Sie ist Gastropräsidentin und auch «Löwen»-Bändigerin
Mit ihrem Mann leitet Gastro-Luzern-Co-Präsidentin Sandra Zettel den Gasthof «Löwen» in Grossdietwil. Ein Gespräch über das Wechselspiel zwischen Tradition und Zukunft – und Wurstsalat.
Er fällt schon von Weitem auf, der «Löwen» in Grossdietwil bei Willisau. Die gelbe Fassade, die zahlreichen Fenster und das wuchtige Kreuzgiebeldach sind ein wahrer Blickfang in der ländlichen Umgebung. Nur knapp 100 Meter von der Berner Grenze entfernt, prägt das Haus seit 1415 das Ortsbild. Seit das Lokal im frühen 17. Jahrhundert das Tavernenrecht erhielt, hat sich der «Löwen» als Gasthof etabliert. Aber wegen seiner langen Geschichte ist zentralplus an diesem sonnigen Tag nicht nach Grossdietwil gefahren.
Der Mittagsservice ist vorbei und abgesehen von einer Klassenzusammenkunft im Saal herrscht Ruhe im Haus. Eine gute Gelegenheit, um sich mit Sandra Zettel zu unterhalten. Sie ist Co-Präsidentin des Verbands Gastro Luzern. Gleichzeitig navigiert sie zusammen mit ihrem Mann Philipp den Betrieb in einer sich wandelndenBranche.
Beruf wurde ihr in die Wiege gelegt – buchstäblich
Sandra Zettels erster Kontakt zur Gastronomie reicht so weit zurück, dass sie sich selbst nicht daran erinnern kann – sie kennt die Geschichten nur aus Erzählungen. Die Eltern arbeiteten bereits in einem Restaurant. «Die Mutter im Service, der Vater als Koch. Wenn die Schichten länger dauerten, schlief ich als Kleinkind in einer Wiege neben der Küche.»
Ein paar Jahre später habe sie dann aktiv ausgeholfen und beispielsweise Getränke ausgeschenkt. Der Eindruck des Restaurantbetriebs blieb haften, ihr Weg schienvorgegeben zu sein. Nach einer Schnupperlehre zieht es die junge Luzernerin vom Land in stadtnähere Gefilde. Die Lehre als Restaurationsfachfrau absolviert sie im Restaurant Balm in Meggen. Hier lernt sie nicht nur die Grundlagen ihres Handwerks, sondern auch, Verantwortung zu übernehmen. «Ich habe vor allem gelernt, zu arbeiten und für meine Fehler geradezustehen», erinnert sie sich.
Bis es sie nach Grossdietwil in den «Löwen» verschlägt, streichen noch ein paar Jahre ins Land. Nach einem Sprachaufenthalt im englischen Bournmouth und beruflichen Zwischenstationen in Thun und Oberkirch lernt sie schliesslich Philipp Zettel kennen. Und lieben. Philipp Zettel entstammt ebenfalls einer Gastronomenfamilie. Den «Löwen» führen Philipps Eltern in der siebten Generation. Sein Vater war seinerzeit Kantonalpräsident vom Verband Gastro Luzern. Eine Position, die Jahre später Sandra Zettelin ähnlicher Form übernehmen wird.
Die nächste Generation übernimmt den «Löwen»
Zettel senior bleibt wegen seiner Verpflichtungen im Verband weniger Zeit, sich um das historische Gasthaus zu kümmern, also übernimmt Sohn Philipp das Zepter – aber nicht alleine. Als Paar führen Sandra und Philipp Zettel die Landbeiz ab 1998 – bis heute. Philipp Zettel kümmert sich um die Küche, seine Frau steht an der Front im Service.
Seit Sandra Zettels Einstieg hat sich die Gastronomie grundlegend verändert. Einschneidend sei etwa 1995 die Einführung der Mehrwertsteuer gewesen. «Vorher blieb den Gastronomen mehr Geld für Investitionen», erklärt Zettel. «Die Familie Zettel hatte den Löwen glücklicherweise noch vor der Einführung saniert.» – Ähnlich prägend waren die Einführung der 0,5-Promille-Grenze und das Rauchverbot in Gaststätten. «Diese Veränderungen haben einen Teil der Geselligkeit genommen», sagt die Wirtin.
In den letzten Jahren bemerke das Gastropaar jedoch vor allem eine Veränderung im Verhalten der Gäste. «Die Menschen sind bewusster geworden, wenn es um ihre Ernährung geht. Unverträglichkeiten und regionale Zutaten spielen eine immer grössere Rolle», sagt Sandra Zettel. Für den «Löwen» ist dies jedoch kein Problem, sondern Teil der Philosophie. «Wir beziehen das Fleisch vom nahegelegenen Metzger, Eier und Gemüse vom Hof. Eine Landbeiz muss authentisch sein. Darauf legen wir grossen Wert.»
Der Stadt-Land-Graben
Kulinarisch rücken Stadt- und Landgastronomie Stück für Stück näher zusammen. Zwar bleibt der «Löwen», wie viele andere Landbeizen auch, der gutbürgerlichen Küche treu. Internationale oder exotischere Konzepte seien auf dem Land aber längst kein Novum mehr.
Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt es dennoch. «In der Stadt habe ich als Gast eher das Gefühl, anonym zu bleiben», sagt Zettel. «Da erwarte ich nicht, im Restaurant auf Freunde oder Bekannte zu treffen.» Auf dem Land herrsche hingegen eher noch eine gewisse Vertrautheit und Familiarität. Und diesen Familiengedanken wollen Zettels auch im «Löwen» aufrechterhalten. Regelmässig halten siemit dem Team gemeinsame Apéros ab oder esse zusammen. «Dieses Für- und Miteinander braucht es, um einen solchen Betrieb zu führen», ist die Gastgeberin überzeugt.
Einmal Gastgeberin, immer Gastgeberin
Denkt sie an ihren eigenen Werdegang zurück, gibt es zwar keine Reue über getroffene Entscheidungen, einige Dinge würde sie dennoch anders machen. «Ich würde nicht mehr ganz so früh in den Ernst des Lebenstreten und stattdessen das Leben noch etwas mehr geniessen.» Eine Abkehr von der Gastronomie kam und kommt für sie aber nicht infrage. Dafür liebe sie den Gästekontakt und die Abwechslung viel zu sehr. «Kein Tag ist wie der andere.» Das sei auch einer der Hauptgründe, warum sie diese Branche so schätzt. Mit einer abgeschlossenen Berufslehre in der Gastronomie stünden einem alle Restaurants der Welt offen.
Dass sich trotzdem viele junge Menschen heute nach der Lehre für einen Branchenwechsel entscheiden, versteht die Gastronomin. «Ich finde das auch gut. Nicht alle wissen schon früh, was sie beruflich wirklich wollen», sagt Zettel. Dennoch bleibt es eine Herausforderung, qualifiziertes Personal zu finden und langfristig zu binden. Bei ihr selbst sei es damals keine Option gewesen, einen Beruf ausserhalb der Gastronomie zu erlernen. Aber auch kein Bedürfnis ihrerseits. «Ehrlich gesagt habe ich mir auch nie überlegt, etwas anderes zu machen.»
In die weite Welt hat es Sandra Zettel jedoch nicht hinausgezogen. Zumindest nicht beruflich. Sie bleibt ein «Landkind», wie sie sagt. «Die Natur ist uns wichtig.» Hier verbringe das Paar einen grossen Teil seiner knapp bemessenen Freizeit. «Wir wären keine guten Städter», sagt sie lachend. «Wir fahren gerne in die Stadt. Aber ebenso gerne kommen wir nach Hause aufs Land.»
Auch kulinarisch bleibt Zettel bodenständig. «Mit einem feinen Wurstsalat kann man mich schnell überzeugen», sagt sie und lacht. Ein Feind bleibt allerdings: Zimt. «Den mag ich seit meiner Kindheit nicht», sagt sie und fügt lachend hinzu: «Aber das hilft mir, bei den Desserts nicht so oft zuzugreifen. Besonders jetzt, wo der Herbst und Winter vor der Türe stehen.»
Arbeitet seit 2020 bei zentralplus und betreut den Bereich Gastronomie.
In Luzern und Zug aufgewachsen und schon seit bald 20 Jahren als Texter und Autor unterwegs. Steht privat gerne am Herd und war während mehreren Jahren als Assistenz einer Luzerner Störköchin tätig.