Das Katzendrama in der Schweiz spitzt sich zu. Im Kanton Luzern ist das Katzenelend gemäss einer Tierschützerin besonders gross. Sie schlägt Alarm – doch die Behörden schauen weg.
Schweizer Tierschützerinnen sind alarmiert: «Das Katzenelend wächst in unserem Land weiter an», sagt Esther Geisser, Gründerin und Präsidentin von Netap. Sie wird gerufen, wenn es an einem Ort zu viele oder unerwünschte Katzen hat. Die Organisation fängt die Katzen ein, päppelt sie auf, kastriert sie, setzt sie wieder aus – oder sucht ein neues Zuhause für sie, sofern die Tiere nicht in ihr altes Revier können.
Geisser sagte gegenüber zentralplus vor einer Woche: «Schaue ich die uns gemeldeten Fälle an, zählt der Kanton Luzern auch in diesem Jahr zu den Spitzenreitern in Sachen Katzenelend.»
So musste Netap in Roggliswil in den vergangenen drei Jahren schon «weit mehr als 100 Katzen» einfangen. Auch nach Malters, Schongau, Hohenrain, Rain, Grosswangen, Eich und Kaltbach wurden die Tierschützer zu Einsätzen gerufen.
Ausgesetzte Katzen finden auf Bauernhöfen Zuflucht
Wie viele Katzen es in Luzern gibt – das kann so einfach niemand beziffern. Raphael Felder, Geschäftsführer des Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverbands, erklärt, dass es derzeit kein systematisches Monitoring zur Katzenpopulation gebe.
Doch die Erfahrung zeigt laut Felder: «Oft werden Katzen ausgesetzt und finden auf Bauernhöfen Zuflucht.» Das führt dazu, dass fremde, oft verwilderte Tiere plötzlich auf den Höfen auftauchen – scheu, schwer einzufangen und unkastriert. Die Gefahr einer unkontrollierten Vermehrung ist allgegenwärtig.
Zweimal jährlich führt der Tierschutz Luzern Kastrationsaktionen durch, unterstützt vom Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband. Viele Bauernhöfe nehmen diese Angebote an, wie Felder betont: «Die Betriebsleitenden möchten ihre Tiere auf dem Hof im Griff haben und keine verwahrlosten oder kranken Katzen fördern.»
Doch aktuell müssen die Bäuerinnen für die Kastration zugelaufener Katzen aufkommen. Gemäss Tierschützerin Geisser ist für viele Landwirte das Töten der Katzen «immer noch das Mittel der Wahl, um die Population kurzfristig zu steuern».
Kantonstierarzt relativiert – und winkt ab
In diesem Jahr sind die Tierschützerinnen von Netap schweizweit bereits über 200-mal ausgerückt. Gemäss Geisser fällt ein Viertel aller Einsätze auf den Kanton Luzern. 170 Katzen hat man allein in diesem Jahr hier eingefangen und kastriert.
Kantonstierarzt Martin Brügger relativiert die Zahlen: «Der Veterinärdienst hat aktuell keine Hinweise darauf, dass sich die Gesamtsituation der Katzen im Kanton Luzern in den letzten Jahren verschlechtert hätte.» Dass Netap jeden vierten Fall im Kanton Luzern verzeichnet, suggeriere, dass das Katzenelend hier besonders gross sei. Diese Aussage sei laut Brügger «zwingend zu relativieren». Dies, weil keine «systematische Überprüfung der Situation jeder Katze in der gesamten Schweiz stattfindet». Die Zahlen von Netap würden sich auf Einzelbeobachtungen stützen.
Wie viele Katzen es gibt, kann auch er nicht sagen – denn im Gegensatz zu Hunden gilt für Katzen keine Registrierungs- oder Meldepflicht.
Kastrationspflicht: Ja, aber …
Tierschützer sehen das Problem eher in der Freiwilligkeit: Katzenhalter sind verpflichtet, eine unkontrollierte Vermehrung ihrer Tiere zu verhindern, das hält auch die Tierschutzverordnung so fest. Konkrete Massnahmen seitens des Kantons gibt es kaum, kritisieren Tierschützerinnen. Seit Jahren kämpfen sie sowie Politiker für eine Katzenkastrationspflicht.
Der Veterinärdienst hält in einem Merkblatt fest, dass alle Katzen an einem Haltungsort «vorzugsweise» zu kastrieren seien. «Neuzugänge sind fortlaufend und umgehend zu kastrieren», heisst es darin. Gemäss Brügger seien die Tierärztinnen sensibilisiert, ebenso Kontrollpersonen, die Heimtier- und Nutztierhalter kontrollieren. Der Veterinärdienst habe jedoch nicht die finanziellen Mittel und gesetzlichen Kompetenzen, Kastrationsprogramme durchzuführen, auch wenn ein Kastrationsprogramm fachlich zu begrüssen wäre. «Ein solcher Auftrag wäre auf dem politischen Wege dem Veterinärdienst zuzuweisen», so Brügger.
Eine Kastrationspflicht wäre aus Sicht des Luzerner Kantonstierarztes zwar sinnvoll. Doch weil man es den weiblichen Katzen nicht ansähe, ob sie kastriert seien oder nicht, müsste die Kastration der Tiere von Tierärzten in einer Datenbank registriert werden.
Für Brügger sind noch viele Fragen offen. Etwa, wer für herrenlose Katzen und deren Kastration zuständig wäre, wie zwischen Freigängerkatzen und verwilderten Katzen unterschieden werde, wer Katzen züchten dürfe und wer nicht. Voranpreschen wird der Kanton kaum. «Eine Einführung lediglich auf kantonaler Ebene wäre zwar möglich, aber wenig sinnvoll, weil es sich um eine nationale Thematik handelt.»
Felder vom Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband fände eine Kastrationspflicht in Kombination mit einer Chip-Pflicht sinnvoll. Auch ein Fonds zur Finanzierung der Kastration wäre hilfreich.
Gemeinden im Blindflug
So wie der Bauernverband und der Kantonstierarzt von keinem Büsileiden wissen wollen, scheinen auch die Gemeinden kein Problem zu sehen. Fünf angeschriebene Gemeinden lassen eine Anfrage von zentralplus unbeantwortet. Fünf andere nehmen Stellung.
In den ländlichen Gemeinden des Kantons Luzern scheint das Katzenproblem wenig sichtbar zu sein. Reto Strebel, Gemeindeschreiber von Hohenrain, gibt an: «Wir wurden mindestens in den letzten drei Jahren nicht mit der Thematik konfrontiert.»
Auch in Römerswil und Roggliswil wird das Problem auf offizieller Stufe nicht wahrgenommen. Meldungen aus der Bevölkerung seien noch keine eingegangen, so die Roggliswiler Gemeindeschreiberin Astrid Guhl.
In den Gemeinden Malters und Eich scheint man bislang ebenfalls nichts von einem Katzenelend bemerkt zu haben. So sagt Roger Bannwart, Geschäftsführer der Gemeinde Eich: «Wir gehen davon aus, dass in Eich keine Problematik besteht, da wir bislang damit nicht konfrontiert wurden.»
Die Bemühungen von Tierschützern und die Wahrnehmung des Problems seitens der Behörden und Gemeinden driften auseinander. So lange wird das Katzenelend wohl weiter wachsen. Esther Geisser erzählt, wie sie gerade eben einen Einsatz im Entlebuch hatte. Touristen hätten drei mutterlose Babykatzen gefunden, die am Verhungern gewesen seien. Die Touristen hätten sich beim Tierarzt gemeldet, dieser habe an die Polizei verwiesen, diese an den Tierschutz, dieser wiederum an Netap. Geisser sagt: «Wir holen die Kitten jetzt ab. Wenn wir nicht helfen, hilft offensichtlich in Luzern niemand.»
Isabelle Dahinden schreibt über Menschen, Beziehungen und das Leben. Nach ihrem Studium in Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften schreibt sie seit Dezember 2017 als Gesellschaftsredaktorin für zentralplus. 2021 hat sie die MAZ-Diplomausbildung absolviert, seit August 2023 ist sie stellvertretende Redaktionsleiterin.