Ungar sass in Luzerner Psychiatrie

Agent oder Mörder? Die wirre Geschichte einer Auslieferung

Der Ungar soll wegen Mordes ausgeliefert werden. Er glaubt aber, dass ihn die dortigen Behörden aus dem Weg hätten haben wollen. (Symbolbild) (Bild: Adobe Stock)

Ein 35-Jähriger soll aus der Schweiz nach Ungarn ausgeliefert werden. Dort wird er wegen Mordes gesucht. Zwischenzeitlich war er in der Luzerner Psychiatrie. Er wehrt sich gegen die Auslieferung und glaubt, dass er aus dem Weg geschafft werden solle, weil er ein Geheimagent sei.

Die Geschichte, die der Ungar den Behörden erzählte, liest sich etwa so wie ein Agententhriller. Fraglich ist nur, ob daran irgendetwas stimmt.

Begonnen hat es 2019. Der Ungar lebte damals seit vier Jahren in der Schweiz. Die ungarischen Behörden reichten ein Auslieferungsgesuch ein. Der Gesuchte sei in seiner Abwesenheit wegen Mordes und schwerer Körperverletzung verurteilt worden und müsse ins Gefängnis. Daraufhin wurde er von den Schweizer Justizbehörden festgesetzt und in Auslieferungshaft gesteckt. Dagegen wehrte sich der Ungar mehrmals vor Gericht.

Die Begründung dazu könnte ebenjenem eingangs erwähnten Thriller entstammen. Dass er wegen Mordes und Körperverletzung gesucht werde, entspreche nicht der Wahrheit, gab er an. Vielmehr gehe es um die Weitergabe von vertraulichen Informationen und um politisch motivierte Ränkespiele.

Ungar behauptete, er sei Geheimagent

Nach einem Suizidversuch in der Auslieferungshaft kam der Ungar in die Luzerner Psychiatrie. Dort erzählte er gemäss den Urteilen des Bundesstraf- und des Bundesgerichts, sein Leben sei so oder so verwirkt, wenn er nach Ungarn ausgeliefert würde – es gleiche einem Todesurteil. Er sei nämlich ein Geheimagent. Bereits mit 17 Jahren habe er mit den ungarischen Behörden zusammengearbeitet und dabei massenhaft Material gesammelt, das die Spitze der ungarischen Politik in Schwierigkeiten bringen könnte.

Nachdem er 2010 seinen Dienst quittiert habe, habe er auf den Kanaren die Familie des Präsidenten des ungarischen Geheimdienstes ausspioniert. Die ganze Familie sei korrupt in jeder Weise. Es gehe unter anderem um Drogen und Geldwäscherei. Er habe die Familie auffliegen lassen, sei ein Menschenrechtsaktivist geworden. Nun wolle ihn ebenjener Beamte aus dem Weg haben. Der internationale Haftbefehl aus Ungarn, nach dem er wegen Mordes und Körperverletzung gesucht werde, sei ein «Fake».

Die Luzerner Psychiatrie diagnostizierte eine wahnhafte Störung und Schizophrenie.

Beweise auf einer Festplatte, die jedoch nie auftauchte

Dieselbe Geschichte erzählte der 35-Jährige aber auch bei der polizeilichen Befragung. Die Beweise seien auf einer Festplatte, die er den Beamten zeigen könne. Zwar konnte er die Beweise nie vorlegen, das Bundesstrafgericht hiess seine Beschwerde gegen die Auslieferung im Dezember 2023 jedoch gut. Es gebe noch einige offene Fragen. Das Bundesamt für Justiz musste weitere Abklärungen machen und Informationen in Ungarn einholen. Schliesslich entschied es dann ein zweites Mal, den Ungarn auszuliefern.

Nach Auffassung des Bundesamtes ist die Geschichte, dass er Geheimagent sei und politisch verfolgt werde, eine Schutzbehauptung. So fänden sich auch Widersprüche in seinen Erzählungen. Zum Beispiel wolle er einmal auf den Kanaren die Familie des Präsidenten des ungarischen Geheimdienstes ausspioniert haben. Ein anderes Mal habe er erzählt, dass es der Vorsitzende des parlamentarischen Ausschusses für nationale Sicherheit gewesen sein soll.

Ungarn will bestimmte Fragen nicht beantworten

Dagegen ging der 35-Jährige zunächst erneut vor das Bundesstrafgericht und nach dessen Ablehnung vors Bundesgericht. Beide Instanzen lehnten seine Beschwerde ab. Die Gerichte glaubten ebenfalls nicht, dass der 35-Jährige politisch verfolgt werde und daher nicht ausgeliefert werden dürfe.

Spannend ist dabei aber auch: Wie das Bundesgericht in seinem aktuellen Urteil schreibt, hätten sich die ungarischen Behörden geweigert, bestimmte Fragen zu beantworten.

Dennoch sei eine Auslieferung vertretbar. Zumal das Bundesamt für Justiz den ungarischen Behörden das Versprechen abringen konnte, dass der 35-Jährige nach seiner Auslieferung umgehend in eine psychiatrische Klinik in Ungarn eingewiesen würde.

Der Verfolgte sitzt nach seinem Aufenthalt in der Luzerner Psychiatrie und einer anderen Klinik in Bern wieder in Haft und wartet auf die Auslieferung.

Verwendete Quellen
  • Urteil des Bundesstrafgerichts vom 4. Dezember 2023
  • Urteil des Bundesstrafgerichts vom 13. Juni 2024
  • Urteil des Bundesgerichts vom 27. Juni 2024
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