Auf dieses Problem hat die Gastroszene keinen Einfluss

Eine vielfältige Gastronomie ist in Luzern schwierig

(Bild: Creative Commons Wikimedia/Freepik)

Immer wieder begegnen mir Personen, die Luzern vorwerfen, gastronomisch zu wenig zu bieten. Dass das so ist, liegt allerdings nicht an mangelnden Ideen seitens der Gastronomie.

Vergangene Woche fungierte ich in einer Juryrolle am «Bar Symposium Cologne», welches die Schweiz, Deutschland und Österreich miteinander verknüpft und Plattform darstellt für Trends und Entwicklungen in der hiesigen Gastronomie. Es fanden Workshops, Diskussionen und Vorträge statt.

Nebst den Cocktails auf Topniveau hat bei mir unter anderem ein Statement von Sven Riedel nachhallend Eindruck hinterlassen. Falls dir der Name nichts sagt: Riedel gilt als Barlegende und ist seit knapp zehn Jahren Inhaber der Cocktailbar The Tiny Cup in Frankfurt. Frankfurt am Main sei mit seinen 750’000 Einwohnern etwas zu klein, damit sein Konzept – die wohl kleinste Cocktailbar Deutschlands, im schmalsten Haus der Stadt, mit anspruchsvollen Drinks – langfristig wirtschaftlich funktioniere. Deshalb habe er angefangen, die Bar über die Sommermonate konzeptionell offener zu gestalten.

In Luzern fehlen die kritischen Massen

Auf der Rückfahrt in die Schweiz habe ich mir den Podcast «Swiss Pioneers» mit Marc Blickenstorfer als Gast angehört, dem Zürcher Gastrovisionär und Mitinitiant von über 35 Gastrokonzepten. Eines seiner Statements war, dass der Stadt Zürich für gewisse, andersartige Konzepte 200’000 bis 300’000 Leute fehlen würden. Entsprechend fehle eine kritische Masse, die einen solch andersartigen Betrieb cool fände respektive eben auch anders denken würde.

Nicht nur diese zwei Aussagen lassen den Schluss zu, dass Luzern mit seinen 84’000 Einwohnern aus gastronomischer Sicht nochmals vor ganz anderen Herausforderungen steht. Von allen Arten Menschen hat es in Luzern weniger. Von jeder Szene, jeder Nische, jeder Vorliebe, jeder Dynamik. Selbst vom Profil Mainstream hat es weniger, als es Mainstreamangebote gibt. Letztere werden jedoch teilweise von Tourismus oder von Einzugsgebieten herrührend befüllt.

Eine klare Verschiebung bahnt sich an

Hinzu kommen weitere Faktoren wie Regionen-typische Mentalitäten oder das veränderte Ausgeh- und Konsumverhalten in der Post-Covid-Zeit. Nebst etablierten Orten, die (zum Glück) immer gleich sind, Betrieben an A-Lagen sowie jenen, die auf hohe Rotation mit genügend Aussenplätzen ausgerichtet sind, muss ein Betrieb in Luzern langfristig spezialisiert, aber – aufgrund der vorhergehenden Gedanken – gleichzeitig auch genügend «offen» konzipiert sein.

Für andauernde spezifische Trend- oder Szenegastronomie ist die Stadt zu klein, ganz unabhängig davon, ob das etwas Positives oder Negatives ist. Und nur Standard wird es zukünftig wohl weniger geben. Es ist eine Tendenz festzustellen, hin zu reinen Food- oder zumindest Food-Bar-Konzepten, zu neuartig gedachter Systemgastronomie, zu Kollaborationen, zu Mini-Event- sowie zu temporärer Gastronomie. Es gibt in Luzern eine klare Verschiebung vom Momentum «Trinken» zu «Essen-und-Trinken».

Luzern ist zu wenig dicht

Der Aperitifmoment gewinnt zudem an Relevanz. Das Ausgehverhalten ändert sich auf vorgezogene Stunden, und die Nächte enden tendenziell früher. Klubs werden es schwerer haben, und es wird sich auf einige wenige konzentrieren, welche die Stadt bewegen. Barkonzepte, also reine Trinkmomente, werden sich wohl früher oder später etwas konsolidieren.

Der Aperitif-Moment gewinnt in Luzern zunehmend an Relevanz.
Der Aperitifmoment gewinnt in Luzern zunehmend an Relevanz. (Bild: Judith Lauber)

Und obwohl bereits einige Betriebe am Kämpfen sind, höre ich des Öfteren auch Stimmen, die gerade finden, dass Luzern gastronomisch viel zu wenig biete. In einer kleinen Stadt bestimmt jedoch typischerweise die Nachfrage das Angebot und nicht umgekehrt. Kurzum: Von jenen, die finden, dass Spezifisches fehlt, gibt es eben zu wenige.

Erschwerend kommt folgender Umstand hinzu: Während in Basel von Gundeldingen bis Klybeck und in Zürich von Wiedikon bis Wipkingen gefühlt immer Stadt ist, gibt es in Luzern auf allen Seiten «stadtcharakterliche» Unterbrüche. Die Strassen im Stadtkern werden noch im Zentrum aus kurzen urbanen Pflastern zu langen ländlichen Routen nach Kriens, Ebikon, zum Würzenbach, Mattenhof, nach Schönbühl oder zum Seetalplatz und führen – auch fürs Auge schnell bemerkbar – aus der Stadt.

Behörden können unterstützen

Einerseits mögen wir diese Vermischung aus Stadt und Land, andererseits wäre es für die gastronomische und kulturelle Vielfalt umso wichtiger, wenn die Behörden vermehrt Tagesveranstaltungen oder Zwischennutzungen in Off-Locations bewilligen würden. Auch wenn theoretisch jede temporäre Gastronomie die permanente konkurrenziert, werden dadurch eben anders gedachte Konzepte ermöglicht, für welche die langfristige Nachfrage in Luzern zu klein ist.

Breiter interpretiert wäre es beispielsweise auch zu begrüssen, wenn Luzern einmal einen Frau Gerold’s Garten oder einen Holzpark Klybeck hätte, welcher die hiesigen Betriebe miteinbezieht. Luzern hat also paradoxerweise zu wenig Gastroraum, und trotzdem gibt es in der Summe bereits mehr Betriebe, als diese nachgefragt werden. Es sind wohl die normalen Herausforderungen eines kleinen Ortes. Ein bisschen mehr Urbanität würde der wunderschönen Stadt aber sicherlich gut stehen.

0 Kommentare
Apple Store IconGoogle Play Store Icon