Regiert Bürokratie Luzerns Nachtleben?

Parkplatzbars: Stadt Luzern stellt auf streng und stur um

Feierabendkaltgetränk im lauschigen Sommergarten der Raviolibar an der Frankenstrasse – das war einmal. (Bild: zvg)

Die «Parkplatzbars» erfreuten sich während der Pandemie hoher Beliebtheit. Mittlerweile geht die Stadt Luzern mit urbanem Freiraum wieder deutlich bürokratischer um. Ohne ordentliches Baugesuch gibts keine Bewilligung – und selbst mit sind die Hürden hoch, wie zwei Gastronomen schildern.

Ende Mai berichtete zentralplus über den Sommergarten der Raviolibar. Dieser sei – so schilderte es Wirt Roger Duvoisin – der Stadtluzerner Bürokratie zum Opfer gefallen. Die von der Verwaltung herangezogenen Reglemente und deren «penible und wortgetreue» Durchsetzung bezeichnete Duvoisin als «lächerlich».

Auf den zwei Parkplätzen an der Frankenstrasse, die er während der Pandemie drei Jahre lang verwenden durfte, standen vergangenen und diesen Sommer wieder Autos. Das Baugesuch, das für die Fortsetzung des Projekts nötig wurde, lehnte die Stadt Luzern nach langem Hin und Her ab (zentralplus berichtete). Auf den Kosten von fast 4000 Franken für das Gesuch bleibt Duvoisin sitzen.

Stadt Luzern hortet urbane Freiräume wieder wie früher

So wie Roger Duvoisin von der Raviolibar erging es offenbar auch anderen Gastronominnen. Barbetreiber S. Späth* erzählt von ähnlichen Problemen mit der Stadtverwaltung. Weil er Repressalien befürchtet, möchte er anonym bleiben.

Während den Coronasommern 2020 und 2021 habe auch er eine Boulevardbewilligung im «stark vereinfachten Verfahren» erhalten und seine Gäste draussen vor der Bar bewirten dürfen. Doch die kulante Handhabe der Stadt Luzern fand mit dem Abflachen der Pandemie ein jähes Ende.

Darum ist der Sommergarten der Raviolibar tot

Doch auch das während der Coronapandemie «stark vereinfachte Verfahren» hatte seine Tücken. Einen ersten Konzeptentwurf für den Sommergarten der Raviolibar lehnte die Stadt Luzern noch ab – weil die Abschrankung zur Frankenstrasse hin zehn Zentimeter zu hoch war. Das nachgebesserte Konzept winkte sie dann durch.

Dass das ordentliche Baugesuch für die dauerhafte Boulevardbewilligung nun abgelehnt wurde, hat aber einen anderen Grund: Die Parkplätze an der Frankenstrasse befinden sich nicht direkt vor der Raviolibar – sondern «um die Ecke».

Im Corona-Sommer 2020 liess sich Stadtpräsident Beat Züsli noch im Sommergarten der Raviolibar fotografieren – und warb für das improvisierte Projekt an der Frankenstrasse. (Bild: zvg)

Auf Anfrage von zentralplus erklärt die Stadt Luzern, während der Pandemie die Gesuche nicht nur «schnell» geprüft, sondern auch «grosszügig» bewilligt zu haben. Normalerweise stelle sie Bewilligungen nur für Boulevardflächen direkt vor den Liegenschaften und an die Grundstücke der Gastrobetriebe angrenzend aus.

Behördliche Flexibilität weicht der Bürokratie

Davon, dass die Stadt Luzern während der Pandemie beide Augen zudrückte, profitierten nebst der Raviolibar auch viele andere Gastrobetriebe, die sich mit Abstandsregeln und Kapazitätsbeschränkungen konfrontiert sahen. Einigermassen unkompliziert konnten sie im Freien weiter wirten (zentralplus berichtete).

Die Stadt erteilte die entsprechenden Boulevardbewilligungen im «stark vereinfachten Verfahren» – was bei zentralplus-Lesern gut ankam. 80 Prozent sprachen sich für die Weiterführung der «Parkplatzbars» aus (zentralplus berichtete).

Und 1500 Luzernerinnen forderten in einer Onlinepetition eine dauerhafte Boulevardbewilligung für die Raviolibar (zentralplus berichtete).

Aus «stark vereinfacht» wird hochkomplex

Doch heute beruft sich die Stadt Luzern wieder auf ein Bewilligungsverfahren, das – anders als das «stark vereinfachte» – hochkomplex ist. «Die verbindliche Festlegung der konkreten Flächen erfolgt in individueller Begutachtung durch die zuständigen Fachstellen auf Basis der relevanten gesetzlichen Grundlagen», erklärt die Stadt.

Zu diesen gesetzlichen Grundlagen zählen – und diese Aufzählung ist nicht abschliessend – das Reglement und die Verordnung über die Nutzung des öffentlichen Grundes der Stadt Luzern, das Bau- und Zonenreglement der Stadt Luzern, das Planungs- und Baugesetz Luzern und der Leitfaden Boulevard, der die Bedingungen zur Bewirtschaftung von Restaurantaussenflächen definiert.

An den hohen Anforderungen eines ordentlichen Baugesuchs scheiterten Duvoisin und Späth. Heuer bewirten die beiden keine Boulevardflächen mehr. Obschon sie beteuern, damals mit den Nachbarinnen kaum Probleme gehabt zu haben – und die Stadtluzerner Bevölkerung offenbar angetan war von der «lockeren» Praxis der Stadt Luzern im Umgang mit urbanen Freiräumen.

Unfreiwillige Abkehr von «lockerer» Praxis?

Die Lockerung ging während der Pandemie ohne Gesetzesänderung vonstatten. Jedoch war die temporäre Einführung des «stark vereinfachten Bewilligungsverfahrens» gemäss der Stadt Luzern nur wegen entsprechender politischer Vorstösse im Grossen Stadtrat möglich. Und wegen der erschwerten Umstände für die Gastronomie.

Auf diese habe der Stadtrat damals reagiert und seinen Handlungsspielraum genutzt, um einen «pragmatisch ausgerichteten Beitrag» zur «Bewältigung der ausserordentlichen Pandemiebedingungen» zu leisten.

Im Gegensatz zur befristeten Nutzung des urbanen Freiraums auf den Trottoirs und Parkplätzen Luzerns handle es sich bei dauerhaften Boulevardbewilligungen um Nutzungsänderungen «mit erheblichen zusätzlichen Wirkungen auf die Umgebung». Das Baubewilligungsverfahren sichere dabei die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die rechtlich geschützten Interessen der Nachbarschaft bei solchen Nutzungsänderungen.

Rechtsprofessor stärkt Verwaltung den Rücken

«Die Antwort der Stadt Luzern ist gut nachvollziehbar», findet Sebastian Heselhaus, Professor für öffentliches Recht an der Universität Luzern. Grundrechte und öffentliche Interessen seien für jeden Einzelfall abzuwägen. Während sich die Gastronomie auf das Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit berufen könne, stünden den Nachbarn deren Grundrechte auf Privatleben und Eigentum zur Seite, führt er aus.

Sebastian Heselhaus ist Professor für öffentliches Recht an der Universität Luzern. (Bild: zvg)

«Während der Pandemie war die Gastronomie wirtschaftlich hart betroffen, sodass dies in der Abwägung zu ihren Gunsten berücksichtigt werden konnte.» Dies habe sich nach der Pandemie geändert, erklärt Heselhaus den Unterschied zwischen damals und heute.

Letztlich müsse mit Rücksicht auf wirtschaftliche Konkurrenten auch der Gleichbehandlungsgrundsatz berücksichtigt werden, schliesst er.

Kein politischer Widerstand gegen Rückkehr zum Status quo

Politik und Verwaltung scheint die jetzige Variante nicht zu stören. Die Fortsetzung der kulanten Handhabe schaffte es nach der Pandemie nicht mehr aufs politische Parkett.

Und schon während der Pandemie betonte Mitte-Stadträtin Franziska Bitzi, dass es sich beim «stark vereinfachten Bewilligungsverfahren» um eine Ausnahmeregelung handle. «Wenn man die ganze Stadt zur Partymeile macht, ist die Erholung für die Daheimgebliebenen nicht dieselbe», begründete Bitzi die Reglementierung des urbanen Freiraums (zentralplus berichtete).

Hinzu käme, dass dauerhafte Lockerungen mit übergeordnetem Recht korrespondieren müssten, wie die Stadt Luzern betont. Sie schreibt, dass die Verwaltung um die ausführliche Prüfung der Boulevardbewilligungen über ordentliche Baubewilligungsverfahren grundsätzlich nicht herumkomme. Bundesrecht und kantonales Recht sähen dieses Vorgehen vor.

Stattdessen hat die Stadt Luzern mit den «mediterranen Nächten» die Regeln für Gastrobetriebe etwas gelockert. Sie führte das Projekt im Januar nach einem zweijährigen Pilotversuch auf Dauer ein. Sodass Bars und Restaurants ihre Aussenzonen im Sommer auch künftig länger offen halten dürfen (zentralplus berichtete).

Nachtruhe als oberstes Gebot

Doch von den «mediterranen Nächten» profitiert Roger Duvoisin seit dem Ende seines Sommergartens nicht mehr. Er ist überzeugt, dass die endgültige Rückkehr zum Status quo auch mit der Dienstabteilung Stadtraum und Veranstaltungen (STAV) zu tun habe. Denn diese ist für die Ausstellung der Boulevardbewilligungen zuständig. «Die STAV wollte der lockeren Praxis aus den Coronasommern 2020 und 2021 ein Ende setzen, vor allem aber in der Stadt Luzern für ‹Ruhe und Ordnung› sorgen», sagt der Wirt.

Tatsächlich scheint «Ruhe und Ordnung» in der Stadt Luzern einen hohen Stellenwert zu geniessen. In einem Schreiben an die Raviolibar betonte Stadtpräsident Beat Züsli, dass bei einem Baubewilligungsverfahren insbesondere auch die «rechtlich geschützten Interessen der Nachbarschaft» – zu denen auch die Nachtruhe gehört – geprüft würden.

Falls du schon mal eine Homeparty veranstaltet hast, dürfte dir bekannt sein, dass ein Anruf einer Nachbarin genügt, um die Polizei vor der Tür zu haben. Doch ob die Stadt Luzern im urbanen Freiraum tatsächlich auf Drängen von STAV konsequent auf «Ruhe und Ordnung» setzt, bleibt unklar. Auf Anfrage von zentralplus verweist die Stadt kurz und knapp auf die «einschlägigen Bestimmungen» im Gesetz.

zentralplus befasst sich im zweiten Teil, der zu einem späteren Zeitpunkt erscheinen wird, mit behördlichen Vorgaben, und geht der Frage nach, ob die Stadt Luzern heuer restriktiver agiert als vor der Pandemie.

*Name der Redaktion bekannt

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Roger Duvoisin, Wirt der Raviolibar
  • Telefonat mit S. Späth, Wirt einer Stadtluzerner Bar
  • Schriftlicher Austausch mit der Stadt Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Sebastian Heselhaus, Professor für öffentliches Recht an der Universität Luzern
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