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Prähistorischer Rockstar

Wie die Stadt Luzern zu ihrem einzigen Saurier kam

Hat schon über 225 Millionen Geburtstage gefeiert: der Ceresiosaurus. (Bild: cbu)

Sie sind die Hauptattraktion in Museen auf der ganzen Welt: Saurier. Nur in der Zentralschweiz machen sich die Urzeitgiganten rar. Aber es gibt einen in Luzern – doch dieser hat eine lange Reise hinter sich.

Dinosaurier faszinieren auch noch Millionen Jahre über ihren Tod hinaus. Wie publikumswirksam die Rockstars der Erdgeschichte heute noch sind, zeigt ein Blick über die Kantonsgrenze ins Zürcher Oberland. Derzeit pilgern Tausende Besucherinnen ins Sauriermuseum Aathal.

Der Grund dafür heisst Trinity, ist fast zwölf Meter lang, vier Meter hoch und ist die neue Hauptattraktion des Museums. Denn zum ersten Mal überhaupt ist mit Trinity ein nahezu vollständiges Skelett eines Tyrannosaurus Rex in der Schweiz zu sehen.

Um Trinity im Sauriermuseum Aathal ins Gesicht zu schauen, holt man sich fast eine Nackenstarre. (Bild: cbu)

Während Saurierfans ihre versteinerten Riesen in Museen wie im Aathal, im Naturhistorischen Museum der Universität Zürich, dem Sauriermuseum Bellach oder im Fricktal im Aargau bestaunen können, hat die Zentralschweiz in dieser Hinsicht das Nachsehen. Zwar gibt es in den Kantonen Luzern und Zug (zentralplus berichtete) viele Funde von urtümlichen Mammuts, die Riesenechsen scheinen diese Region jedoch grossflächig umgangen zu haben.

Zwar entdeckten Wissenschaftler im Jahr 2000 an den Felswänden der Risleten-Schlucht in Obwalden Fussabdrücke von pflanzenfressenden Iguanodons, von den Tieren selbst fehlt bislang aber jede Spur.

Ein Saurier an der Wand

Doch es gibt einen Fischsaurier in Luzern. Zu Hause ist er im Gletschergarten in der Stadt Luzern. In der «Wunderkammer» des Museums, vorbei am Skelett eines Höhlenbären (zentralplus berichtete), begrüsst er die Gäste im ersten Obergeschoss – übrigens in unmittelbarer Nähe eines Abgusses der Iguanodon-Fussabdrücke. Hier hängen, fast wie ein 3-D-Gemälde, die Überreste eines Ceresiosaurus an der Wand.

Etwas platt ist er und reicht weder von der Grösse noch von der Popularität an Trinity heran – doch Ehre, wem Ehre gebührt. Schliesslich hat der Luzerner Ceresiosaurus ein paar Millionen Jährchen mehr auf dem Buckel. Lebte der Tyrannosaurus am Ende des Mesozoikum – wie man das Erdmittelalter und die Blütezeit der Saurier nennt –, tummelte sich der Ceresiosaurus zu Beginn dieses Zeitalters. Also vor rund 230 Millionen Jahren, als die Gigantomanie der «Donnerechsen» noch nicht so ausgeprägt war.

Etwa 2,3 Meter lang ist das Skelett und am Ende seines langen Halses ruht ein vergleichsweise kleiner Kopf. Die Form seiner Füsse verrät: Das Tier dürfte nebst seinem Leben an Land ziemlich geübt durchs Wasser gepaddelt sein. Umgeben ist der ausgestellte Jäger von mehreren jungen Pachypleurosauriern – eine der Leibspeisen des Ceresiosaurus. Das belegen Knochenreste, die Forscher im versteinerten Kot des Raubsauriers gefunden haben.

In der «Dinoecke» des Gletschergartens sind auch die Fussabdrücke der Risleten-Schlucht ausgestellt. (Bild: cbu)

Scharfe Zähne aus dem Tessin

Der Ceresiosaurus, der Name verrät es, ist aber kein richtiger Luzerner. Gefunden wurde das Tier im Tessin. Was also bringt dieses Urtier nach Luzern?

Entdeckt wurde der Ceresiosaurus am Hang des Monte San Giorgio, einer weltweit bekannten Fossilienfundstätte hoch über dem Luganersee. Wo heute schroffe Berge in den Himmel ragen, schwappten vor 230 Millionen Jahre die Wellen an die Küste der Tethys-See – das heutige Mittelmeer.

Hier graben Wissenschaftler schon seit 1924 nach den Überresten von frühen Reptilien und Fischgattungen. Die entscheidende Ausgrabung fand 1937 statt. Die Professoren Bernhard Peyer und Emil Kuhn-Schnyder vom Paläontologischen Institut der Universität Zürich leiteten die Ausgrabungen am Monte San Giorgio. Kuhn-Schnyder bezeichnete den Monte San Giorgio in einer entsprechenden Publikation als «Berg der Fossilien» und «wahre Schatzkammer».

Der Berg gibt den Saurier nur ungern frei

Bei der Ausgrabung 1937 habe es zuerst danach ausgesehen, als ob nur die zu erwartenden eidechsengrossen Pachypleurosaurier und Fischfunde zum Vorschein kämen, schreibt Peyer 1944 in einem Artikel des Schweizer Magazins «Du». Dann aber hätten die Forscher in einer leicht überhängenden Felswand von «überaus hartem Gestein» erste Indizien des Sauriers entdeckt.

Die versteinerten Knochen wurden daraufhin in «langwierigen Arbeiten» freigelegt, skizziert, etikettiert und sorgfältig in Kisten verpackt durch den Gotthard nach Zürich verschickt. Hier wurde der Fund an der Universität aufwendig präpariert und untersucht. Für Bernhard Peyer war es nicht der erste Ceresiosaurus-Fund. Den ersten grub er bereits 1931 aus – und gilt damit als Entdecker dieses frühen Sauriers.

Ein Geschichtszeuge für die Entstehung der Alpen

Die Forscher waren verblüfft, was ihnen der Fund alles verriet. Wer beim Skelett genau hinschaut, sieht, dass Teile des Schädels treppenartig verschoben sind. Ein sichtbares Zeichen, wie sich das einst flache Grab des Sauriers während Millionen von Jahren Stück für Stück zu einem Bergmassiv aufgeschichtet hat – zu den heutigen Alpen.

Der «gestaffelte» Kopf zeigt die Tektonik der Alpen. (Bild: cbu)

Ausgrabungen und Präparationen von Fundstücken sind nicht nur harte und langwierige Arbeit, sondern auch finanziell aufwendig. Und hier kommt schliesslich der Gletschergarten Luzern ins Spiel. Wie einem historischen internen Dokument des Gletschergartens zu entnehmen ist, steuerte die Gletschergarten-Stiftung einen entscheidenden Teil der nötigen Kosten bei, welche die Ausgrabung 1937 am Monte San Giorgio erforderte.

Früher war es üblich, dass sich die Luzerner Stiftung für solche Projekte einsetzte. Schliesslich bildete Archäologie – vor allem die Gletschertöpfe – das Fundament des Gletschergartens. Später hat die Luzerner Kantonsarchäologie solche Aufgaben nach und nach vom Museum übernommen.

Ein Doppelgänger kommt nach Luzern

Weil die Beteiligung des Gletschergartens, der schon damals ein international beliebtes Museum war, ein wichtiger Faktor in der Entdeckung des Ceresiosauriers war, erhielt das Museum 1961 zum Dank einen Abguss des damaligen Sensationsfundes. Was heute also von Kindern und Erwachsenen gleichermassen in Luzern bestaunt wird, ist nicht das Originalskelett, sondern eine Kopie desselben.

Das mag auf den ersten Blick enttäuschend klingen, ist allerdings üblich. Oft werden die originalen Skelette über lange Zeit hinaus noch wissenschaftlich untersucht und sind so fragil, dass man sie nicht einfach so an Wände hängen könnte. Um die Allgemeinheit trotzdem an den Funden teilhaben zu lassen, werden stattdessen aufwendige Kopien hergestellt und in Museen ausgestellt – wie etwa der Ceresiosaurus der Stadt Luzern.

Und das Original? Das liegt quasi zu Hause im Fossilienmuseum Meride am Fusse des Monte San Giorgio.

So könnte der Ceresiosaurus in seinen aktiveren Jahren ausgesehen haben. (Bild: Dmitri Bogdanow | Wikipedia)

Wo sich sonst noch Dinos in der Schweiz tummelten

Der Ceresiosaurus – obwohl nicht so prominent wie etwa T-Rex, Stegosaurus und Konsorten – geniesst trotzdem einen Sonderstatus in der Welt der Urzeit. Er ist einer von bloss einer Handvoll Sauriern, die in der Schweiz heimisch waren.

Ebenfalls im Tessin wurde 1965 der Ticinosuchus gefunden. Und im Fricktal haben Forscher mehrere Exemplare des rund acht Meter langen Pflanzenfressers Plateosaurus und des erst 2006 entdeckten Jägers Notatesseraeraptor ausgegraben. Unsere Kiesgruben und Bergklüfte haben also noch längst nicht alle prähistorischen Geheimnisse preisgegeben. Man kann nur ahnen, was sich sonst noch im Zentralschweizer Gestein versteckt. Wer weiss, vielleicht ist der Pilatusdrache doch nicht bloss ein Geschöpf aus der Sagenwelt …

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Andreas Burri, Direktor Gletschergarten
  • Augenschein vor Ort im Gletschergarten
  • Artikel in «Spektrum der Wissenschaft», August 1989
  • Artikel in «Du» vom Februar 1944
  • Broschüre «Die Fossilien des Monte San Giorgio», Emil Kuhn-Schnyder, 1979
  • Website Fossilienmuseum Meride
  • Buch «Köbi Sieber – Abenteuer mit Dinosauriern» von Max Meyer, Verlag Wartman Natürlich
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Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
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