Luzerner für Swiss Diversity Award nominiert

Tim Meier will ändern, wie Schulen über LGBTQ+ aufklären

Tim Meier (25) aus Luzern ist für den diesjährigen Swiss Diversity Award in der Kategorie LGBTQ nominiert. (Bild: ida)

Wie sprechen Lehrerinnen in Luzern mit Schülern über LGBTQ+-Themen wie Homosexualität? Die Antwort: viele gar nicht. Tim Meier aus Luzern will das ändern – und hat eine pfannenfertige Unterrichtseinheit vorgelegt. Für sein Engagement ist er nun auch für die Swiss Diversity Awards nominiert.

Wie man Kinder und Teenies aufklären soll, wird immer wieder hitzig diskutiert. Auch aktuell wieder, sorgt doch eine Schweizer Aufklärungsbroschüre für rote Köpfe. Eine SVP-Nationalrätin kritisiert unter anderem, dass Themen wie Homosexualität und Transidentität darin zu viel Raum einnehmen würden (zentralplus berichtete).

Doch zu viel wird an Schulen wohl nicht über LGBTQ+-Themen gesprochen. Auch eine Schwulen- und Lesbenorganisation sagte gegenüber zentralplus, dass sich die meisten Lehrer mit LGBTQ+-Themen nicht wohl oder sicher genug fühlen. Und eine Sekundarlehrerin sagte: «Wenn ein Lehrer das Thema nicht behandeln will, dann lässt er es weg – und niemand merkt es.»

Tim Meier (25) aus Luzern hat sich des Themas in seiner 150-seitigen Bachelorarbeit für den Abschluss seines Studiums in Design Management International an der Hochschule Luzern angenommen. Entstanden ist eine Unterrichtseinheit. Das ist eine Broschüre, basierend auf dem Kinderbuch «König & König». Sie zeigt, wie Lehrerinnen mit Schülern über Themen wie gleichgeschlechtliche Liebe sprechen können.

LGBTQ+-Themen nur am Rande in Schulen besprechen? «Das ist ein Problem»

Wie kam es, dass Meier seine Arbeit diesem Thema widmete? Vor allem aus eigenen Erfahrungen, wie der Luzerner bei einer Cola im Café Heini am Luzerner Falkenplatz erzählt. Er fragte sich, wann er in der Schule von Bi- und Homosexualität gehört hatte.

Die Antwort: «Eigentlich gar nicht.» Und Meier sagt sogleich: «Und das kann doch nicht sein. Später in der Sekundarschule wurde Homosexualität als negativ angesehen und Homosexuelle waren Mobbing ausgesetzt. Und das hätte man vielleicht verhindern können, wenn Kinder früher über LGBTQ+-Themen erfahren hätten.»

Homosexualität wurde bei ihm in der 5. oder 6. Klasse nur am Rande besprochen. Im Rahmen der Sexualaufklärung. Die damalige Lehrperson habe den Schülerinnen eine Broschüre in die Hand gedrückt. Darauf wurde nur auf einer Seite gleichgeschlechtliche Liebe thematisiert. Meier sagt rückblickend: «Ich habe das Gefühl, dass sich die Lehrperson damals nicht so wohlgefühlt hat, LGBTQ+-Themen anzusprechen.»

Tim Meier hat eine Bachelorarbeit darüber geschrieben, wie Lehrerinnen über Themen wie Homosexualität aufklären. (Bild: ida)

Fast die Hälfte aller Primarlehrer spricht nicht über gleichgeschlechtliche Liebe

Eine Vermutung, die sich später im Verlauf seiner Recherche erhärtet hat. Meier führte unter anderem eine Online-Befragung durch, an der 255 Primarlehrpersonen teilgenommen haben. Das Ergebnis: 42 Prozent aller 1. bis 6.-Klassenlehrpersonen sprechen LGBTQ-Themen gar nicht an.

Der meistgenannte Grund dafür: Die Lehrer denken, die Schülerinnen seien zu jung. Fast 66 Prozent der befragten 1.- und 2.-Klassenlehrpersonen waren dieser Ansicht. Weitere nannten als Grund, dass sie sich zu wenig informiert fühlten, keine Zeit hätten oder das Thema nicht relevant sei.

Früh darüber reden – um Mobbing zu verhindern

Für Tim Meier ist klar: «Je früher man mit Kindern über Themen wie gleichgeschlechtliche Liebe spricht, desto besser.» Deswegen hat er sich in seiner Arbeit bewusst an die Primarstufe gerichtet. Klar müsse das immer altersgerecht sein, sagt der 25-Jährige, dem es mit seinem Engagement darum geht, Toleranz zu schaffen.

«Wenn Kinder früh genug hören, dass Männer auch Männer und Frauen auch Frauen lieben können, so ist es für sie nicht mehr fremd.»

«Und ich glaube: Wenn man LGBTQ+-Themen früh genug anspricht und man Kinder nicht nur einer heteronormativen Welt aussetzt, kann man Mobbing verhindern. Wenn Kinder früh genug hören, dass Männer auch Männer und Frauen auch Frauen lieben können, so ist es für sie nicht mehr fremd. Sie haben schon mal davon gehört. Ich glaube, das ist das Wichtigste, damit sie später, wenn sie auch so fühlen, sich nicht abnormal vorkommen. Und dass sie andere, die so fühlen, tolerieren.»

Auch die Kindergärtnerin kann sagen, dass ein Kind zwei Mamas haben kann

LGBTQ+-Themen ansprechen, das ist Meier wichtig. Und Sichtbarkeit schaffen. Das sei auch schon im Kindergarten wichtig. Wächst ein Kind mit zwei Mamis oder zwei Papis auf, ist es für dieses ganz normal (zentralplus berichtete). Es merkt vielleicht erst durch andere Kinder in seinem Umfeld, dass die meisten einen Vater und eine Mutter haben.

«Wenn eine Kindergartenlehrerin aber das Gefühl hat, die Kinder seien zu jung, um zu verstehen, dass Kinder auch zwei Mütter oder zwei Väter haben könnten und dies erst Jahre später in den oberen Schulklassen angesprochen werde, fühlten sich Regenbogenkinder womöglich nicht repräsentiert. Oder nicht echt – obwohl es sie ja gibt.»

Wie Meier erklärt, gebe es mittlerweile viele Kinderbücher, welche LGBTQ+-Themen ganz «normal» thematisieren. Geschichten, in denen sich ein Prinz nicht in eine Prinzessin verliebt, sondern in einen Prinzen. Oder Mathelehrer können in Textaufgaben von einem Paar schreiben, zwei Frauen, die sich gegenseitig lieben. «Man kann Kindern auf eine so einfache Art mitgeben, dass Liebe und Familienmodelle so viel diverser sein können. Dabei geht es überhaupt nicht um Sex.»

Buch und Unterrichtseinheit soll Lehrpersonen Sicherheit geben

Meier hat die Unterrichtseinheit gemeinsam mit 15 Lehrpersonen erarbeitet. Sie basiert auf dem Kinderbuch «König & König», das die Geschichte eines Kronprinzen erzählt, dessen Herz keine einzige Prinzessin gewinnen kann. Bis ein Prinz erscheint, in den er sich verliebt. «Es ist ein ganz klassisches Märchen – nur neu interpretiert», sagt Tim Meier dazu. Die Unterrichtseinheit verstaubt übrigens nicht in der Schublade – sie ist in Luzerner Schulen bereits im Einsatz.

Verstecken sich die Lehrpersonen nicht hinter dem Buch, wenn sie damit das Thema gleichgeschlechtliche Liebe thematisieren wollen? «Ich würde nicht sagen, dass sie sich dadurch verstecken. Aber sie haben mit dem Buch etwas in den Händen, das ihnen Sicherheit gibt, sodass sie nicht einfach aus dem Blauen über LGBTQ+-Themen sprechen müssen. Ich glaube, das wäre für viele eine Herausforderung.»

Auch in den Workshops mit den Lehrern habe er gemerkt, dass viele Berührungsängste haben. «Und dass sie sehr vorsichtig sind, weil sie Angst haben, etwas Falsches zu sagen. Meier ermutigt sie, das Thema einfach mal anzupacken.

So sieht die Unterrichtseinheit aus, die Tim Meier gemeinsam mit 15 Lehrerinnen erstellt hat. (Bild: ida)

Akzeptieren, dass man Männer liebt

Auch Tim Meier hätte sich in der Schule gewünscht, dass Lehrerinnen LGBTQ+-Themen angehen. Vor allem, weil auch er mit seiner sexuellen Orientierung haderte. Er realisierte zwar, dass er eher anderen Jungs als Mädchen hinterherschaut. Wirklich wahrhaben wollte er es aber nicht.

Auch weil er schwule Männer nur aus den Medien wie dem Fernsehen kannte, in denen Homosexuelle oft klischiert und stereotypisch dargestellt werden. Tim dachte, er passe nicht in dieses Bild. «Wenn ich in dem Alter schon gewusst hätte, dass Homosexuelle genauso cool und vielfältig sind wie andere, hätte ich vermutlich schon an Tag 1 akzeptiert, dass ich schwul bin.»

«Ich sah, wie vielfältig und divers Homosexuelle sind. So konnte ich akzeptieren, dass auch ich, so wie ich bin, Teil der Community bin.»

Tim spricht von einem «inneren Konflikt», den er damals hatte. Neben dem Halt von Familie und Freunden hat ihm vor allem eines geholfen: die Flucht nach London. Und die Sichtbarkeit und der Austausch mit anderen aus der Community. Meier erzählt, wie er damals im Starbucks im Londoner Stadtteil Soho gesessen ist, das als Lesben- und Schwulenviertel bekannt ist. «Ich sah, wie vielfältig und divers Homosexuelle sind. So konnte ich akzeptieren, dass auch ich, so wie ich bin, Teil der Community bin.»

Swiss Diversity Awards: Luzerner fühlt sich geehrt

Für sein Engagement ist Tim Meier nun für die diesjährigen Swiss Diversity Awards, die am 10. September vergeben werden, in der Kategorie LGBTQ+ nominiert. Dann werden mehrere Menschen und Projekte für ihr Engagement in den Bereichen Diversität und Inklusion ausgezeichnet.

Die Nomination bedeutet Tim Meier viel. Damit gerechnet hat er nicht. Deswegen freut er sich umso mehr. Schliesslich hat er hunderte Stunden in seine Arbeit investiert, mit Expertinnen gesprochen, Schulklassen besucht und die Unterrichtseinheit erstellt. «Die Nomination zeigt mir, dass das Thema relevant ist.»

Verwendete Quellen
13 Kommentare
Apple Store IconGoogle Play Store Icon