Entwicklung in Zuger Gemeinde

Frischer Wind weht durch ein verschlafenes Dorf

Es geht nicht mehr lange, bis das Haus des Instituts der Schwestern vom Heiligen Kreuz (links) einer anderen Nutzung zugeführt wird. (Bild: dus)

In der Zuger Berggemeinde Menzingen verändert sich einiges: Es wird die riesige Carmel-Überbauung aus dem Boden gestampft, die Kantonsschule erweitert, ein neuer Werk- und Ökihof entsteht und auf dem Gubel ziehen nächstes Jahr Asylsuchende ein. zentral+ hörte sich in Menzingen um und stiess auf viel Optimismus.

«Menzingen ist schon ein wenig ein Schlafdorf», sagt Konrad Hegglin, Präsident der örtlichen Hilfsgesellschaft und ehemaliger Bürgerschreiber. Nun komme etwas Leben ins Dorf, freut er sich. Kann man Menzingen als Schlafdorf bezeichnen? Viele Einheimische sehen das so, aber längst nicht alle. Vor allem nicht jene, die sich in den zahlreichen Vereinen engagieren. Allerdings sagt auch der ehemalige Redaktor der Neuen Zuger Zeitung, Karl Etter, nach kurzem Zögern: «Ja, vielleicht ein wenig.» Etter sieht in Menzingen vor allem viel Ruhe und Lebensqualität. 

Viel ist an diesem Sommermorgen nicht los auf dem Menzinger Dorfplatz. Das alte Bahnhofsgebäude zeugt davon, dass hier zwischen 1913 und 1953 die Eisenbahnstrecke aus Zug endete. Nun ist es die Hauptstrasse, die mitten durch das Herz des Dorfes sticht und den Platz entzwei teilt. Der Verkehrslärm hält sich indes in Grenzen. Gut besetzt sind derweil die Busse von und nach Zug. «Im Vergleich zum Ägerital ist das Gewerbe hier relativ schwach», erklärt Karl Etter.

Das hat mehrere Gründe. «So vor 40 Jahren sagte man hier, man habe ja das Institut der Schwestern vom Heiligen Kreuz, man brauche deshalb keine Industrie», erinnert sich Konrad Hegglin. Ein anderer Grund ist das knappe Gewerbeland. Wo es noch solches gibt, bewirkt eine Hochspannungsleitung, dass Arbeitsplätze teils nur mit Einschränkungen eingerichtet werden können. 

Kaum Wachstum möglich

Auch Bauland ist in Menzingen rar. «Neue Einzonungen sind kaum möglich», sagt Martin Kempf, der als Gemeinderat der Bauabteilung vorsteht. Die ganze Gemeinde wurde wegen der Moränenlandschaft zu schützenswertem Gebiet erklärt. Kempf glaubt nicht, dass Bund und Kanton in der Richtplanung Menzingen zusätzliche Bauzonen zugestehen würden. Entsprechend wenig ist die Gemeinde in den letzten Jahrzehnten gewachsen. Wuchs die Bevölkerung des Kantons und auch der anderen drei Zuger Berggemeinden Neuheim, Oberägeri und Unterägeri in den vergangenen 30 Jahren um rund 50 Prozent, stieg Menzingens Einwohnerzahl in der gleichen Zeit bloss um etwa 20 Prozent. Heute zählt die Gemeinde rund 4’500 Einwohner. 

Martin Kempf sieht Vor- und Nachteile in den geringen Wachstumsmöglichkeiten. Einerseits müsse man so nicht ständig die Infrastruktur redimensionieren, sondern könne sie erneuern, andererseits – und da spricht er als Inhaber eines Baugeschäfts – würde das Gewerbe ein gewisses Wachstum begrüssen. Es ist aber keineswegs so, dass in Menzingen in den letzten Jahren nicht gebaut worden wäre. Eine gewisse Verdichtung fand durchaus statt. Dies allerdings bloss flächenmässig, wie Kempf erläutert: «Vielfach handelte es sich um eine Vergrösserung des Wohnraums pro Person», so der Gemeinderat.

«Carmel» bringt frischen Wind

Es verwundert daher wenig, dass die «Carmel»-Überbauung nahe des Dorfzentrums auf viel Zuspruch stösst (Panorama-Ansicht Carmel-Bau). Wo einst ein Altersheim der Schwestern vom Heiligen Kreuz mit grosszügiger Parkanlage stand, baut das Institut nun fünf Wohnhäuser mit 69 Miet- und 18 Eigentumswohnungen. In den 90er-Jahren wurde bereits das Altersheim Sonnhalde aufgegeben und in zehn, zwanzig Jahren werden wohl auch das Altersheim Maria vom Berg und das Mutterhaus frei. In Menzingen leben noch gut 200 Schwestern – und es werden immer weniger. «Neueintritte bleiben praktisch aus», bestätigt Urs Zahner vom Institut Menzingen. Die Auslastung der voluminösen Institutsgebäude sinkt. 

Von den Wohnungen im Carmel sind die meisten bereits vermietet oder verkauft. Im Herbst ist das erste Haus bezugsbereit. Auch Konrad Hegglin und seine Frau haben im Carmel eine Wohnung gefunden. «Im Moment leben wir in einer 5.5-Zimmer-Wohnung», erklärt Hegglin. Die Töchter seien nun ausgezogen, eine 3.5-Zimmer-Wohnung genüge künftig. Begeistert griff auch CVP-Kantonsrat Frowin Betschart zu. Ihn freut, dass viele Menzinger ins Carmel ziehen. «So wird Wohnraum für Familien frei», erklärt er. Betschart weiss von mehreren Bekannten, die nun zurück nach Menzingen ziehen. «Carmel bringt frischen Wind nach Menzingen», sagt Betschart.

Ins selbe Horn stossen auch die beiden Gemeinderatskandidaten Barbara Beck-Iselin (Alternative – die Grünen) und Markus Staub (SVP). «Dass eine gute Durchmischung angestrebt wird und die Schwestern ihr Bauland nicht der Spekulation überlassen, ist vorbildlich», sagt sie. Die Siedlung gebe vielen Menschen eine Gelegenheit, zu einem vernünftigen Preis eine Wohnung zu mieten, lobt er. 

Verschiebt sich das Dorfzentrum?

Auf Skepsis stösst man in Menzingen einzig, wenn es um die Coop-Filiale geht, die Anfang September im Carmel öffnet. Drei Tage später, am 6. September, schliesst deshalb der «Volg» am Dorfplatz für immer. Das grosse Lädelisterben wird indes kaum erfolgen: Es hat längst stattgefunden. «Früher hatten wir quasi zwei Einkaufszentren im Dorf», erinnert sich Karl Etter. «Im Ober- und im Unterdorf gab es je eine Bäckerei, Metzgerei und Molkerei, dazu einige Spezereien und Kolonialwarenläden.» Ab den 60er-Jahren verschwanden die Läden und Wirtschaften zusehends. Die Drogerie, die Papeterie, der Schuhmacher und der Spielzeugladen sind weg.

Nach der Volg-Schliessung wird der Dorfplatz nur noch die Raiffeisenbank, die Post, das Hotel «Ochsen» und die Café-Konditorei «Schlüssel» beherbergen. Parkplätze sind Mangelware. Gut möglich, dass sich das Dorfzentrum etwas nach Westen verschiebt, wie etwa Barbara Beck-Iselin befürchtet, denn auch die Kantischüler werden dort verkehren, liegt Carmel doch auf der Strecke zwischen Bushaltestelle und Kantonsschule. Sie selber kaufe fast immer in den Dorfläden ein, so Beck-Iselin. Sie fürchtet, dass jene, welche nachher beim Coop parkieren werden, danach nicht noch zur Dorfmetzg laufen. 

Keine Angst vor Coop

Bei der Konkurrenz wird die Ankunft des Coop mit Spannung erwartet. Nicht ängstlich, aber mit Respekt, wie Rosmarie Tela, Mitinhaberin der Denner-Filiale betont. Sie konzentriere sich nun auf ihre Stärken. Neben den günstigen Preisen sei dies die Kundennähe. «Wir bieten einen Hauslieferdienst an, sind freundlich und dafür bekannt, dass wir älteren Menschen auch mal helfen, ihre Waren ins Auto zu packen», sagt Tela.

Ähnlich klingt es beim Dorfmetzger Markus Hegglin. Angst vor Coop habe er nicht. «Mein Fachgeschäft setzt auf regionale Wurst- und Fleischwaren hoher Qualität», sagt er bestimmt. Hegglin wird sein Sortiment an pfannenfertigen Produkten und die warme Ecke ausbauen. Die Zukunft der Dorfmolki sei indes noch unklar, so Hegglin.

Tela, Hegglin und die meisten anderen Gesprächspartner betonen, dass der Coop durchaus auch einen positiven Effekt für die lokalen Geschäfte haben könnte. «Vielleicht kaufen die Menzinger nachher wieder mehr im Dorf anstatt bei den Grossverteilern in Ägeri oder Zug ein», hofft Hegglin. So hätten nämlich alle etwas davon.

0 Kommentare
Apple Store IconGoogle Play Store Icon