Facebook-Gruppe «Zuger helfen Zugern» wird 10

Die Gruppe, die Zug von einer anderen Seite zeigt

Vor zehn Jahren hat Rosa Kolm «Zuger helfen Zugern» gegründet. (Bild: zvg)

Die Facebook-Gruppe «Zuger helfen Zugern» zählt mittlerweile fast 35’000 Mitglieder. Kein Wunder: Die Gruppe hat schon vielen Menschen aus schwierigen Situationen herausgeholfen. Der Erfolg der Plattform ist für die Gründerin nicht nur ein Segen.

Was tun, wenn man kein Geld für ein Umzugsunternehmen aufbringen kann, aber dringend ein paar helfende Hände bräuchte? Wie weiter, wenn man einen kranken Igel gefunden hat? Wenn sich die alten Kinderkleider im Keller stapeln, obwohl sie noch in bestem Zustand sind?

Vor rund zehn Jahren gründete die Zugerin Rosa Kolm die Facebook-Plattform «Zuger helfen Zugern»; ein niederschwelliges, unkompliziertes Angebot für Menschen aus dem Kanton Zug. Die Gruppe traf schon früh den Nerv der Gesellschaft. «Ich erinnere mich an die Zeit, als wir 1000 Mitglieder erreichten. Das ist ja der Wahnsinn, fand ich. Dann, als wir in die Nähe der 5000er-Marke kamen, fürchteten wir, dass die Gruppe gemäss den Facebook-Regeln voll sei und niemand mehr eintreten dürfte. Was hatten wir uns getäuscht», erzählt Rosa Kolm auf Anfrage. Heute sind 33’950 Personen Mitglied von «Zuger helfen Zugern». Die Plattform scheint nötiger denn je zu sein.

«Ich investiere sicher 1000 Stunden pro Jahr in ‹Zuger helfen Zugern›.»

Rosa Kolm, Gründerin der Plattform

Für den Vereinsvorstand und die Mitglieder gibt es viel zu tun. Manchmal zu viel. «Ich investiere sicher 1000 Stunden pro Jahr in ‹Zuger helfen Zugern›.» Es ist unentgeltliche Arbeit, die die 57-Jährige neben ihrem Vollzeitjob ausübt.

Geschenke für 220 Kinder in Zug – dank Kiwanis

Dabei ist das, was auf der Facebook-Plattform passiert und von den Verantwortlichen koordiniert wird, nur eine Seite. Ein grosser Teil des Einsatzes, den Rosa Kolm und ihre Kolleginnen leisten, ist nicht sichtbar. «Seit vier Tagen arbeite ich an der Weihnachtsaktion, die gemeinsam mit dem Kiwanis Club Zug läuft.» Wer es sich nicht leisten kann, seinen Kindern das gewünschte Weihnachtsgeschenk zu kaufen, konnte sich auf «Zuger helfen Zugern» melden. Kiwanis übernimmt die Kosten dafür, während Kolm und ihr Team alles Organisatorische erledigen.

«Vergangenes Jahr haben sich bei der Aktion etwa 140 Menschen gemeldet. Heuer haben uns 220 Geschenkwünsche erreicht», sagt Kolm.

Daneben bietet «Zuger helfen Zugern» auch Soforthilfe an. «Etwa für Leute, die kein Geld haben für den Haushaltseinkauf. Denen helfen wir mit Lebensmittelgutscheinen aus. Auch gibt es solche, welche die Miete oder die Krankenkassenrechnung nicht zahlen können. «Diese Rechnungen übernehmen wir punktuell, nachdem uns die Menschen ihre Situation erklärt haben.»

«Ich merke immer wieder, wie schnell die Spirale abwärts dreht, sobald man drin ist.»

Rosa Kolm, Gründerin von «Zuger helfen Zugern»

Ob sich solche Fälle gehäuft hätten in den vergangenen Jahren? «Das kann sein. Im Moment melden sich auch Leute bei mir, die grundsätzlich sehr zurückhaltend sind. Ich merke jedoch immer wieder, wie schnell die Spirale abwärts dreht, sobald man drin ist.» So werde ein «Ich kann meinen Kühlschrank nicht mehr füllen» rasch zu einem «Ich habe seit drei Monaten meine Miete nicht mehr zahlen können», sagt Kolm.

Die Suche nach Spenden ist nervenaufreibend

Die regelmässige Suche nach Sponsoren und Geldgebern bei akuten Fällen sei denn auch das, was besonders zeitaufwendig sei, erklärt Kolm. «Unser grösster Sponsor war bisher ein Unternehmer aus dem Kanton Zug. Bei einem Fall, bei dem es um den Erhalt eines Bauernhofes ging, sprang dieser mit einer Spende von 30’000 Franken in die Bresche. Unglaublich.» Kolm weiter: «Auch Niklas Nikolajsen, der Gründer von Bitcoin Suisse, unterstützt uns immer wieder mit ansehnlichen Summen.»

zentralplus hat im Rahmen des Gruppenjubiläums die Mitglieder von «Zuger helfen Zugern» nach ihren persönlichen Geschichten gefragt. Die Antworten kamen zahlreich. Von jenen, die gerne helfen möchten, gerne wissen wollen, wo bei den Mitgliedern «der Schuh drückt». Andere wiederum erzählen äusserst persönliche Geschichten und schildern Situationen, die aufzeigen, dass es längst nicht allen Personen im Kanton Zug gut geht.

Eine Gruppe, die Trost spendet in finsteren Zeiten

Allein durch ihre Existenz kann die Gruppe «Zuger helfen Zugern» Gutes bewirken. Petra* erzählt davon, dass sie vor zehn Jahren, im Jahr 2013, grosse Ängste entwickelt habe. Diese standen im Zusammenhang mit dem damaligen Weltgeschehen. «Es begann in der Welt zu brodeln, in Syrien, in der Ukraine», sagt sie. Das damit in Verbindung stehende Migrationsthema machte ihr zu schaffen. Weiter hatte sie Bedenken bezüglich der Sicherheit von Schweizer Kernkraftwerken. Die Tatsache, dass sie kurz darauf in ihrem Briefkasten Jodtabletten vorfand, die vom Bund versandt wurden, verunsicherte sie massiv. Dass der Bund die Bevölkerung in einem gewissen Umkreis von Kernkraftwerken alle zehn Jahre damit versorgt, wusste Petra damals nicht.

Aus Angst vor Radioaktivität begann Petra Hamsterkäufe zu tätigen, schaffte sich 100 Liter Wasser an, kaufte zig Kilo Reis und Konserven. Sie fühlte sich allein, zweifelte am Zusammenhalt der Gesellschaft. «In der Zeit, in der ich in dieser Unsicherheit und diesen Zukunftsängsten gefangen war, wurde ‹Zuger helfen Zugern› gegründet.» Die Gruppe habe Petra gezeigt, dass sie nicht allein sei, und hätte ihr während der herausfordernden Lebensphase viel Kraft und Geborgenheit geschenkt.

«Es hat mir Mut gemacht zu sehen, dass ich nicht allein bin.»

«Zuger helfen Zugern»-Mitglied

Das geht auch anderen Nutzern so. Jacqueline* äussert sich auf den Aufruf von zentralplus wie folgt: «Als Rosi die Gruppe gegründet hat, war ich selbst in einer schwierigen Situation, und es hat mir Mut gemacht zu sehen, dass ich nicht allein bin. Heute geht es mir wieder gut, und ich bin immer noch in der Gruppe, weil ich damals nehmen durfte und heute geben darf.»

Dann wiederum bietet die Gruppe auch immer wieder Hilfe zur Selbsthilfe an. «Aufgrund einer psychischen Krankheit hatte ich Probleme mit dem Entsorgen. Ich hatte Rosa vertraulich mein Problem erörtert und sie gefragt, ob ich Hilfe bekommen könnte. Sie hat mir jemanden empfohlen. Eine sehr tolle Empfehlung. Ich habe bis heute ab und zu Kontakt zu diesem Herrn», sagt Agata*.

Eine Gruppe, die Leben retten kann

Andere Geschichten zeigen sehr exemplarisch, wie schnell sich die Abwärtsspirale drehen kann. So etwa jene turbulente Geschichte von Fabian*, der vor neun Jahren durch die schwierige Situation am Arbeitsplatz ein Burn-out erlitt. Nach dem Wiedereinstieg ins Arbeitsleben sank sein Einkommen, es begannen sich Schulden anzuhäufen. Ausserdem blieben die Arbeitsverhältnisse für Fabian schwierig. Durch die immer grösser werdenden Schuldenberge und Probleme im Privatleben verschlimmerten sich die Depressionen, bis der Mann eines Tages beschloss, nicht mehr leben zu wollen.

«In einer dunklen Nacht zog es mich denn hoch zur Lorzentobelbrücke.»

Mitglied von «Zuger helfen Zugern»

«In einer dunklen Nacht zog es mich denn hoch zur Lorzentobelbrücke. Doch zu feige für diesen Schritt, sass ich Stunden nur auf dieser Brücke und weinte. Bis ein älterer Mann vorbeikam und sich zu mir setzte», erzählt Fabian. «Geduldig hörte er meine Geschichte an und blieb einfach da. Ich kenne seinen Namen heute noch nicht.» Der ältere Herr erzählte ihm von No-Food-Waste-Kühlschränken, an denen sich Bedürftige bedienen können. «Er hatte das via ‹Zuger helfen Zuger› erfahren.»

«Die ersten richtigen Mahlzeiten nach der langen Zeit, in der ich nur Reis gegessen hatte, bereiteten mir Magenschmerzen.»

Mitglied von «Zuger helfen Zugern»

Wenige Tage später meldete sich Fabian bei Rosa Kolm. «Von Rosa wurde ich zur Schuldenberatung Triangel in Zug vermittelt. Auch erhielt ich ein paar Mal Einkaufsgutscheine für die Migros.» Ebenso nützte er die Sammelkühlschränke in Cham und Baar, wo er zu Fuss oder mit dem Velo abgelaufene Lebensmittel beziehen konnte. «Die ersten richtigen Mahlzeiten nach der langen Zeit, in der ich nur Reis gegessen hatte, bereiteten mir Magenschmerzen.» Doch bedeutete dies für ihn auch der Beginn eines neuen Lebens – «wieder die Nähe zu einigen Freunden und die erneute Annäherung zur Familie». Fabian sagt: «Heute bin ich beinahe schuldenfrei, habe der Branche, die mich zerstörte, den Rücken gekehrt, und mache nun etwas komplett anderes.»

Fabian abschliessend: «Wäre der Mann auf der Brücke nicht gewesen, wären da nicht Rosa mit ‹Zuger helfen Zugern› und die vielen herzlichen Begegnungen mit den Menschen an den Food-Waste-Kühlschränken, könnte ich diese Geschichte wahrscheinlich nicht erzählen.»

Ein ÖV-Abo? Alles andere als selbstverständlich

Beim Lesen der Rückmeldungen wird einem je länger, je mehr bewusst, dass vermeintlich Selbstverständliches für viele so gar nicht selbstverständlich ist.

Flavia* schildert Folgendes: «Meine Erfahrungen mit ‹Zuger helfen Zugern› sind durchwegs positiv. In der Zeit, in der wir Sozialhilfe bezogen, unterstützten sie mich mit der Soforthilfe für den Kauf von Zugerpässen der ZVB.» Da Flavias Familie abseits wohnt, seien ihre vier Kinder auf den Buspass angewiesen, um ihre sozialen Kontakte zu pflegen und zu den Sporttrainings zu fahren. «Auch durfte ich schon in den Genuss von vielen Gratisartikeln kommen und knüpfte Kontakte zu Personen, die unsere getragenen Kinderkleider sehr schätzen. Ein Geben und Nehmen. Ich bin sehr dankbar für eure Unterstützung und die unkomplizierte Art und Weise der Gruppe.»

Ab und zu gibts ein unverhofftes Dankeschön

Dass auf ein Geben ab und zu ein unverhofftes Nehmen folgt, freut auch Sandra*. Sie schreibt: «Nach dem Aufruf einer Frau in der Gruppe habe ich ihr ein kleines Päckchen mit Pflegeprodukten zugeschickt. Sie hatte solche Freude, dass sie mir selbstgemachten Sirup schenkte und dazu eine Nachricht schrieb.» Und weiter: «Noch heute wird mir warm ums Herz, wenn ich daran denke, dass ich ihr mit solch Kleinigkeiten zu ein wenig mehr Selbstbewusstsein verhelfen konnte.»

Markus* bläst ins selbe Horn: «Vor Jahren haben wir einer Bauersfrau ein Flexa-Stockbett verschenkt. Bei der Abholung hatte sie zwei Kartons Most für uns dabei. Das hat mich unglaublich gefreut, und wir waren beide sehr berührt.» Auch habe er über die Facebook-Gruppe einst innert 24 Stunden eine ganze Zimmerausstattung für eine Person in Not organisieren können. «Schrank, Pult, Bett mit Bettwäsche, Stuhl, Lampe, Teppich – alles wurde gespendet, und sie konnte nahtlos einziehen. Das war für mich absolut überwältigend!», sagt Markus.

*Die Namen der Befragten sind der Redaktion bekannt.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Rosa Kolm
  • Schriftlicher Austausch mit diversen Gruppenmitgliedern
  • Facebook-Seite «Zuger helfen Zugern»
1 Kommentar
Apple Store IconGoogle Play Store Icon