Expertinnen sind besorgt

Gewalt gegen Mädchen: In Luzern fehlt eine Anlaufstelle

Gewalt gegenüber Mädchen und jungen Frauen ist ein Phänomen, das zunimmt. (Symbolbild: Adobe Stock)

Gewalt gegen Mädchen und junge Frauen nimmt zu. Aber laut einer neuen Studie fehlen in den nächsten fünf Jahren schweizweit bis zu 36 zusätzliche Schutzplätze. Ein Angebot fehlt vor allem in der Zentralschweiz. Gehen gewaltbetroffene Mädchen in Luzern vergessen?

Wie stark sind Mädchen und junge Frauen zuhause oder in ihrem Umfeld von Gewalt betroffen? Und wie viele Schutzunterkünfte braucht es?

Genau zu diesen Fragen liegt nun eine neue Studie vor. Und die Erkenntnisse lassen aufhorchen: In den nächsten fünf Jahren fehlen bis zu 36 zusätzliche Schutzplätze, um den Bedarf zu decken. Angebote fehlen vor allem in der West- und Zentralschweiz sowie im Tessin. Das hat der Bundesrat letzte Woche mitgeteilt.

Haus Hagar in Luzern: Gewaltbetroffene junge Frauen sind die Ausnahme

In Luzern finden gewaltbetroffene Frauen Schutz im Frauenhaus. Hier werden aber «nur» volljährige Frauen oder Mütter mit ihren Kindern aufgenommen. Und auch ins Haus Hagar kommen Jugendliche in der Regel mit ihren Müttern. Oft seien Mütter die Primärbetroffenen, sagt Pia Engler auf Anfrage. Die Luzernerin leitet neben ihrem Amt als Kantonsrätin das Haus Hagar. «Kinder haben oft im Klima der häuslichen Gewalt gelebt, vereinzelt sind auch sie Direktbetroffene von Gewalt geworden.»

«Oft sind es junge Frauen im Übergang ins Erwachsenenalter, die den Mut aufbringen, wegen erlebter Gewalt das Zuhause zu verlassen.»

Pia Engler, Leiterin Haus Hagar und SP-Kantonsrätin

«Wir haben aber auch immer wieder junge Frauen, die bei uns Hilfe suchen und erhalten. Oft sind es junge Frauen im Übergang ins Erwachsenenalter, die den Mut aufbringen, wegen erlebter Gewalt das Zuhause zu verlassen. Dies sind bis heute aber Einzelfälle.»

Rund um die Uhr finden Mädchen und Jungen in Luzern in Nähe des Dietschibergs Hilfe: Genauer gesagt in der Notaufnahme Utenberg (NAU). Hier werden Kinder und Jugendliche in akuten Gefährdungs- und Krisensituationen betreut. Sei das wegen massiver Konflikte oder Gewalt in der Familie. Der Schutz des Kindes steht dabei im Vordergrund. Auf Anfrage äussert sich die Notaufnahme nicht weiter.

Opferberatung Luzern: Ambulant beraten reiche meistens aus

Ebenfalls finden Betroffene Hilfe bei der Opferberatung Luzern. Im letzten Jahr wurden da 80 Mädchen im Alter von 10 und 17 Jahren beraten sowie 205 junge Frauen im Alter von 18 und 29 Jahren.

Den neuen Bericht habe man «mit Interesse zur Kenntnis genommen». Das erwidert Edith Lang, die Leiterin der Dienststelle Soziales und Gesellschaft auf die Frage, inwiefern sie besorgt sei, dass in der Zentralschweiz gemäss Bund Angebote fehlten.

«Wir mussten im vergangenen Jahr 178 Absagen an junge Menschen von überall her erteilen, weil wir schon voll waren.»

Lucas Maissen, Institutionsleiter Schlupfhuus Zürich

Sie gibt aber zugleich auch Entwarnung: «Nicht jedes gewaltbetroffene Mädchen und nicht jede gewaltbetroffene junge Frau ist auf einen spezialisierten Schutzplatz angewiesen.» Oftmals reiche es, Betroffene ambulant zu beraten, bei einem allfälligen Strafverfahren zu begleiten und an Therapeutinnen zu vermitteln.

Schlupfhuus in Zürich musste gewaltbetroffene Mädchen auch schon abweisen

Musste ein Mädchen in einer ausserkantonalen Unterkunft untergebracht werden, sei das in der Vergangenheit kein Problem gewesen. Edith Lang hält fest: «In denjenigen Situationen, in welchen eine Unterbringung der Betroffenen in einer spezialisierten Unterkunft in einem anderen Kanton angezeigt war, konnte diese bislang problemlos vermittelt werden.» Zudem verweist sie darauf, dass die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren das Angebot überprüft und Vorschläge macht, wie Angebotslücken geschlossen werden können.

Doch bei den ausserkantonalen Schutzunterkünften zeigt sich, dass diese längst nicht alle gewaltbetroffenen jungen Menschen aufnehmen können. Etwa beim Schlufphuus Zürich. Der Institutionsleiter Lucas Maissen wies gegenüber «Pilatus Today» darauf hin, dass sie zunehmend ein Platzproblem haben. «Wir mussten im vergangenen Jahr 178 Absagen an junge Menschen von überall her erteilen, weil wir schon voll waren», so Maissen. Dass es in der Zentralschweiz keine Schutzunterkunft spezifisch für Mädchen gibt, findet er bedenklich.

Die Not der Kinder steht zu wenig im Fokus von Fachpersonen

So auch SP-Kantonsrätin Pia Engler. Wie sehr gehen die Schicksale gewaltbetroffener Mädchen hier vergessen? Pia Engler zeigt sich besorgt über die Entwicklung. Die Schaffung einer Anlaufstelle sei sehr wichtig. «Es braucht eine Stelle, wo sich betroffene Mädchen hinwenden und wo sich Fachpersonen beraten lassen können.» Zu denken gibt ihr auch die hohe Dunkelziffer. «Diese weist darauf hin, dass wir noch einen grossen Informationsbedarf haben und vieles nicht erkennen», so Engler.

«Gewaltbetroffene Mädchen verstehen vielleicht selber nicht, was ihnen passiert ist und können es nicht einordnen.»

Pia Engler, Leiterin Haus Hagar und SP-Kantonsrätin

Die Not der Kinder, die von häuslicher Gewalt mitbetroffen sind, stünde bei Fachpersonen im Alltag oft noch zu wenig im Fokus. Engler betont: Bevor Hilfe angeboten werden kann, müssen Betroffene die Notlage erkennen. Das Problem: «Meiner Erfahrung nach können gewaltbetroffene Mädchen dies selten so klar benennen. Sie verstehen vielleicht selber nicht, was ihnen passiert ist und können es nicht einordnen.»

Was könnten mögliche Hinweise sein? Vielleicht fällt auf, dass sich ein Kind nicht konzentrieren kann. Vielleicht klagt es oft darüber, dass es Bauch- oder Kopfschmerzen hat. Es sei wichtig, das Lehrer, Ärztinnen, Schulsozial- und Jugendarbeiterinnen diese Symptome richtig lesen können. Um Krisensituationen frühzeitig zu erkennen und früh genug zu intervenieren.

In Luzern will man häusliche Gewalt (wieder) besser koordinieren

Das Thema beschäftigt die Politik immer wieder. Nicht zuletzt, weil die kantonalen Sparmassnahmen auch diesen Bereich getroffen haben. Pia Engler hat mehrere Vorstösse zum Thema häusliche Gewalt eingereicht. Auch zur Situation von Kindern. Um vom Kanton zu wissen, was er dagegen unternimmt.

Kürzlich hat der Luzerner Kantonsrat ein Postulat von Pia Engler einstimmig überwiesen, um den «Runden Tisch häusliche Gewalt» zu reaktivieren und weiterzuentwickeln (zentralplus berichtete). «Das ist ein wichtiges Gefäss um diese Anliegen weiterzubringen», sagt Pia Engler.

Verwendete Quellen
  • Bericht des Bundesrates über gewaltbetroffene Mädchen und junge Frauen
  • Schriftlicher Austausch mit Pia Engler, SP-Kantonsrätin
  • Medienbericht von «Pilatus Today»
  • Schriftlicher Austausch mit Edith Lang, Dienststelle Soziales und Gesellschaft
  • Schriftlicher Austausch mit Annelies Eichenberger, Frauenhaus Luzern
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