Junge Ärzte über Teilzeitarbeit – trotz Fachkräftemangel

Wenn der Hausarzt nur montags bis mittwochs erreichbar ist

Der Schweiz fehlen die Hausärzte. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Immer mehr Ärzte arbeiten Teilzeit. Das stösst in Zeiten des Fachkräftemangels auf Kritik. Ein Luzerner und eine Luzernerin erzählen, weshalb sie dieses Modell trotzdem vorziehen.

Die Schweiz ringt mit dem Hausärztemangel. Immer häufiger müssen Arztpraxen ihre Türen schliessen, weil sie keine Nachfolge finden. Mit der Suche harzt es aktuell beispielsweise bei der Praxis Gesundheitspunkt Oberägeri. Die beiden Gründer – einer über 70 Jahre alt – wollen in den Ruhestand. Doch bisher ist keine Nachfolgerin in Sicht (zentralplus berichtete). Schliessen musste vor wenigen Monaten eine Praxis am Luzerner Paulusplatz. Der Grund: Fachkräftemangel (zentralplus berichtete).

Laut dem Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) gibt es in der Schweiz rund 0,8 Hausärztinnen (Vollzeit) pro 1000 Einwohner – der empfohlene Wert liegt bei 1. Bereits seit Jahren liegt die Hausarztdichte unter dieser Empfehlung.

Eine Verbesserung ist nicht in Sicht. Von den aktuell praktizierenden Ärzten ist jeder vierte bereits über 60 Jahre alt und wird demnach in absehbarer Zeit in den Ruhestand treten. Zudem nehme das Arbeitspensum der Ärzte tendenziell ab, gibt der Verband an. 75 Prozent der Ärztinnen im Praxissektor arbeiten in einem reduzierten Pensum. Bei den Männern, die den Beruf ausüben, sind es 39 Prozent.

Dass dieses Modell aufblüht, stösst auf Kritik. «Wenn Teilzeit nervt», titelte die «Sonntagszeitung» Anfang August. Eine 78-jährige Rentnerin berichtete, dass sie nach ihrem MRI-Termin am Mittwochmorgen bis am kommenden Montag hätte warten müssen. Erst dann habe ihre Hausärztin das Ergebnis besprechen können – denn sie arbeite Teilzeit. «Bei meinem alten Hausarzt wäre das unmöglich gewesen», der habe sich «um einen gekümmert», sagte die Rentnerin gegenüber der Zeitung.

Hausärztin und Mutter

Die Kritik, die an der Teilzeitarbeit geäussert wird, kennt auch Sabrina Albisser. Sie ist Hausärztin und Präsidentin des Vereins Hausarztmedizin & Community Care Luzern, der die Attraktivität der Hausarztmedizin fördern will. «Ich habe jedoch gute Argumente, wieso ich mich diesem Druck nicht neigen werde», sagt sie gegenüber zentralplus. Albisser hat zwei Kinder und ist verheiratet. Die 35-Jährige will für ihre Kinder da sein und gleichzeitig den Beruf als Hausärztin weiter ausführen.

«Gebe es diese Möglichkeit nicht, hätten wir wahrscheinlich deutlich weniger Personen, die den Beruf überhaupt noch ausführen.»

Sabrina Albisser, Hausärztin

Ihr Mann ist ebenfalls Hausarzt. Gemeinsam arbeiten sie gut über 100 Prozent. «Vor einigen Jahrzehnten hätte der Mann Vollzeit in seiner eigenen Praxis gearbeitet und die Frau bei der Administration ausgeholfen und ihm zu Hause den Rücken freigehalten. Doch die Zeiten haben sich geändert», sagt die Luzernerin.

Sabrina Albisser will junge Kolleginnen für den Beruf des Hausarztes begeistern. (Bild: zvg)

Weiter führt Albisser aus, dass 60 Prozent als Hausärztin nicht dem gleichen Aufwand entspreche wie dasselbe Pensum in anderen Berufen. «Unsere Vollzeitwoche ist bei 45 bis 50 Stunden angesetzt. Diese Zeit bezieht sich nur auf die Sprechstundenzeit. Hinzu kommen Notfall- und Pikettdienste sowie Büroabende, an denen die administrativen Tätigkeiten nachgeholt werden.»

Ärztin versteht genervte Patienten

Ausserdem sei der Beruf – neben allen schönen Seiten – sehr belastend und anspruchsvoll, «intellektuell, physisch und emotional». Um leistungsfähig und selbst gesund zu bleiben, sei es extrem wichtig, einen Ausgleich zu haben, sagt die junge Hausärztin.

Dass es für Patientinnen zum Teil nervig sein könne, wenn die zuständige Ärztin nicht Vollzeit arbeite, verstehe sie. Gleichzeitig findet Albisser, dass Modelle wie Gruppenpraxen durchaus auch Vorteile böten. So hätten diese häufig keine Betriebsferien, und die Akten seien immer zugänglich. Im Notfall könne auch jemand anderes einspringen. Da sich die Ärztinnen in der Praxis untereinander austauschen könnten, sei auch die Qualität gesichert. «So muss ein Patient eventuell gar nicht zum Dermatologen, wenn sich jemand in der Gruppenpraxis gut auf dem Gebiet auskennt.»

Albisser hat sich unter anderem deswegen für den Hausarztberuf entschieden, weil sie dort die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit hat. «Gebe es diese Möglichkeit nicht, hätten wir wahrscheinlich deutlich weniger Personen, die den Beruf überhaupt noch ausführen.»

Junge Ärzte wollen nicht alles für Job aufopfern

Hausarzt werden will auch Valentin Schmid aus Emmenbrücke. Der 31-Jährige befindet sich aktuell in der Ausbildung zum Facharzt. In dem Ausmass zu arbeiten, wie das die Ärzte in den Jahrzehnten vor ihm getan haben, möchte Schmid jedoch nicht.

«Die Hausärzte, die heute in Pension gehen, haben zum Teil bis zu hundert Stunden pro Woche gearbeitet», erzählt Schmid von seinen Gesprächen mit älteren Hausärzten. Sie hätten ihre Praxis komplett selbst aufgebaut und häufig auch allein geführt. Dazu gehören ebenso viele nicht medizinische Tätigkeiten, wie beispielsweise die Einrichtung des IT-Systems.

«Ich will Zeit haben für eine Familie, für mich, für mein Hobby.»

Valentin Schmid, Assistenzarzt

Die jungen Ärzte heute seien auch bereit, viel für ihren Beruf aufzuopfern, «doch nicht alles». Valentin Schmid hat sich für den Job entschieden, weil er für Menschen da sein und ihnen helfen will. «Als Hausarzt behandelt man eine breite Klientel und hat ein grosses Anwendungsgebiet, das finde ich spannend», erzählt der Assistenzarzt.

Doch der Job soll nicht das Einzige in seinem Leben sein. Der werdende Vater sagt: «Ich will Zeit haben für eine Familie, für mich, für mein Hobby.»

Ältere Ärzte zeigen Verständnis für neues Modell

Angestellt zu sein, spricht Schmid an: «Als Angestellter kann man sich auf die medizinische Tätigkeit konzentrieren. Die Führung eines Betriebs hingegen beinhaltet viele andere Aufgaben.» Er schliesst es jedoch nicht aus, in Zukunft eine Praxis zu führen – einfach nicht allein. Dort könnte er mehr mitbestimmen, was der junge Assistenzarzt als Vorteil sieht.

Eine eigene Praxis von null aus aufzubauen, ist nicht sein Plan. «Das ist heutzutage aber auch nicht nötig. Es gibt viele Praxen, die eine Nachfolge suchen.» Darüber hinaus gebe es bestehende Gruppenpraxen, in die er sich einkaufen könnte.

Bei den älteren Hausärzten stösst Valentin Schmid mit seiner Zukunftsvorstellung auf Verständnis. Er erzählt von einem 72-jährigen Arzt, bei dem er ein Praktikum absolvierte. Die Praxis des Hausarztes ist die einzige im gesamten Dorf. «Er hört erst auf, wenn seine Praxis und seine Patientinnen übernommen werden», sagt Schmid. Für den Arzt sei es aber auch in Ordnung, wenn zwei oder drei Personen die Praxis weiterführen würden. Hauptsache, sie sei in guten Händen.

Hausärzte verdienen weniger als Spezialisten

Der Fachkräftemangel trifft viele Berufe hart. Der Mangel bei den Hausärztinnen fällt jedoch stärker aus als in anderen Arztberufen. Die Zahlen zeigen, dass sich die Anzahl an berufstätigen Hausärzten in den vergangenen Jahren in der Schweiz kaum verändert hat. Hingegen ist die Zahl an spezialisierten Ärzten gestiegen.

Im Studium habe Valentin Schmid erlebt, dass es Personen gebe, denen der Beruf des Hausarztes zu langweilig sei. «Ich will nicht den ganzen Tag die Probleme von anderen anhören», habe ein Kommilitone zu ihm gesagt. Sabrina Albisser ergänzt, dass Spezialisten häufig von einem grösseren Einkommen und einem höheren Prestige profitieren würden. Sie nimmt jedoch einen Wandel wahr: «Der Beruf der Hausärztin ist eher wieder im Kommen.»

Für Schmid und Albisser ist klar: Um dem Mangel entgegenzuwirken, müssen mehr Ärzte ausgebildet werden. Und davon müssten deutlich mehr in die Grundversorgung.

Verein fordert 200 Millionen Franken für Hausarztförderung

Dass bei den Ausbildungsplätzen angesetzt werden müsse, findet auch der Verband der Haus- und Kinderärzte Schweiz (mfe). In einer Petition fordert die Organisation, dass die Anzahl an Medizinstudienplätzen in der Schweiz von 1300 auf 1800 steigt. In Zukunft müsste mindestens die Hälfte der Medizinstudenten Haus- und Kinderarztmedizin wählen, um den künftigen Bedarf zu decken, so der Verband. Dafür solle die Hausarztmedizin an den Universitäten stärker und attraktiver werden.

Darüber hinaus fordert der Verband mehr Praxisassistenzstellen. Diese sollen von 280 auf 720 steigen. Dafür fordert er für die Jahre 2025 bis 2028 insgesamt 200 Millionen Franken vom Bund. Das Anliegen stösst auf Unterstützung: Über 50’000 Unterschriften kamen zusammen.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Sabrina Albisser, Hausärztin und Präsidentin des Vereins Hausarztmedizin & Community Care Luzern
  • Persönliches Gespräch mit Valentin Schmid, Assistenzarzt
  • FMH-Ärztestatistik aus dem Jahr 2023
  • Website des Vereins Hausarztmedizin & Community Care Luzern
  • Petition «Impulsprogramm Hausarztmedizin» vom Verband Haus- und Kinderärzte Schweiz
  • Artikel der «Sonntagszeitung» vom 3. August
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