölkerung ungültig. Dies aus dem einfachen Grund, da sie den vorgefertigten «Beipackzettel» statt des eigentlichen Wahlzettels ins Wahlcouvert gesteckt hatten. Dieser jedoch galt nur als Beispiel.

«Ich bin nicht erstaunt, dass nun Probleme auftauchen.»

Manuela Weichelt, ALG-Nationalrätin

Weichelt wurde in einigen Kreisen rasch als Schuldige angesehen. zentralplus fand jedoch nach Einsicht in die Regierungsratsprotokolle heraus, dass die damalige Regierungsrätin sehr wohl darauf gepocht hatte, neue Wahlzettel drucken zu lassen. Ihre Anweisung wurde jedoch schlicht verweigert (zentralplus berichtete).

Manuela Weichelt äussert sich zur heutigen Situation wie folgt: «Als ich gelesen habe, dass die Verwaltung den Abstimmungsbogen anpassen würde und drei Abstimmungszettel allein für die Transparenz-Vorlage genutzt würden, läuteten bei mir bereits die Alarmglocken. Denn im Gesetz steht, dass die drei Fragen auf einem Stimmzettel stehen müssen.» Die ALG-Nationalrätin sagt: «Ich bin nicht erstaunt, dass nun Probleme auftauchen.»

Ist eine Abstimmungswiederholung angebracht?

Ob eine Wiederholung der Abstimmung jedoch angemessen sei, bezweifelt sie. «Dies, weil gemäss § 27b des WAG es ja für alle drei Fragen ein getrennt ermitteltes Mehr gibt. Und die unbeantworteten Fragen einfach ausser Betracht sind. Ich kann es nicht nachvollziehen, weshalb eine Stimme nur dann gültig sein soll, wenn alle drei Zettel abgegeben wurden.»

Weichelt weiter: «Für mich wirkt die Annullation der Abstimmung wie ein Schnellschuss. Es bestand keine Dringlichkeit, diesen Entscheid bereits am Sonntag zu fällen.» Viel eher sieht sie Anlass für eine Nachzählung. Die Nationalrätin weist zudem auf die Kosten hin, die für den Kanton, die Gemeinden, aber auch die Komitees bei einer neuen Abstimmung entstehen würden.

Letztlich kritisiert sie auch die Grundhaltung des Regierungsrats am Wahlsonntag: «Von Anfang an wurde die Schuld für die Situation bei der Bevölkerung und den Stimmbüros der Gemeinden gesucht. Doch müsste man auch selbstkritisch sein und sich fragen, ob die Gestaltung der Stimmzettel tatsächlich genügend anwenderfreundlich war.»

Ein, zwei oder drei Zettel? Mache keinen Unterschied, findet Thöni

Ins selbe Horn wie Weichelt bläst Stefan Thöni, Präsident von Parat. Die Partei setzte sich neben ALG, SP und weiteren Parteien für die Transparenz-Initiative ein. «Die Annullation hätte nicht sein müssen», ist er sicher.

«Die Gestaltung des Stimmzettelbogens ist nicht gelungen. Dennoch spielt das letztlich keine Rolle im Resultat. Egal ob man einen, zwei oder drei Stimmzettel abgegeben hat: Die Antworten sind in jedem Fall aussagekräftig.» Thöni erläutert: «Wären alle drei Fragen auf einem Zettel gewesen, wäre dieser ebenfalls gültig, egal ob ich bei der ersten Frage Ja, bei der zweiten ‹Blöd› schreibe und bei der dritten ein Kreuzchen mache. Dann würde einfach die zweite Antwort nicht gelten.»

Thöni zur Frage nach der Lösung auf das aktuelle Dilemma: «Die Gemeinden müssten die Resultate der Abstimmung nochmals auszählen. Darunter auch jene, die nur deshalb ungültig waren, weil sie nicht als Dreier-Bogen eingereicht worden waren.» Und er ergänzt: «Sollte der Regierungsrat am Mittwoch befinden, dass die Abstimmung ungültig bleibt, müsste man sich eine Abstimmungsbeschwerde überlegen.»

Der Professor sieht keinen Grund für eine erneute Abstimmung

Sebastian Heselhaus, Professor für öffentliches Recht an der Universität Luzern, hat sich den Zuger Fall genauer angeschaut. Die These, dass separate Stimmzettel pro Vorlage hätten verwendet werden müssen, relativiert er.

«Gemäss § 23 der Verordnung (WAV) zum Zuger Wahl- und Abstimmungsgesetz (WAG) können mehrere Vorlagen zu einem Stimmzettelbogen zusammengefasst werden», so Heselhaus. «Im vorliegenden Fall wurde klar erkennbar gemacht, dass es sich um unterschiedliche Vorlagen handelt und welche Fragen in einer Vorlage zusammengehören. Dies durch unterschiedliche Farben, Beschriftungen und Ziffern.» Eine solche Darstellung empfinde er für die Stimmberechtigten als zumutbar.

Nicht überzeugt ist er hingegen davon, dass die Zuger Regierung die Abstimmung als ungültig erkläre. «Ungültig wäre eine Stimme dann, wenn einer der ausdrücklichen Ungültigkeitsgründe vorläge oder der Wählerwille nicht klar erkennbar wäre. Beides ist aus meiner Sicht in diesem Fall nicht gegeben, auch wenn nicht alle drei Frage-Zettel zur Vorlage 2 pro Person eingereicht wurden.»

§ 14 WAG verlange zwar für die Briefwahl, dass alle Stimmzettel im Stimmcouvert sein müssen, doch solle damit nur verhindert werden, dass andere Stimmzettel im Rücksendecouvert sonst eingesehen werden könnten. Ferner stützt sich Heselhaus auf den § 27 des WAG speziell für Abstimmungen mit Gegenvorschlag. Wegweisend seien für ihn die Buchstaben a) und b): Die Stimmbürger könnten sich uneingeschränkt zu allen drei Fragen erklären. «Das absolute Mehr wird für jede Frage getrennt ermittelt. Unbeantwortete Fragen fallen ausser Betracht», so besagt das Gesetz.

Heselhaus führt aus: «Ich darf also alles unabhängig voneinander ausfüllen und kann sogar bei mehreren Fragen ‹Ja› schreiben. Aber: Ich muss nicht alle drei Fragen beantworten, da unbeantwortete Fragen schlicht ausser Betracht fallen und demnach nicht zur Ungültigkeit der Stimme führen, da der Wille der Stimmbürgerin auch dann erkennbar ist.»

Regierung sagt noch nichts zur Sache

Früher habe in der Schweiz eine andere Regelung gegolten. Stimmte man bei einer Vorlage mit Gegenvorschlag zweimal Ja, wurde die Stimme ungültig. «Doch 1987 führte die Schweiz auf Bundesebene das doppelte Ja mit Stichfrage ein. Schon zuvor war das in manchen Kantonen möglich», so der Rechtsprofessor. Auch das Problem, nach welchem Massstab das absolute Mehr zu ermitteln sei, sei in § 27 WAG geklärt.

«Ich sehe die rechtlichen Grundlagen im besagten Fall als starke Argumente dafür, dass die Stimmzettel in Ordnung waren. Ebenfalls glaube ich, dass die Stimmen auch dann gültig sind, wenn nicht alle drei Frage-Zettel zur Vorlage 2 abgegeben wurden», so Heselhaus. Heisst? «Man könnte die Stimmen ein zweites Mal auszählen.»

Der zuständige Regierungsrat Andreas Hostettler möchte sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht zum Thema äussern. «Wie bereits an der Medienkonferenz mitgeteilt: Wir kommunizieren einheitlich ab Mittwochnachmittag.»

Verwendete Quellen
  • Kleine Anfrage der ALG-Fraktion
  • Telefongespräch mit Sebastian Heselhaus
  • Schriftlicher Kontakt mit Regierungsrat Andreas Hostettler
  • Telefonischer Austausch mit Sebastian Heselhaus
  • Telefonischer Austausch mit Manuela Weichelt
  • Telefonischer Austausch mit Stefan Thöni
  • Zuger Gesetz über Wahlen und Abstimmungen (WAG)
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