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Schmaler Grat zwischen Fürsorge und Helikoptermami

Blutüberströmt im Notfall: Bin ich eine Rabenmutter? 

(Bild: Tom Swinnen (Pexels))

Helikoptermami oder schlechte Mutter? Der erste Unfall mit unserer ältesten Tochter hat mir gezeigt, dass es gar nicht so einfach ist, sich dem einen oder anderen zuzuordnen. Ein Erfahrungsbericht, der während des Schreibens auch bei mir für Aha-Momente sorgte.

Lange vor der Geburt unserer ersten Tochter habe ich mir Gedanken gemacht, was ich für eine Mutter sein möchte. Helikoptermami oder doch eher Rabenmutter? So richtig weiss ich das bis heute nicht. Und ich wehre mich auch immer wieder innerlich dagegen, mich so einfach schubladisieren zu lassen.

Ich tendiere eher dazu, letzteres zu sein. Was vermutlich auch mein Mann bestätigen würde. Und das hat mir der erste Unfall mit meiner Tochter ebenfalls gezeigt. Aber eben nicht nur.

Blutüberströmt im Notfall

Der Unfall passierte an einem Freitagabend. Weit weg von zu Hause. Unsere eineinhalbjährige Tochter spielte im Garten der Grosseltern und hatte die glorreiche Idee, mit einem spitzen Ast durch den Garten zu tapsen, als plötzlich ein lauter Schrei ihres Cousins ertönte. Der Rest ist schnell erzählt.

Blutüberströmt setzten wir unsere Tochter ins Auto und fuhren in den naheliegenden Kindernotfall im Spital. Mit unserer neugeborenen Tochter in der Trage musste ich unsere ältere Tochter festhalten, während sie mit einem Stich die Lippe zusammenflickten. Mein Mann konnte nicht zuschauen, er hasst es, wenn sein kleines Baby Schmerzen hat. Und auch unser jüngstes Familienmitglied litt mit unserer älteren Tochter mit. Und ich? Ich schwitze Bäche.   

Später habe ich mich ab und an gefragt, ob ich diesen Unfall hätte verhindern können. Die Antwort? Nein. Ich weiss, dass ich eine grosse Sorgfaltspflicht gegenüber meinen Töchtern habe und nehme sie wahr. Mein Fazit? Dieser Unfall war einfach nur Pech.

Kind da – schlechtes Gewissen ebenfalls  

Ich bin nun mal keine dieser Mütter, die ihrem Kind auf Schritt und Tritt auf einem Spielplatz hinterherrennen. Oder einen Kinderarzt aufsuchen, wenn das Baby ein wenig Temperatur hat. Trotzdem liebe ich sie über alles. Und ich leide genauso, wenn sie Schmerzen haben.

Dieses ewige schlechte Gewissen, etwas falsch zu machen, hatte ich schon vor der Geburt unserer ältesten Tochter. Bei der Ernährung habe ich relativ früh eine Broschüre erhalten, mit Dingen, die ich essen darf, und solchen, von welchen ich eher die Finger lassen sollte.

Auch die sportlichen Aktivitäten wurden fein säuberlich von ärztlichen Empfehlungen vorgegeben. Ich hielt mich natürlich daran. Denn nichts war mir wichtiger, als diese beiden kleinen Wesen, die in mir heranwuchsen. Und auch jetzt nach der Geburt ist dieses schlechte Gewissen noch da. Ich glaube, jede Mutter (und auch jeder Vater) kennt das. Egal, wie die Kinder leben, egal, wie sehr wir uns bemühen, wir haben immer das Gefühl, nicht gut genug zu sein.

Jeden Tag versuche ich also, möglichst alles besser zu machen als tags zuvor. Und doch stolperte unsere Tochter an diesem Tag und schnitt sich mit diesem verflixten Ast die Lippe auf. Mein Mann und ich waren an diesem Abend übrigens nur wenige Meter von ihr entfernt. Auch wir stolperten. Über die Realität, über unsere eigenen Ansprüche und vor allem über die Diskrepanz zwischen diesen beiden.  

Raben sind gute Mütter 

Je mehr Zeit vergeht und je mehr ich mich mit der Rolle als Mutter auseinandersetzte, desto stärker wurde mir klar, dass es viele verschiedene Arten des Mutter-Seins gibt. Und auch ich vereine sie. Je nach Situation eben anders. Mutterschaft oder Familie sind heute längst keine starren Begriffe mehr. Und auch die Rollenbilder sind nicht mehr vorgefasst. Wir leben in einer Zeit, in der diese Begriffe in Bewegung geraten sind. Meine ebenfalls.   

Kürzlich ist mir der Begriff der «good enough mother», der Mutter, die gut genug ist, begegnet. Mit diesem Begriff habe ich mich bisher am stärksten identifiziert. Ist es doch so, dass wir alle auf unsere eigene Weise unser Bestes geben. Auch wenn es eben auch Tage wie diese gibt, an welchen wir kläglich daran scheitern.  

Wir dürfen nicht zulassen, dass uns diese Bilder, die überall in den sozialen Netzen überhandnehmen, zum Verhängnis werden, wenn sie in unsere Köpfe gelangen. Heute weiss ich, dass auch Rabenmütter gute Mütter sind. Denn Raben sind enorm fürsorgliche Tiere. Und das bin auch ich.  

Unserer Tochter geht es übrigens wieder gut. Eine kleine Narbe an der Lippe trägt sie trotzdem davon. Ich hoffe, dass sie uns dafür einmal verzeihen wird. 

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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