Ist der Dankeschön-Batzen Schwarzgeld?

Am Scheideweg: Die Krux mit dem digitalen Trinkgeld

Guter Service wird in der Schweiz immer noch mit Trinkgeld belohnt, obwohl das im Preis inbegriffen wäre. (Bild: Bimo Luki / Unsplash)

Kartenzahlungen nehmen stetig zu. Das kommt nicht überall gut an. Und es stellt gerade die Gastronomie vor eine Herausforderung – und eine wegweisende Entscheidung.

«Es stimmt eso», hört man immer wieder in verschiedenen Restaurants. Trinkgeld ist in der Schweiz gang und gäbe. Belohnt wird damit guter Service. Oder ist Zeichen der eigenen Bequemlichkeit, weil ein mit Münzen vollgestopfter Geldsäckel nicht nur die Hosentaschen ausbeult, sondern auch einfach schwer ist.

Während in anderen Ländern, wie etwa den USA, das Trinkgeld einen elementaren Bestandteil des Lohns ausmacht, ist es in der Schweiz eine freiwillige Geste. Denn seit 1974 ist der Service in der Schweizer Gastronomie im Preis inbegriffen (siehe Box unten). Trotzdem gehört es auch hierzulande vielerorts zum guten Ton, ein paar Münzen oder eine Note auf dem Tisch oder im Rechnungsmäppchen zurückzulassen.

Gemäss einer Umfrage der Bank Cler von 2022 geben 98 Prozent der Schweizer Bevölkerung zumindest in der Gastronomie hin und wieder ein Trinkgeld. 57 Prozent zahlen das Trinkgeld dabei lieber bar als digital. Dies, weil viele glauben, dass nur so das Geld bei der gewünschten Serviceperson ankommt.

Muss Trinkgeld versteuert werden?

Tatsächlich ist Trinkgeld üblich, aber nicht unumstritten. Denn es ist Geld, das auf keiner Abrechnung auftaucht und entsprechend als Schwarzgeld gilt. Gesetzlich ist der Fall klar. Trinkgeld gilt gemäss Steuergesetz als steuerbares Einkommen – sofern es einen «wesentlichen Teil des Lohns» darstellt. Das ist gemäss einem Artikel der «NZZ am Sonntag» der Fall, wenn der Betrag mehr als zehn Prozent des Lohns ausmacht. Wird Trinkgeld bei der Steuererklärung nicht angegeben, gilt das streng genommen als Steuerhinterziehung.

Nun ist es so, dass mit der Zunahme der Kartenzahlungen diese Trinkgelder – wenn sie denn digital gegeben werden – in den Abrechnungen der Betriebe auftauchen. Das stellt die Gastronomen vor eine Herausforderung und bedeutet für sie mehr Aufwand. Denn plötzlich wird aus dem nett gemeinten «Batzen» eines Gastes an eine Serviceangestellte ein realer Posten in der betrieblichen Buchhaltung.

Trinkgeld ist kein Muss und trotzdem vielerorts Standard.
Trinkgeld ist kein Muss und trotzdem vielerorts Standard. (Bild: cbu)

Eine Lösung hat die Familie Wiesner Gastronomie, eines der grössten Schweizer Gastrounternehmen, das rund 1000 Angestellte beschäftigt. Zur Gruppe gehören unter anderem die Restaurantketten Nooch und Miss Miu, die auch im Kanton Luzern (Nooch) und Zug (Miss Miu) ihre Ableger haben.

Bis vergangenes Jahr teilten Mitarbeiterinnen das erhaltene Trinkgeld untereinander auf und nahmen es mit. Dann schuf das Unternehmen die Barbezahlung ab und setzte auf digitale Zahlmittel (zentralplus berichtete). Seither erhalten Mitarbeiter ihr Trinkgeld mit der Lohnüberweisung – sofern es mehr als zehn Prozent des Lohns ausmacht. Das sei bei fast allen Angestellten mit Kundenkontakt der Fall, sagt Manuel Wiesner gegenüber der «NZZ am Sonntag».

Branche ist gespalten

Bei den Angestellten sorgte das zunächst für Unverständnis. Die Lösung hat gemäss Wiesner aber Vorteile. Der Gesamtlohn steigt und damit auch die Lohnbeiträge an die verschiedenen Kassen. Letztlich werden Mitarbeiterinnen im Alter eine höhere Rente erhalten. Darum meint Wiesner: «In der Branche muss ein Umdenken stattfinden.»

Es gibt auch kritische Stimmen für diese Lösung. Beim Verband Gastrosuisse ist man sich sicher: «Bei einer Integration der Trinkgelder in den Lohn gibt es nur Verlierer», wie Präsident Casimir Platzer gegenüber der Zeitung sagte. Für die Betriebe gebe es mehr Aufwand und Mehrkosten, und die Angestellten würden wegen der Abzüge weniger verdienen.

Ein Fall von unternehmerischer Freiheit

«Inwiefern die Auszahlung der Trinkgelder als Lohnbestandteil förderlich ist, hängt von der Situation ab und kann nicht pauschalisiert werden», heisst es auf Anfrage beim Verband Gastro Luzern. Grundsätzlich gehöre das Thema Trinkgeld zur unternehmerischen Freiheit und sollte auch unbedingt da bleiben. Dass sich der Trend in Richtung digitalem Trinkgeld bewege, kann der Verband allerdings ein Stück weit bestätigen.

Komplett bargeldlos funktioniert der Gastronomiebetrieb «Freiruum» in der Stadt Zug. Hier ist eine Vielzahl unterschiedlicher Verpflegungsstände untergebracht. Den Schritt, komplett auf digitale Zahlungsmittel zu setzen, hätten die Betreiber nie bereut, wie sie im vergangenen Jahr gegenüber zentralplus sagten (zentralplus berichtete).

Allerdings sehe man auch hier eine rückläufige Tendenz, Trinkgeld zu bezahlen, schreibt «Freiruum»-Sprecher Sandro Troxler auf Anfrage. Das hat aber seine Gründe. «Da im ‹Freiruum› sowieso die Selbstbedienung als Hauptserviceart herrscht, machen wir im Vergleich zum klassischen Restaurant mit Bedienung eher wenig Trinkgeld.»

Wie die einzelnen Betriebe die Trinkgeldfrage lösen würden, liege in deren Ermessen. Eine Vorschrift seitens «Freiruum» gebe es nicht, so Troxler weiter. Beim Stand Woody Pizza, der sich auf Holzofenpizzas spezialisiert habe, würden das die Mitarbeiter untereinander regeln, wie Inhaber Christoph Gut erklärt. Es werde zwar Trinkgeld gegeben, wie oft, wisse er jedoch nicht. «Aber sicher nicht so viel wie in einem normalen Restaurant», so Gut.

Wie der Dankeschön-Batzen künftig gehandhabt wird, bleibt vorerst also offen. Denkbar ist, dass die Krux mit dem digitalen Trinkgeld in absehbarer Zukunft durch eine offizielle Lösung geklärt wird, wie dies vor 50 Jahren zuletzt der Fall war.

Kartenzahlung stösst auf Widerstand

Ein Verzicht auf Barzahlung stösst nicht überall auf Gegenliebe. Etwa als das Luzerner Stadtfest 2022 angab, auf Barzahlungen zu verzichten. Beim Organisationskomitee trudelten derart viele Kritiken ein, dass es zurückruderte und eine Bargeldvariante anbot (zentralplus berichtete). Auch im ÖV verschwindet das Bargeld zunehmend. So werden Fahrgäste von Postautos per Ende 2024 ihre Tickets im Fahrzeug selbst nur noch digital kaufen können (zentralplus berichtete).

Die Schweiz und das liebe Trinkgeld

Bis zu einer einheitlichen Lösung war die Trinkgeldregelung in der Schweiz ein Wildwestszenario. Wie das «SRF» 2014 in einer Reportage schrieb, habe es erst gar keine Handhabe für Trinkgeld gegeben. Später bekam das Personal einen rechtlichen Anspruch auf zehn Prozent des Betrags. Schliesslich gingen in den 1970er-Jahren immer mehr Restaurants dazu über, den Service in die Rechnung zu inkludieren – was Preisvergleiche für den Gast schwerer machte und für Verwirrung sorgte. Denn nicht alle Restaurants entschieden sich dafür, weswegen manche Betriebe auf den ersten Blick teurer wirkten.

Um eine allgemeingültige Regel einzuführen, einigten sich 1973 der Wirteverband, der Hotelier-Verein, Gewerkschaften und andere Organisationen darauf, «Service inbegriffen» grundsätzlich einzuführen. Die Regelung wurde in einem neuen Gesamtarbeitsvertrag festgehalten, den der Bundesrat auf den 1. Juli 1974 als gültig erklärte.

Historisch gesehen geht die Geschichte des Trinkgelds bis ins Mittelalter zurück. Wirklich in der Gastronomie etabliert war der Zustupf erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Zunahme des Massentourismus.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Sandro Troxler, Pointbreak
  • Artikel im «Beobachter»
  • Schriftlicher Austausch mit Thomas Tellenbach, Gastro Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Christoph Gut, Woody Pizza
  • Studie von 2022 zu Trinkgeld der Bank Cler
  • Studie von 2023 zu Trinkgeld der Bank Cler
  • Reportage vom «SRF»
  • Artikel in der «NZZ am Sonntag»
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