Zuger Bürgerliche behaupten, der Reichtum Zugs sei das Verdienst eigener Anstrengungen und Cleverness. Tatsächlich baut er auf ausserkantonalen Vorgaben. Und einem Milliardengewinn aus dem Geschäft mit dem Apartheidregime.
Wenn der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler angesichts der Zuger Rechnungsüberschüsse die Zuger Steuer- und Finanzpolitik als Vorbild für andere Kantone darstellt, übergeht er nicht nur die soziale Verdrängung der unteren und mittleren Einkommen in andere Kantone und deren Ersetzung durch Gut- und Bestverdienende. Er blendet auch die Hauptgründe aus, die zum «Erfolgsmodell Zug» (Gerhard Pfister) führten. Die Meinung, Zugs Reichtum sei wesentlich Eigenleistung, ist pure Hybris.
Bahnverbindungen zu Flughäfen
Historisch entscheidend ist die Lage Zugs in der Nähe der Wirtschaftsmetropole Zürich und an zwei internationalen Bahnlinien, die Zug mit den Flughäfen Zürich, Mailand und Genf verbanden. Als Zug in den 1920er Jahren die Holding- und Domizil-Privilegien für ausländische Firmen einführte, waren die Kantone Glarus und Schaffhausen die wichtigsten Vorbilder.
Die kantonale Steuerkommission erkannte bereits 1921: «Zug erhält wegen seiner centralen Lage entschieden den Vorzug, was die bisherigen häufigen Anfragen beweisen.» Die beiden anderen Kantone, die wirtschaftlich und infrastrukturell mindestens so dynamisch waren, waren von Zürich und vom Flughafen Kloten entfernter und lagen nicht an bedeutenden Bahnlinien.
Hans Straub, freisinniger Finanzdirektor von 1959 bis 1974, gab 1993 dem Doktoranden Michael van Orsow auf die Frage, was «der Vorteil Zugs» gegenüber Glarus und Schaffhausen war, die Antwort: «Gute Infrastruktur, die Nähe zum Flughafen Kloten, die anderen Kantone waren abgeschiedener.»
Da die betreffenden Steuern in den beiden Kantonen «teilweise sogar günstiger» waren, zieht van Orsow in seiner höchst lesenswerten Dissertation «Das vermeintliche Paradies. Eine historische Analyse der Anziehungskraft der Zuger Steuergesetze» (Chronos 1995) den Schluss: «Der Standort schien offensichtlich wichtiger zu sein als das Ausmass der Privilegierung.» Übrigens sass Straub als Regierungsrat in 82 Verwaltungsräten und führte seine Anwaltskanzlei im Regierungsgebäude, wo der Direktionssekretär auch private Firmengründungen vollzog.
Aufschwung in Zürich und Deutschland
Wie wichtig die wirtschaftliche Stärke Zürichs sowie Deutschlands waren, zeigt neben der räumlichen auch die zeitliche Dimension. Die in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren eingeführten Steuerprivilegien drehten während Krise und Krieg bis in die Hochkonjunktur (ab den 1950er Jahren) im Leeren. Die Zahl der Aktien- und Holdinggesellschaften wuchs in Zug von weniger als 200 (1955) auf 2000 (1963), um sich bis 1975 zu vervierfachen. Gab es 1958 lediglich zehn Briefkastenfirmen, wie die Domizilgesellschaften genannt wurden, waren es 1969 bereits 1406 und 1980 deren 3500.
Was die BRD betrifft, wurde der Zuger Briefkasten-Boom unter der sozialliberalen Regierung von Willy Brandt (1969-1974) wegen deren stärkeren Besteuerung von Reichen und Kapital zusätzlich angeheizt. Van Orsow bringt ein anschauliches Beispiel: «Eine deutsche Firma verkaufte ihre Produkte zu untersetzten Preisen ihrer in Zug beheimateten Domizilgesellschaft und kaufte sie dann zu übersetzten Preisen wieder zurück.» Der Gewinn blieb dadurch in Zug, «wo dieser ungleich milder (oder gar nicht) besteuert wurde».
Während das Zuger Domizil-Privileg für die westdeutsche SPD in den 1970er Jahren ein Ärgernis war, gereichte es der ostdeutschen SED in den 1980er Jahren zum Vorteil. Zuger Briefkastenfirmen, die im Dienste der Stasibeschaffung standen, waren mit Parteigrössen der CVP, FDP und späteren SVP verbunden. Dass Putin, der für den sowjetischen Geheimdienst in der DDR gedient hatte, 2002 Zug als Bastion seines Rohstoffhandels auserwählte, hatte neben den Steuerprivilegien mit den ostdeutschen und zugerischen Seilschaften aus jener Zeit zu tun.
Neutralität und gesetzloses Privileg
Spätestens 1980 nach dem Sturz des Schahs von Persien, der dem Apartheid-Regime mit Erdöl das Überleben gesichert hatte, wurde Zug zu einem der wichtigsten Zentren des globalen Rohstoffhandels. Die ersten Rohstoffhandelsfirmen wie beispielsweise die Philipp Brothers waren in den 1950er Jahren nach Zug gekommen. In die Schweiz kamen sie vor allem wegen der Neutralität, die Firmen aus Nato-Staaten den Handel mit der rohstoffreichen Sowjetunion ermöglichte.
Zug hatte seit Ende der 1950er-Jahre ein zusätzliches Angebot für internationale Handelsgesellschaften: das Steuerprivileg für gemischte Gesellschaften. Bei Konzernen, deren Auslandsgeschäft mindestens 80 Prozent beträgt, was bei Rohstoffhändlern üblich ist, wurde nur ein Viertel des im Ausland erzielten Ertrags besteuert. Ab den 1980er Jahren wurde dieses Privileg, das gar keine gesetzliche Grundlage hatte, zum wichtigsten Faktor der Standortentwicklung. Dank Neutralität und gemischten Gesellschaften gab es bereits 1985 mindestens 35 Grosshandelsfirmen.
Ökonomischer Putinismus wiederholt alte Zuger Muster
Die wichtigste war Marc Rich, die 1994 in Glencore umbenannt wurde. Sie entstand 1974 aus einer Abspaltung von der Philipp Brothers und war besonders eng mit der Erdölmacht Persien verbunden. Vom Iran, wie das Land neu hiess, übernahm sie das besonders lukrative Boykottbruch-Geschäft mit Südafrika. Allein dieses brachte der Marc Rich mehr als 2 Milliarden Dollar Gewinne ein.
Ein Grund, warum die USA 1983 Marc Rich zu 325 Jahren Gefängnis verurteilen wollten, erinnert an das westdeutsche Briefkastenbeispiel: Die Marc Rich International hat in den USA mit der Umgehung der staatlichen Ölpreiskontrolle riesige «illegale Gewinne» gemacht und an die Muttergesellschaft Marc Rich & Co in Zug transferiert. Die 48 Millionen Steuer-Dollars, die dem US-Fiskus entzogen worden sind, bedeuteten laut dem New Yorker Ankläger «den grössten Steuerbetrug aller Zeiten». Für Zug wurde Marc Rich zum wirtschaftlichen Erfolgsfaktor und zur publizistischen Katastrophe. Wie der ökonomische Putinismus ein paar Jahrzehnte später.
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1982 bis 2011 war Josef Lang Zuger Kommunal-, Kantonal- und schliesslich Bundesparlamentarier. Politisch engagiert ist und bleibt er seit 1970. Das letzte Buch, das er als Historiker veröffentlichte, trägt den Titel: Demokratie in der Schweiz (2020).