Luzerns multikulturellster Innenhof

Public Viewing im Sentitreff: Die Integration führt 1:0

Das Public Viewing im Sentitreff ist bei Spielen der Schweizer Nati rappelvoll. (Bild: jdi)

Beim Public Viewing im Sentitreff steht nicht etwa der Fussball, sondern das Miteinander von Menschen verschiedenster Kulturen im Vordergrund. zentralplus hat den vielleicht multikulturellsten Innenhof der Stadt Luzern besucht.

Ein paar Kinder schwingen Fahnen und trällern Fangesänge, rund um sie herum wird Bier getrunken und das Geschehen auf dem Rasen kommentiert. Mittendrin steht Katharina Studer und beobachtet das Geschehen. Trotz Fussballverdrossenheit huscht ihr ein Lächeln übers Gesicht, als zentralplus sie auf die Leistungen der Schweizer Nati an der diesjährigen EM anspricht.

Seit ihrem Zuzug ins Luzerner Babel-Quartier vor 30 Jahren ist sie Vereinsmitglied des Sentitreffs. Im Videointerview erzählt sie, was sie beim Begleiten der dort ein- und ausgehenden Menschen besonders berührt hat.

Zu den Unterstützern des Vereins gehören auch die Vereinsmitglieder Domenico Ciraci und Rosamaria Banduri. Die beiden verfolgen die EM gerne im Sentitreff – obschon sie nicht mehr in Luzern, sondern in Zürich wohnen. Sie verbinden den Matchbesuch mit der Visite bei Verwandten.

Domenico Ciraci (links) und Rosamaria Banduri reisen extra aus Zürich an, um sich die EM-Spiele im Sentitreff anzusehen. (Bild: jdi)

Banduri sagt: «Wir fühlen uns wohl hier.» Viele verschiedene Kulturen kämen zusammen, es herrsche eine familiäre Atmosphäre. Ciraci stimmt zu. Klein und heimelig sei es im Sentitreff, findet er.

15’000 Tropfen auf den heissen Stein

Bis Ende Jahr werden fast 15’000 Personen den Sentitreff besucht haben, schätzt Raphael Meyer, Koordinator im Verein. Etwas mehr als im vergangenen Jahr – dank des Public Viewings.

Weil sich die Stadtluzerner Integrationsprojekte nicht nur an Migrantinnen richten, sondern die gesamte Wohnbevölkerung, also gut 80’000 Menschen, erreichen sollen, erlaubt Meyer die Frage, ob die Bemühungen im Sentitreff als Tropfen auf den heissen Stein seien. «Es zischt schon ein bisschen», meint er schmunzelnd.

«Viele der Menschen aus der Migrationsbevölkerung, die ein Interesse mitbringen, sich zu vernetzen und ihre Talente in die Gesellschaft einzubringen, stolpern früher oder später in den Sentitreff und nutzen das Potenzial, das er bietet», so Meyer.

Vernetzung ist im Sentitreff das A und O

Dazu gehört auch Melkneshi Gebreye. Beim letzten Spiel der Schweizer Nati war sie um das leibliche Wohl der Matchbesucherinnen besorgt. Mehr als sechs Stunden lang kochte sie das äthiopische Nationalgericht Injera, ein Fladenbrot mit verschiedenen Beilagen.

Gebreye kocht gerne. Für Fussball interessiere sie sich jedoch überhaupt nicht, erklärt sie lachend. Beim Public Viewing mitzuhelfen, mache ihr dennoch Spass. «Ich lerne im Sentitreff viele Menschen kennen und freue mich über den Austausch mit ihnen», sagt sie.

Wenn das Viertelfinale der Schweiz am Samstag über die Leinwand des Sentitreffs flimmern wird, werden Dora Cecchinis mexikanische Tacos und Nachos auf der Speisekarte stehen. Sie betreibt den «Sombrero Latino», einen Take-away an der Baselstrasse.

Das ist der Sentitreff

Vor 40 Jahren gründete eine Handvoll Leute aus dem Untergrundquartier in Luzern den Sentitreff an der Baselstrasse 21. Ihr Ziel war es, einen Ort der Begegnung in einer «seit jeher von Migration geprägten Ecke der Stadt» zu schaffen. Mittlerweile hat der Verein 600 Mitglieder, jährlich werden 6000 Stunden ehrenamtliches Engagement geleistet.

Der Sentitreff organisiert Infoveranstaltungen, Deutschkurse, Mittagstische – um nur drei Beispiele zu nennen. Über hundert kulturelle Anlässe werden pro Jahr organisiert. Das Ziel des Vereins: Menschen sollen sich begegnen, kennenlernen und näherkommen.

Multikulturellster Innenhof der Stadt

Früh da sein, lohnt sich – wie bei einigen anderen Luzerner Public Viewings (zentralplus berichtete). Insbesondere wenn die Schweiz spielt, reichen die vorhandenen Festbänke und die Sitzgelegenheiten an den Bistrotischen bei Weitem nicht aus. Darum werden Helfer und Gäste wohl auch am Samstag Stuhl um Stuhl aus dem ganzen Haus in den Innenhof schleppen.

Dabei ist das Public Viewing im Sentitreff vielleicht nicht das engste, aber sicherlich das multikulturellste in Luzern. Doch die Besucherinnen haben nicht nur verschiedenste kulturelle Hintergründe. Auch fühlen sich Kinder aus dem Quartier genauso willkommen wie ältere Damen und Herren, die den Fussballsport feiern oder der guten Stimmung wegen kommen.

Darum versprüht der Sentitreff so viel Italianità

Doppelt so alt wie der Sentitreff ist der Verein Colonia Libera Italiana. Ippazio Calabrese präsidiert ihn. Bescheiden bezeichnet er sich als «Troubleshooter». Umso stolzer präsentiert er einen langen Artikel der «Luzerner Zeitung», der dem 80-Jahr-Jubiläum des Vereins gewidmet ist.

Ippazio Calabreses Verein Colonia Libera Italiana wurde kürzlich 80 Jahre alt. Den Verein Sentitreff gibt es hingegen «erst» seit 40 Jahren. (Bild: jdi)

Die «Colonia Libera Italiana» ist Mitorganisatorin des Public Viewings und betreibt im Sentitreff ein eigenes Restaurant. Darum waren bislang nicht nur die Spiele der Schweizer Nati, sondern auch diejenigen der italienischen Nationalmannschaft stets sehr gut besucht.

Und darum landen auf den Tellern für die vom vielen Fussballschauen hungrigen Besuchern nebst Spezialitäten aus Äthiopien, Mexiko und vielen anderen Ländern immer auch Pizzas.

Sonderkredit für Sentitreff und Co.

Von der öffentlichen Hand erhielt die «Colonia Libera Italiana» für das Public Viewing im Sentitreff 2000 Franken – auch, weil dabei die Vernetzung im Babel-Quartier gefördert wird.

Sarah Hamerich, Leiterin der städtischen Integrationsförderung, schlüsselt auf, wie viel Geld die Stadt Luzern 2024 für einzelne Integrationsprojekte budgetiert hat – und wie viel für interkulturelle Treffpunkte wie den Sentitreff.

Dieses Jahr kann Hamerich auf zusätzliche, nicht budgetierte 213’000 Franken zurückgreifen. Der Grosse Stadtrat hat einen Sonderkredit für Quartier- und Integrationstreffs gesprochen.

Von diesem wird nicht nur der Sentitreff profitieren. Auch andere interkulturelle Treffpunkte haben Leistungsvereinbarungen mit der Stadt Luzern. Einer von ihnen heisst «Hello Welcome» und befindet sich zwischen Bundesplatz und Paulusplatz. Melkneshi Gebreye besucht dort Deutschkurse.

So finanziert sich der Sentitreff

Der Sentitreff bietet ebenfalls Deutschkurse an. Jeden Freitag lädt der Verein zudem zum «Café International», einer Art Stammtisch für alle, die gerne plaudern, aber auch Antworten auf Fragen zum alltäglichen Leben in der Schweiz suchen. Hinzu kommen ein Mittagstisch, Sportaktivitäten wie Yoga und Zumba oder Förderprogramme für Kinder. Veranstaltungen wie das Public Viewing während der EM, Konzerte, Filmabende oder Podiumsdiskussionen runden das Angebot im Sentitreff ab.

Rund 100’000 Franken erwirtschaftete der Sentitreff 2023 mit diesem umfangreichen und niederschwelligen Angebot. Rund 400’000 Franken steuerten die öffentliche Hand, die katholische und reformierte Kirche, Stiftungen und Private bei.

So funktioniert Integration in der Stadt Luzern

Sarah Hamerich erklärt, dass der Sentitreff gewisse Kriterien erfüllen müsse, um die Unterstützungsgelder der Stadt Luzern zu erhalten. Dazu gehört etwa die Förderung des städtischen Zusammenlebens oder die Sensibilisierung dafür, dass die kulturelle Vielfalt eine Bereicherung darstellt.

Die Kriterien basieren auf Grundsätzen der Integrationsförderung, die der Bund und der Kanton definieren:

  • Schaffung von Rahmenbedingungen für Chancengleichheit
  • Stärkung der Eigenverantwortung
  • Förderung und Nutzung von Potenzial, Fähigkeiten und Kompetenzen
  • Anerkennung der Vielfalt als wertvoller Bestandteil der Gesellschaft

Die Stadt Luzern hat vier weitere Grundsätze festgelegt, die allen Integrationsprojekten zugrunde liegen:

  • Respektvolles Zusammenleben zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen
  • Zusammenhalt innerhalb der Bevölkerung
  • Sensibilisierung für interkulturelle Themen
  • Willkommenheissen der Zugewanderten und Förderung der Mitwirkung in deren Lebensumfeld

Dass ein Public Viewing im Sentitreff Begegnungsräume ermöglicht und somit zur Integrationsförderung beitragen kann, liegt für Sarah Hamerich auf der Hand. «Fussball, Essen und Musik – das verbindet die Menschen, egal wo. Es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, wobei die Herkunft oder Deutschkenntnisse der Menschen in den Hintergrund rücken.»

Verwendete Quellen
  • Augenschein vor Ort
  • Telefonat mit Sarah Hamerich von der Stadt Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Raphael Meyer vom Sentitreff
  • Persönliches Treffen mit Ippazio Calabrese vom Verein Colonia Libera Italiana
  • Persönliches Treffen mit Melkneshi Gebreye
  • Persönliches Treffen mit Katharina Studer
  • Persönliches Treffen mit Domenico Ciraci ond Rosamaria Banduri
  • Jahresbericht 2023 des Vereins Sentitreff
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