Modernisierung oder Intransparenz?

Schule ohne Noten? Das sagen die Luzerner Parteien dazu

In den Stadtluzerner Schulen – wie hier das Säli – erhalten Kinder künftig nur noch im Zeugnis Noten. (Bild: mik)

In der Stadt Luzern erhalten Primarschüler künftig nur noch Ende Semester eine Note. Die Reform hat viele Diskussionen ausgelöst. Auch bei den Stadtluzerner Parteien ist man sich uneins über die Änderung.

Den Sechser im Diktat, für den man daheim ein Mutschli samt Schoggistängeli bekommen hat, oder der Dreier in Geometrie, den man am liebsten vor den Eltern versteckt hätte: Damit soll nun Schluss sein. Per Schuljahr 2024/25 gibt es an den Stadtluzerner Schulen nur noch Noten per Ende Semester im Zeugnis. Gemäss dem Rektor der Luzerner Volksschule David Schuler erhofft sich die Stadt Luzern dadurch, dass Schülerinnen nachhaltiger und reflektierter lernen (zentralplus berichtete).

Mit der Reform stossen die Luzerner Schulen jedoch auch auf viel Unverständnis. Die Notenabschaffung hat volle Kommentarspalten, mehrere Leserbriefe und zwei politische Vorstösse ausgelöst (zentralplus berichtete). Auch eine Umfrage bei zentralplus-Lesern zeigt: Nur ein Drittel hält die Abschaffung von Schulnoten für eine gute Idee.

Wegen eines Vorstosses im Namen der Mitte-Fraktion von Silvana Leasi und Diel Tatjana Schmid Meyer wird sich unweigerlich auch die Stadtluzerner Politik mit dem Thema befassen. zentralplus hat ihr bereits vorher auf den Zahn gefühlt und sie nach ihrer Meinung zur Reform gefragt.

FDP und SVP sehen Notenabschaffung kritisch

Zwar verschliesse sich die FDP nicht generell einer Diskussion, wie FDP-Grossstadtrat Mike Hauser auf Anfrage schreibt: «Wir sind allerdings kritisch eingestellt. Eine Beurteilung der Lernenden ohne Noten bedeutet einen wesentlichen Mehraufwand, was im heutigen prekären Umfeld des Lehrermangels kaum zu bewerkstelligen ist.» Noch kritischer sähe es die FDP jedoch, sollten Noten auch an der Oberstufe abgeschafft werden. Sie denken dabei auch an die künftigen Arbeitgeber: «Lehrbetrieben wird es kaum mehr möglich sein, ein Urteil über die schulischen Leistungen der zukünftigen Auszubildenden zu fällen.»

«Ein Beurteilungssystem soll fair, ausgewogen, nachvollziehbar und vor allem auch ohne unverhältnismässig grossen Aufwand umsetzbar sein.»

Karin Stadelmann und Silvana Leasi von der Mitte-Fraktion

Ins gleiche Horn stösst die städtische SVP: «Eine Abschaffung des bewährten Systems mit Prüfungsnoten sehen wir als nicht praktikabel», wie Parteipräsident Dieter Haller schreibt. Das angedachte Kriteriensystem weise für die SVP grosse Schwachstellen auf, besonders, wenn dieses wegen kantonaler Vorgaben anschliessend in Zeugnisnoten übersetzt werden müsse. «Schulnoten dienen der Bewertung von Leistungsmerkmalen der Schüler», hält Haller fest. Je transparenter die Kriterien dieser Bewertung seien, desto gefestigter und bewährter sei das Beurteilungssystem. Die SVP hält es deshalb für nötig, dass sich Schüler auch weiterhin der Leistungsmessung mit Noten stellen. Auch, weil diese spätestens bei der Lehre üblich seien.

Mitte befürchtet Mehraufwand für Lehrer

Die städtische Mitte beobachte die Entwicklung des Bildungssystems schon länger mit einer gewissen Sorge, wie Karin Stadelmann und Silvana Leasi namens der Partei schreiben. Die Grundschule sei dazu da, Kindern in Kernkompetenzen wie Rechnen, Schreiben und Lesen zu befähigen. «Die Tendenz geht aber immer mehr Richtung Akademisierung an der pädagogischen Hochschule, und immer mehr Richtung Studiengang an der Grundschule mit etappenweiser ‹Beurteilungs- und Förderungsgesprächen› mit den Schülerinnen und Schülern.» So bleibe die Hauptaufgabe der Grundschule auf der Strecke, kritisiert die Mitte-Fraktion.

«Die nun lancierte Idee, Schulnoten durch ein womöglich kompliziertes und zeitaufwendiges neues Beurteilungssystem zu ersetzen, muss in diesen Kontext gesetzt und gesehen werden.» Wie die Mitte betont, sei sie gegenüber Diskussionen für Verbesserungen immer offen. Jedoch sei dieser Entscheid für die Stadt Luzern getroffen worden, ohne die gesellschaftliche oder politische Diskussion abzuwarten, wie die Fraktion kritisiert. Von ihrer Interpellation versprechen sie sich darum Antworten, wie die Stadt mit der Thematik umgeht.

Bezüglich schulischer Beurteilung hält die Fraktion fest: «Ein Beurteilungssystem soll fair, ausgewogen, nachvollziehbar und vor allem auch ohne unverhältnismässig grossen Aufwand umsetzbar sein.» Noten könnten deshalb aus ihrer Sicht beibehalten werden. Jedoch brauche es ergänzend dazu «förderndes Feedback und Rückkoppelungsgespräche». Dafür bräuchten Lehrerinnen jedoch wieder mehr Zeit, die sie aktuell wegen hohen administrativen Aufwänden nicht hätten.

GLP sieht rechtlichen Graubereich

In den Augen der Grünliberalen hätten Prüfungsnoten eigentlich zwei Funktionen: Zum einen als Instrument, um die Schüler zu selektionieren. «Inwiefern andere Systeme da bessere Ergebnisse erzielen, müssen Fachpersonen begründen», wie Grosstadtrat Martin Huber schreibt. Die GLP erwarte deshalb ein koordiniertes Vorgehen zwischen Kanton, Gemeinden, PH, Lehrpersonen, Schulleitungen und Bildungsbehörden. Zum anderen dienten Noten als Mittel zur Kommunikation gegenüber Eltern, Kindern und weiteren Anspruchsgruppen. «Dies ist in unseren Augen ohne Prüfungsnoten besonders herausfordernd, da am Ende des jeweiligen Semesters eine nachvollziehbare Zeugnisnote eingetragen werden muss.»

Sofern das neue System ohne Noten die beiden oberen Funktionen erfülle und zugleich die Situation beispielsweise für Schülerinnen verbessere, sei die GLP offen für eine Änderung. Ob das System der Stadt Luzern dies vermag, könne die GLP jedoch nicht abschliessend beurteilen. Kritisch erachtet sie aber, dass die Stadt damit einen Flickenteppich innerhalb des Kantons schaffe. So sei es für Familien schwerer, wenn sie beispielsweise umziehen wollen.

«Den Lernenden ist oftmals unklar, wenn sie eine Note erhalten, was sie nun wirklich können und wo sie Entwicklungsbedarf haben.»

Karin Pfenninger, SP-Grosstadträtin

Zudem begebe sich die Stadt Luzern mit der neuen Beurteilung in einen rechtlichen Graubereich. Denn gemäss kantonaler Verordnung ist vorgeschrieben, dass Leistungen mit Noten beurteilt werden müssen. Und dass sich die Zeugnisnote aus der Bewertung mehrerer verschiedener Leistungen in einem Fach zusammenstellt. «Wie jetzt eine Zeugnisnote ohne Noten zu den einzelnen Leistungen erstellt werden soll, wird in der Verordnung nicht erwähnt», hält Huber fest. Das berge aber ein Risiko für Beschwerden.

Grüne und SP sprechen von Modernisierung

Positiver sehen die Luzerner Grünen die Änderung. Mit der Anpassung setze die Stadt Luzern um, was die Wissenschaft schon lange wisse und was sich vielerorts als erfolgreich erweise, wie Präsident Elias Steiner schreibt. «Wir begrüssen, dass sich auch die Schule weiterentwickelt und modernisiert und sind zuversichtlich, dass die Erkenntnisse daraus auch in weiteren Gemeinden zu Diskussionen führen werden.» Eine erste Umfrage von zentralplus hat beispielsweise gezeigt, dass auch Sursee das Notensystem anpassen will (zentralplus berichtete). Als kleinen Seitenhieb fügt Steiner hinzu: «In keiner anderen Branche würde dies zu solch emotionalen Debatten führen.»

Rückendeckung erhalten die Grünen von der SP. Die SP-Grosstadträtin und Seklehrerin Karin Pfenninger schreibt auf Anfrage: «Bei Beurteilungen soll es darum gehen, Lernen und Entwicklung sichtbar zu machen.» Für die Förderung der Schüler sei es wichtig, deren Entwicklung im positiven Sinne sichtbar zu machen. Zudem betont sie, dass sich die Lehr- und Lernkultur an Schulen verändert habe. Wissen werde nicht mehr hauptsächlich von Lehrern frontal vorgetragen, sondern von Schülerinnen selbst aktiv erarbeitet. Weswegen auch den Selbsteinschätzungen der Schüler einen grösseren Stellenwert zugesprochen werde.

«Die Selbstreflexion dient dazu, mehr über sich zu erfahren, hilft, Enttäuschungen und Misserfolge zu verarbeiten und ermöglicht ein Gefühl der Selbstwirksamkeit, was sich schliesslich sehr positiv auf die Lernmotivation und das schulische Vorankommen auswirkt», ergänzt Pfenninger. Damit Schülerinnen sich gut selbst beurteilen können, brauche es gute und differenzierte Feedbacks der Lehrer. Eine Note von 1 bis 6 greife hier jedoch meist zu kurz: «Den Lernenden ist oftmals unklar, wenn sie eine Note erhalten, was sie nun wirklich können und wo sie Entwicklungsbedarf haben.» Hierfür brauche es darum solche alternativen Beurteilungssysteme. Denn wenn sich das Lernen und Lehren wandle, müsse sich auch das Beurteilen wandeln, findet sie SP.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Martin Huber, GLP-Grossstadtrat
  • Schriftlicher Austausch mit Mike Hauser, FDP-Grossstadtrat
  • Interpellation von Silvana Leasi und Diel Tatjana Schmid Meyer
  • Schriftlicher Austausch mit Karin Stadelmann und Silvana Leasi der Mitte Stadt Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Elias Steiner, Präsident Grüne Stadt Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Dieter Haller, Präsident SVP Stadt Luzern
  • Verordnung des Kantons Luzern zur Beurteilung der Volksschüler
  • Schriftlicher Austausch mit Karin Pfenninger, SP-Grossstadträtin
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