Seelsorger ist gefragt wie nie

Er hilft den Helfern in Not

Der 64-jährige Fred Palmer im Hauptquartier der Stadtluzerner Feuerwehr. (Bild: zar)

Der Polizei- und Feuerwehrseelsorger Fred Palm hat derzeit überdurchschnittlich viel zu tun. Ein Anlass, diesen seltenen Beruf etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Ein Gespräch über Sinn und Zweck dieser Tätigkeit, Kulturwandel und Beistand von oben.

Nach dem Einsatz ist vor dem Einsatz. Das gilt insbesondere für Polizei und Feuerwehr. Zurück in der Zentrale ist deshalb erst einmal nichts mit Sich-Zurücklehnen und dolce far niente. Es gilt Einsatzfahrzeuge zu überprüfen und Material nachzufüllen. Retablieren heisst das im Jargon.

Retablieren, das ist auch ein Hauptanliegen von Fred Palm. Dabei kümmert sich der 64-Jährige weniger um Feuerwehrschläuche oder Verbandsmaterial, sondern vielmehr um Menschen. Und zwar solche, die in besonders heftigen Einsätzen an vorderster Front mit dabei waren. Wenn Dienstkollegen verunfallen, Kinder beteiligt sind, geschossen wird oder allgemein viel Blut fliesst: Immer dann ist er einer von gut 30 Peers, die bei der Luzerner Polizei sowie der Feuerwehr Stadt Luzern auf Abruf zum Zug kommen, um sich um die psychischen Folgen zu kümmern.

Einer von vielen – und doch ein Unikum

Und doch ist Palm ein Exot – auch wenn das beim Besuch von zentralplus auf den ersten Blick nicht erkennbar ist. Grelles Licht fällt auf den Sitzungstisch im Hauptquartier der Stadtluzerner Feuerwehr, in der Ecke summt eine Serverbox. Palm hat die Beine überschlagen und die Hände verschränkt, trägt ein blaues Poloshirt. In Weiss eingestickt sind die Worte Polizei, Feuerwehr und Luzern.

Im Gegensatz zu allen anderen Peers ist er weder vollwertiges Mitglied der Polizei noch der Stadtluzerner Feuerwehr. Dafür aber predigt er regelmässig im bernischen Huttwil – als reformierter Pfarrer. In die einstige Katholiken-Hochburg Luzern hat es ihn wegen eines Mandates verschlagen, das es in der Deutschschweiz sonst nur in drei weiteren Kantonen gibt: Er ist Polizei- und Feuerwehrseelsorger.

Polizei-Peers sind besonders gefordert

Als solcher hat er in letzter Zeit viel zu tun, überdurchschnittlich viel. Im laufenden Jahr seien bereits so viele Gespräche angefallen wie im gesamten letzten, sagt Palm. Die Gründe dafür verortet er aber weder beim vielzitierten Kulturwandel noch sieht er sich als Opfer seines eigenen Erfolges. Zwar interessierten sich insbesondere junge Polizisten verstärkt für das Thema psychische Gesundheit. Und auch habe Mund-zu-Mund-Propaganda zur einen oder anderen Zusatzsitzung geführt. Die gestiegene Nachfrage aber sei vor allem damit zu erklären, dass sich in diesem Jahr aussergewöhnlich viele brutale und heftige Einsätze gehäuft hätten. Allein bei der Luzerner Polizei gab es 13 Fälle, die automatisch Peers wie Palm auf den Plan rufen.

Zur Person

Fred Palm wuchs in Ebikon auf. Er hatte erst die landwirtschaftliche Berufsschule absolviert, bevor er als Werkstudent in Zürich Agronomie und in Bern Theologie studierte. Palm war zudem während 17 Jahren Leiter des Care-Teams des Kantons Bern. Seit 2020 hat er ein 30-Prozent-Pensum als Polizei- und Feuerwehrseelsorger in Luzern. Finanziert wird die Stelle von den Landeskirchen sowie Polizei und Feuerwehr. Daneben ist er reformierter Pfarrer in Huttwil (BE).

Palm versteht sich aber nicht nur als Springer, der immer dann zur Tat eilt, wenn etwas besonders Schlimmes und potenziell Traumatisierendes passiert ist. Er ist einer der «proaktiven» Sorte, der nicht nur symbolisch einen Schlüssel für Polizeihauptgebäude und zur Feuerwehrwache hat. «Ich zeige mich den Leuten, bin bei ihnen – ohne mich aufzudrängen.» Vor allem bei der Feuerwehr hat so die Anzahl Gespräche seit seinem Amtsantritt vor vier Jahren stetig zugenommen.

Seelsorge als Ergänzung

Doch braucht es ein solches Angebot überhaupt? Diese Frage stellt Palm gleich selbst – und spricht damit aus, was wohl auch der eine oder andere kritische Geist in den Reihen der Polizei und Feuerwehr insgeheim denkt. Zwar bietet Palm seine Dienste allen an, unabhängig von Konfessionen und Glaubensrichtungen und selbst Atheisten sind willkommen. Die Polizei hat aber auch ohne Seelsorge ein breites Betreuungsangebot. Nebst den regulären Peers (elf an der Zahl) gibt es da auch noch Betriebs- und Polizeipsychologen, wo immer der Bedarf über das strukturierte Gespräch hinausgeht. In schwerwiegenden Fällen wird auf Traumata-Spezialisten zurückgegriffen. Palm weiss: «Ich als Seelsorger stehe da nicht an erster Stelle.»

«Es hat schon einige Situationen gegeben, in denen ich dachte: Gut, gibt es mich.»

Und doch glaubt Palm ein Wörtchen mitreden zu können, vor allem, wenn es um seine Kernexpertise als Seelsorger geht. Themen, die die menschliche Existenz per se betreffen: Unfall, schwere Krankheit, Scheidung, grosse wirtschaftliche Not. «Mein Angebot ist eine gute Ergänzung zu den Fähigkeiten der Psychologinnen und wird besonders im Bereich der Feuerwehr auch in Anspruch genommen.»

Palm rüstet Polizisten aus – mit den richtigen Worten

Daneben kommt der erfahrene Krisenmanager und Gottesmann auch an etlichen Anlässen von Polizei und Feuerwehr zum Einsatz. «Das liebeni!», sagts und die hellblauen Augen blitzen auf. Ob an einer Agatha-Feier der Feuerwehr oder auch bei der Vereidigung von Neupolizisten – Palm hat immer ein paar besinnliche Worte in petto, tiefschürfend und über gängige Floskeln hinausgehend. Eine Botschaft ist ihm dabei besonders wichtig: «Nicht alles liegt in unseren Händen. Wir alle sind auf Beistand von oben, von einer grösseren Macht angewiesen.» Und: «Gerade Polizisten und Feuerwehrleute brauchen nicht nur die richtige Ausrüstung, sondern auch die entsprechenden Werte.»

Und dann gibt es noch einen gewichtigen Unterschied. Palm hat, was vielen Psychologen derzeit fehlt: Zeit. Und dies trotz reger Nachfrage. Ein Gespräch könne so auch mal vier Stunden dauern. Ein Luxus, von dem viele weltliche Kollegen nur träumen können. Und einer, der auch zentralplus an diesem Mittwochnachmittag nicht vergönnt ist. Denn nach anderthalb Stunden Gespräch inklusive Fototermin ist Schluss – in Palms Agenda steht ein weiterer Termin. Ein Scheidungsfall, schwerwiegende Krise, regelmässige Treffen. Mehr Details aber gibts nicht. Denn Vertraulichkeit ist das A und O als Polizei- und Feuerwehrseelsorger. Nur so viel: «Es hat schon einige Situationen gegeben, in denen ich dachte: Gut, gibt es mich.»

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Fred Palm
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