Gesichter der Gastronomie

Luzerner Ehepaar segelt seit 30 Jahren auf dem «Schiff»

Sind seit Jahrzehnten privat und beruflich ein Team: Peter und Sylvia Wiesner. (Bild: Samira Haas Fotografie und Gestaltung)

Das Restaurant Schiff schaut auf eine bewegte Historie zurück. Das kann auch das Pächterpaar Sylvia und Peter Wiesner von sich behaupten. Ein Gespräch über noble WC-Schüsseln, indische Prinzessinnen und die italienische Mafia.

Wer in der Stadt Luzern im Restaurant Schiff einkehrt, bewegt sich auf historischem Boden. Das Restaurant und einstige Hotel direkt an der Reuss steht auf Arkaden, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen. Als Gasthaus hat es schon fast 200 Jahre auf dem Gebälk. Wie historische Dokumente belegen, wird das Gebäude ab Mitte der 1830er-Jahre erstmals als Gasthaus zum Schiff aufgelistet.

Ganz so lange ist das aktuelle Gastgeberpaar Sylvia und Peter Wiesner natürlich noch nicht am Steuer. Seit 1995 gestalten sie die Geschichte des historischen Betriebs – mit einem Unterbruch. Hier sind von Bundesräten bis zu einer indischen Prinzessin und englischen Starköchen schon allerhand eingekehrt. Zudem sind die Wiesners Besitzer des Vincafés La Barca.

Aber von vorn. Um zu erfahren, wie das Ehepaar Wiesner zum «Schiff» und seiner illustren Gästeschar gekommen ist, trifft zentralplus Gastgeberin Sylvia Wiesner zum Gespräch. In der mit alten Holzpaneelen getäfelten Wirtsstube, mit Ausblick auf die Reuss, dreht die 65-Jährige die Uhr ein paar Jahrzehnte zurück.

Auf die Frage, wann sie zum ersten Mal mit der Gastronomie in Berührung gekommen ist, folgt erst mal Stille. «Das ist ewig her», antwortet Sylvia Wiesner dann und lacht. Grundsätzlich scheint kaum etwas die gute Laune der Luzernerin zu trüben. Das fällt auch anderen auf. «Leute sagen mir, ich sei krankhaft positiv», erzählt sie. «Die Lehre als Hotelfachassistentin» nennt sie schliesslich als ihren Einstieg ins Gastgewerbe.

Die Wanderjahre eines Gastropaars

Um nach der Schule die Praxis zu erlernen, wurde sie damals einem Restaurant zugeteilt, mitreden konnte sie selber nicht. Ihr neuer Wirkungsort: das «Rössli» in Escholzmatt. Hier arbeitete sie unter der Familie Wiesner – zu der auch der spätere Michelin-Koch Stefan Wiesner gehört (zentralplus berichtete) – und lernte ihren künftigen Ehemann Peter kennen. Später zog das Paar nach England zur renommierten «Trusthouse Forte»-Kette in Eastbourne, wo Peter Wiesner als Koch und Sylvia im Service arbeitete.

Aber die damals besonders bei britischen Senioren beliebte Küstenregion war nur eine Zwischenstation, denn in den frühen 80er-Jahren tauschten die Wiesners das wechselhafte englische Wetter gegen die Sonne Italiens. «Wir arbeiteten in einem Klub in Sizilien, bei dem wohl auch die Mafia ihre Finger im Spiel hatte», erinnert sich Sylvia Wiesner zurück. Allfällige Probleme seien hier auf ganz eigene Art gelöst worden. «Einmal wurden alle Surfbretter gestohlen», erzählt sie. «Ich musste dann eine Nummer anrufen und das Problem schildern.» Tags darauf seien die Bretter genauso schnell wieder dagewesen, wie sie verschwunden gewesen seien. Welche Hebel hierfür in Bewegung gesetzt wurden, will Wiesner lieber gar nicht so genau wissen.

Das «Schiff» ruft

In Sizilien erreichte das Ehepaar schliesslich der Anruf, der ihre künftige Karriere massgeblich bestimmen wird. Rudolf Helmlin, der damalige Besitzer des Restaurants Schiff in Luzern, suchte nach einem Küchenchef und wollte Peter Wiesner an Bord haben. Das Ehepaar folgte dem Ruf in die Schweiz, und Peter Wiesner heuerte 1982 auf dem «Schiff» unter der Egg an. Sylvia Wiesner wirkte derweil als rechte Hand von Claudia Moser im «Rebstock». Bis sie an der Seite ihres Mannes die Pacht im «Schiff» übernahm, zogen noch 13 Jahre ins Land.

Das historische Fundament des Hauses ist bis heute sichtbar. (Bild: Samira Haas Fotografie und Gestaltung)

1995 begann im «Schiff» die Ära Wiesner. Und als ob ein Lokal samt Hotelbetrieb nicht schon genug Arbeit war, übernahm das Paar die insolvente Rossmetzgerei direkt neben dem Restaurant und baute es zur ersten Antipasteria der Stadt Luzern aus. «Wir führten das ‹La Barca› und das ‹Schiff› unabhängig voneinander als zwei eigenständige Betriebe», so Wiesner. «Für mehrere Jahre arbeiteten wir sieben Tage die Woche.» Das sei für das Paar «kein Thema» gewesen. Zwar habe es keine andere Wahl gehabt, aber dank eines klaren Ziels vor Augen habe es die Arbeit gern gemacht. «Die Gastronomie ist eben kein Nine-to-Five-Job. Wer das denkt, liegt falsch.» Nebst Küche, Service und Administration sei man vor allem auch Unternehmer – und Teilzeitpsychologin für Team und Gäste.

Auf den Streit folgt die Kündigung

2012 steuerte die «Schiff»-Crew in unruhige Gewässer. Nach dem Tod des Hausbesitzers Helmlin hätte eine Erbengemeinschaft die Geschicke übernommen, und mit der habe man sich nicht gut verstanden, erzählt die Wirtin. Es kam zum Bruch, und die Wiesners reichten die Kündigung ein. Fortan fokussierten sie gänzlich auf die Antipasteria La Barca.

«Ich finde, Luzern ist heute ein Paradebeispiel für innovative Gastronomie und abwechslungsreiche Restaurants.»

Sylvia Wiesner

Während sich im benachbarten «Schiff» eine ganze Reihe von Gastronomen die Klinke in die Hand gaben, bauten die Wiesners ihre «La Barca» erst um und dann aus. Das Lokal erfreute sich steigender Beliebtheit. Das historische Ambiente lockte auch zahlreiche Touristen an. Ein besonders beliebtes Fotosujet: die antike WC-Schüssel aus Hamburger Manufaktur.

Für das Paar war es «schmerzhaft», ansehen zu müssen, wie das «Schiff» unter den Wechseln ins Wanken geriet. Als die Liegenschaft schliesslich an die Zürcher Familie Neufeld verkauft wurde, boten die Wiesners ihre Hilfe bei der dringend nötigen Renovation an. «Es gab keinerlei Pläne für das Haus. Aber wir kannten es in- und auswendig, wussten, wo welche Leitungen liegen, wie es gebaut war.» Es kam, wies kommen musste, und das Paar kehrte in seine ehemalige Wirkungsstätte zurück. «Wir haben uns nicht darum gerissen, das Restaurant wieder zu übernehmen», sagt Wiesner. «Unser Herz hat sich dann aber doch wieder dafür erwärmt.»

Das Ehepaar Wiesner blickt auf turbulente Jahre zurück. (Bild: Samira Haas Fotografie und Gestaltung)

Eine Branche im Wandel

Ein Selbstläufer sei der Betrieb nach ihrer Rückkehr aber keineswegs gewesen. «Es hat wieder viel Aufbauarbeit gebraucht», erinnert sich Sylvia Wiesner. Das Paar setzte vermehrt auf kulinarische Spezialwochen und holte internationale Gastköche nach Luzern. Heute sind sowohl das Restaurant Schiff als auch das Vincafé La Barca aus der Luzerner Gastronomie nicht mehr wegzudenken. Und obwohl einige Lokale an der Reuss den Ruf haben, Touristengruppen Einheimischen zu bevorzugen, fährt man im «Schiff» einen anderen Kurs. «Für uns gehen die Luzerner Gäste vor», sagt Wiesner bestimmt. «Switzerland first», witzelt sie weiter.

Blickt sie zurück, sieht Sylvia Wiesner eine Branche in stetigem Wandel. Zum Besseren, wie sie sagt. «Ich finde, Luzern ist heute ein Paradebeispiel für innovative Gastronomie und abwechslungsreiche Restaurants.» Einfacher sei es aber nicht geworden. «Die Ansprüche der Gäste sind höher als früher.» Heute müsse alles viel schneller gehen – die Wartezeiten bis zum Essen, der Service, das Reservationssystem. «Diese stetige Anpassung ist eine Herausforderung – nicht nur für die Gastronomie.»

Nachfolge ist bereits ein Thema

Wo sie sich in einigen Jahren sehen werden? Wiesner lacht. «In der Pensionierung.» Tatsächlich beschäftigen sie sich schon jetzt mit der Frage einer Nachfolge. «Wir arbeiten daran, uns langsam zurückzuziehen.» Obschon die eigene Tochter seit jeher im Betrieb aushilft, wird es wohl auf eine Lösung ausserhalb der Wiesner-Familie hinauslaufen. Es ist genug Vertrauen und Talent im eigenen Team vorhanden, um diesem Stück für Stück die Verantwortung zu übergeben.

Einen harten Schnitt will das Pächterpaar nämlich nicht ziehen. «Von 100 auf 0 zu reduzieren, wäre meiner Meinung nach ungesund», findet Sylvia Wiesner. Auch, weil der Beruf einfach zu schön sei, um ihn komplett aufzugeben. Darum würden sie – zumindest in einer ersten Phase – weiterhin als Mentoren agieren wollen. Um auch weiterhin am Geschehen zu bleiben.

Denn: «Die Gastronomie ist der Puls des Lebens.»

Verwendete Quellen
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