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Oberägerer Wohnbauprojekt geht in die zweite Etappe

Exempel auf dem Erliberg – wenn es um mehr als nur Rendite geht

Idyllisch gelegen und im Nu vermietet: die 34 Wohnungen auf dem Oberägerer Erliberg. Entworfen wurden sie vom Zuger Architekten Albi Nussbaumer. (Bild: Kuster Frey)

Architektur, die den Namen verdient? Das findet man im baukulturell meist schnöde ignorierten Oberägeri. Das «auffallend schlichte» Projekt Erliberg trägt die Handschrift eines Zuger Architekten, der zum Ort einen persönlichen Bezug hat. 

Qualität zahlt sich aus. Was für Lebensmittel, Wanderschuhe und Luftmatratzen gilt, trifft auch auf Architektur zu. Besser gesagt: müsste für Architektur zutreffen. Doch wer von Unter- Richtung Oberägeri fährt und den Blick über die linker Hand am Hang erstellten Bauten schweifen lässt, braucht ein gerütteltes Mass an Nachsicht. Dicht an dicht reihen sich hier mehr banale denn ambitionierte Bauten aneinander. Terrassenhäuser mit mal so, mal anders verglasten Balkonen, hellgrau oder weiss verputzt. Baukörper ohne Bezug zum Ortsbild. Lieblos in den Hang gestellt. Irgendwie trist.

Wie anders nimmt sich da das Projekt aus, das nur etwas höher auf dem Erliberg steht. Was wir hier sehen, ist ein mäandrierendes Volumen, das stoisch in der Topografie des Hanges ruht und sich als kraftvolle Landmarke präsentiert. Charakteristisch für die beiden Häuser sind die sichtbare Tragstruktur sowie die bis ins Erdreich greifenden Sockelbereiche.

Die erste Etappe wurde 2021 realisiert. Sie besteht aus einem grösseren, langgezogenen Mehrfamilienhaus mit 34 Mietwohnungen und einem deutlich kleineren Atelierhaus. Mit dem Bau der zweiten Etappe soll nach erfolgter Volksabstimmung über die neue Ortsneuplanung voraussichtlich im Jahr 2026 gestartet werden.

Naturnahe Wiesen und Vegetationsteppiche im Aussenraum

Basis des Gesamtprojekts bildet der vom Oberägerer Gemeinderat im Jahre 2015 genehmigte Gestaltungsplan Erliberg und Lutisbach. Er verfolgte insbesondere zwei Absichten:

Erstens: der Besonderheit des speziellen Standortes, der sich am Übergang von Bau- zu Landwirtschaftszone befindet, gestalterisch gerecht zu werden.

Zweitens: die Qualität der reizvollen Naturlandschaft, die man auf der sanften Hügelkuppe vorfindet, trotz Bebauung zu wahren.

Erreicht wurden diese Ziele, indem nicht – wie so oft in ähnlichen Fällen – viele kleine Baukörper das ganze Areal beanspruchen, sondern auf einen prägnanten Baukörper fokussiert wurde. Als Folge davon bleibt auf dem ehemaligen Moränenzug viel Freiraum, der das Gefühl vom «Wohnen im Grünen» spür- und erlebbar macht.

Architekturblog: Bauprojekt in Oberägeri.
Dank haushälterischem Umgang mit dem Boden blieb auf dem Moränenzug viel Freiraum. (Bild: Kuster Frey)

Unterstrichen wird dieser Aspekt von der Tatsache, dass das Areal hangaufwärts in die offene, von Wald und Bach geprägte Natur übergeht. Was die Grünflächen zwischen den Gebäuden betrifft, so sind diese vorwiegend als naturnahe Wiesenflure ausgebildet und spannen sich als grosszügige Vegetationsteppiche um das Gebäude.

Der Bau nimmt somit – vielleicht nicht auf den ersten, aber spätestens auf den zweiten Blick – Bezug zu den landschaftlichen Parametern und führt die Qualitäten des natürlichen Landschaftsraumes weiter. Gleichzeitig ist ihm eine von Leichtigkeit und Zurückhaltung geprägte Handschrift eigen.

Hellgrauer Sichtbeton, raumhohe Verglasungen und aus dunklem Nadelholz gefertigte, schiebbare und teilweise faltbare Fensterläden aus vertikalen Latten determinieren die Fassade. Materialisierung und Farbigkeit ergeben ein geradezu ideal auf den Landschaftsraum abgestimmtes Erscheinungsbild. Die begehrten 1-, 3-, 4- und 5-Zimmer-Wohnungen waren nach Vermarktungsstart im Nu vermietet.

Zurückhaltung bei der Ausnutzung, Rücksicht auf Umgebung

Durch die Konzentration der Nutzung auf zwei beziehungsweise drei Gebäude (nach der zweiten Etappe) konnte eine grosszügige Umgebungsfläche bewahrt werden, welche den aktuellen und künftigen Bewohnern für Freizeit und Erholung und den Kindern zum Spielen zur Verfügung steht.

Die übergeordnete und insbesondere für die Öffentlichkeit relevante Fragestellung bei diesem Bau war: Wie kann moderner Wohnungsbau in einer bis anhin vornehmlich mit Partikularinteressen bestückten Landschaft im Jahre 2025 aussehen?

Diese Herausforderung wurde gekonnt und äusserst stilsicher gelöst. Bewusst wurde auf ein mögliches Attikageschoss und somit auf einen Teil der Ausnutzung verzichtet, um die Massstäblichkeit in Bezug auf die umliegenden Bauten zu wahren.

Eine Besonderheit des Projekts bildet das Kunst-am-Bau-Element «Residuum» von Daniela Schönbächler, Trägerin des Innerschweizer Kulturpreises 2023. Die elegante Brunnenanlage macht sich das lokale Quellwasser zunutze und lässt es in einem länglich-schmalen Becken widerspiegeln.

Architekturblog: Bauprojekt in Oberägeri.
Das Kunstwerk «Residuum» von Daniela Schönbächler vereint Brunnen und Sitzbank. (Bild: Kuster Frey)

Aufmerksame Passantinnen nehmen wahr, dass es sich bei den beiden sich leicht neigenden Betonteilen nicht um beliebige Stücke handelt, sondern um Elemente, die exakt die gleiche Materialität und Dimension wie die beim Bau verwendeten Fassadenstützen aufweisen – um eine Art «Residuum» eben, um Reststücke, wie man sie von antiken Tempeln kennt.

Das Kunstwerk ist aber nicht reiner Selbstzweck, sondern generiert zwei schwebende Sitzgelegenheiten. Auf diesen lassen sich die Bewohner des Erlibergs nieder und haben die Möglichkeit, sich dabei haptisch mit so gegensätzlichen Materien wie Wasser, Stein und Flora auseinanderzusetzen.

Generationenprojekt, das zurückschaut und nach vorne blickt

Bauherrin des Projekts ist die Erliberg AG, die sich im Besitze der vier Geschwister Esther, Pia, Gaby und Albi Nussbaumer befindet. Letzterer ist jener Architekt, der das bemerkenswerte Projekt in der Berggemeinde entworfen und realisiert hat.

Als Familie, die ihre Wurzeln in Oberägeri hat und dem Ort entsprechend verbunden ist, hat man offensichtlich nicht kurzfristig und einseitig auf Rendite geschielt. Stattdessen war man bestrebt und ambitioniert, bauspezifisch bedeutsame Wohnhäuser mit einer anspruchsvollen Architektur zu realisieren, an der sich auch die Nachfolgegeneration der Geschwister Nussbaumer erfreuen soll.

Architekt Nussbaumer erklärt: «Mit unserem Vater Albert, der seine ganze Kindheit in Oberägeri verbracht hat, führten wir viele Jahre vor Baustart intensive und spannende Diskussionen und wir fragten uns, was im Erliberg war, was ist und was sein könnte. Diese Wohnbauten sind unsere Antwort darauf.»

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Von Architektur und Städtebau sind wir alle betroffen. Im Architektur-Blog werden aktuelle Projekte aus Luzern und Zug verhandelt. Er dient Laien und Fachleuten als Diskussionsplattform und macht das regionale Bewusstsein für Baukultur öffentlich.
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