Obwohl mehr Ärzte im Kanton arbeiten

Kinderarztpraxen stossen in Luzern an ihre Grenzen

Viele Kinderarztpraxen in Luzern stehen kurz vor einem Aufnahmestopp. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Die Kinderarztpraxen in der Region Luzern sind stark ausgelastet. Und die Situation verschärft sich weiter. Immer wieder müssen Praxen schliessen, da die Kinderärztinnen im Pensionsalter keine Nachfolger finden.

«Wir müssen endlich aufwachen. Seit zehn Jahren warnen wir davor, dass eine Pensionierungswelle bei Hausärzten sowie Kinderärztinnen bevorsteht. Jetzt ist es so weit. Und es ist nichts passiert.» Das sagte ein Kinderarzt vor Kurzem gegenüber der «Solothurner Zeitung». Im Kanton Solothurn fehlen demnach Kinderärzte für Tausende Kinder.

Auch im Kanton Zürich scheint die Not gross zu sein. Eltern sind gemäss einem Artikel von «Watson» bei der Suche nach einer Kinderärztin teilweise so verzweifelt, dass sie sich mit Bewerbungsschreiben an die Praxen wenden. Es ist sogar schon zu Drohungen von Eltern gegenüber Ärzten gekommen, da die Praxen ihre Kinder nicht aufgenommen hatten.

Einsatz während Mittagspausen und Wochenenden

Wie sieht die Lage in Luzern aus? zentralplus hat bei den Kinderärzten in der Region nachgefragt.

«Unsere Praxis ist stark ausgelastet», lautet die oft gehörte Antwort. Ein Kinderarzt aus der Stadt Luzern berichtet davon, dass er die erhöhte Arbeitslast gerade noch so tragen könne. «Wir haben bisher noch keinen Aufnahmestopp vornehmen müssen, da ich das mit wegfallenden Mittagspausen sowie Wochenend- und Abendarbeit kompensieren konnte», erklärt er. Dies stehe und falle aber mit der Motivation, regelmässig so viel zusätzlich zu arbeiten.

Auch die anderen Praxen scheinen an der Kapazitätsgrenze zu sein. Ein Kinderarzt aus der Agglomeration schreibt, dass er gerade noch zwei Assistenzärztinnen hätte anstellen können. Ohne sie wäre ein selektiver Aufnahmestopp nötig gewesen.

Die Auslastung scheint konstant zuzunehmen – so auch im Ärztezentrum Adligenswil. Die Praxis, die Kinder und Erwachsene behandelt, musste vor Kurzem einen Patientenstopp verhängen, sagt sie auf Anfrage. Dieser gelte auch für Patienten aus der Gemeinde.

Eine Praxis hat noch Kapazität – «keine typische Situation»

Ein anderer Arzt aus Emmenbrücke berichtet davon, dass er in seiner Praxis aktuell Kapazitäten habe. «Mir ist klar, dass das keine typische Situation für die Kinderarztpraxen im Kanton Luzern ist», relativiert er. Der Arzt habe die Praxis Anfang Jahr von einer Kollegin übernommen, die in Rente gegangen sei. Die Praxis sei aufgrund ihres Alters etwas heruntergefahren gewesen. Daher könne er aktuell noch neue Patienten aufnehmen.

Luzern hat doppelt so viele Kinderärzte als vor zehn Jahren

Im Kanton Luzern gab es per Ende 2023 insgesamt 83 Ärzte im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin, die selbständig tätig sind. Zehn Jahre zuvor waren es gemäss dem Kanton Luzern noch 41. Wie erklärt sich der Kanton also die Zunahme der Auslastung trotz der steigenden Anzahl an Kinderärztinnen? «Der Fachkräftemangel betrifft das Gesundheitswesen ganz stark und schliesst die Kinder- und Jugendmedizin mit ein», schreibt David Dürr, Leiter der Dienstelle Gesundheit und Sport, auf Anfrage.

Dass viele Eltern in Luzern Mühe haben, einen Arzt für ihre Kinder zu finden, merk auch die Kinder Permanence Swiss Medi Kids. Die Stadtluzerner Kinderpermanence bietet täglich von 10 bis 20 Uhr sogenannte Walk-ins an. Eltern können dort jederzeit bei Bedarf mit ihren kranken Kindern ohne vorherige Terminvereinbarung vorbeischauen.

Darüber hinaus versorgt die Praxis auch Stammpatienten. Die Nachfrage nach solchen Stammplätzen sei in letzter Zeit deutlich gestiegen, sagt Co-Standortleiter und Arzt Rudolf Mallmann.

Auch er berichtet davon, dass die Praxis stark ausgelastet sei. «Wir versuchen dauernd, genügend Ressourcen zu schaffen, indem wir beim Personal aufstocken», erklärt Mallmann.

Den jungen Ärzten ist das wirtschaftliche Risiko zu hoch

Doch wieso nimmt die Auslastung der Kinderärzte stetig zu? Eine Antwort darauf liefert Renate Röthlin, Präsidentin der Vereinigung der Zentralschweizer Kinderärzte: Immer wieder müssten Kinderarztpraxen schliessen, beispielsweise wenn Ärzte in Pension gehen würden und keine Nachfolgerinnen gefunden werden könnten. So erging es vergangenen Herbst einer Praxis in Kriens (zentralplus berichtete).

Als weiteren Grund nennt Röthlin das Sicherheitsbedürfnis der Eltern. Dieses habe zugenommen. Es werde rascher und häufiger eine Konsultation gewünscht. Auch das Ärztezentrum Adligenswil berichtet von dieser Beobachtung: «Der Entscheid für einen ärztlichen Untersuch wird heute viel niederschwelliger gefällt. Darum ist die Auslastung gestiegen.»

Die Präsidentin Kinderärzte Zentralschweiz erklärt, was gegen die starke Auslastung getan werden könnte: «Der Beruf der selbständigen Kinderärztin müsste auch für junge Kollegen interessanter und weniger belastend sein.» Aktuell sei es schwierig, Nachwuchs zu finden. Allein in einer Praxis zu arbeiten und gleichzeitig Unternehmer zu sein, schrecke ab. Röthlin berichtet vom Eindruck, dass die jungen Kolleginnen aufgrund der wirtschaftlichen Sicherheit tendenziell lieber in einem Anstellungsverhältnis arbeiten würden, als selbständig zu sein.

Wenn Kinderärztinnen fehlen, gehen Eltern direkt in den Notfall

Wird nun das Zentralschweizer Kinderspital überrannt, weil die Kinderärzte am Limit sind? «Einen kurzfristigen Effekt haben wir nicht festgestellt», erklärt Martin Stocker, Leiter des Kinderspitals, auf Anfrage. Das Spital wisse aber, dass es für Patienten respektive deren Eltern schwierig sei, eine Kinderärztin zu finden. «Sie schlagen entsprechend in unserem Notfall auf», ergänzt Stocker.

Das Spital sei daher stark daran interessiert, dass die Kinderarztpraxen Nachfolgelösungen fänden und so ihre Aufgabe in der Versorgungskette wahrnähmen.

Das will der Kanton unternehmen

Der Kanton Luzern ist sich gemäss eigenen Angaben des Fachkräftemangels in der Kinder- und Jugendmedizin bewusst. Er will nun beim Nachwuchs ansetzen. Laut David Dürr, Leiter der Dienstelle Gesundheit und Sport, will der Kanton in Zukunft mehr Praxisassistenzstellen finanzieren.

Dank des Praxisassistenzprogramms würden pro Jahr jeweils bis zu 20 Personen Einblick in eine Hausarzt- oder Kinderarztpraxis erhalten. Dadurch könnten neue Grundversorger gewonnen werden, die sich im Kanton Luzern niederlassen würden.

Der Ausbau dieses Praxisassistenzprogramms ist im neuen Planungsbericht Gesundheitsversorgung vorgesehen. Dieser befindet sich aktuell in Vernehmlassung.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Kinderarztpraxen im Raum Luzern
  • Telefonat mit Rudolf Mallmann, Co-Stellenleiter der Luzerner Kinder Permanence Swiss Medi Kids
  • Schriftlicher Austausch mit Renate Röthlin, Präsidentin Kinderärzte Zentralschweiz
  • Schriftlicher Austausch mit David Dürr, Leiter der Dienstelle Gesundheit und Sport des Kantons Luzern
  • Artikel der «Solothurner Zeitung»
  • Artikel von «Watson»
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