Stadt Luzern prescht vor

Abschaffung der Schulnoten: Viele andere Städte sind skeptisch

Bald soll es an Luzerner Primarschulen keine Noten mehr unter dem Semester geben. Im Bild die Schulanlage Moosmatt. (Bild: Stadt Luzern)

Die Stadt Luzern wird die Noten an den Primarschulen abschaffen. Ein Blick in andere Gemeinden zeigt: Die Meinungen dazu sind gespalten. Teilweise ist die Abschaffung wieder rückgängig gemacht worden.

Luzerner Primarschülerinnen war bislang klar: Ab der dritten Klasse gibt es Prüfungen, die mit Noten von 1 bis 6 beurteilt werden. Doch nun soll damit Schluss sein, wie die «Luzerner Zeitung» kürzlich berichtete (zentralplus berichtete). In Zukunft soll es nur noch Ende Semester Zeugnisnoten geben. Eine Umsetzung sei auf das Schuljahr 2024/25 möglich.

Mit dieser Änderung rüttelt die Stadt an einer jahrelangen Gewissheit. Dennoch möchte sich der Rektor der städtischen Volksschule, David Schuler, nicht als Avantgarde sehen. «Ich bin mir sicher, dass viele andere Gemeinden diesen Weg zurzeit beschreiten», sagte er gegenüber der «LZ». Denn für Schuler ist klar: Unter Fachpersonen sei es unbestritten, dass die Noten abgeschafft werden müssten.

Ein Blick in andere Städte zeigt: Tatsächlich gibt es Gemeinden und Städte, die ebenfalls eine Abschaffung der Noten prüfen. Ebenso gibt es aber Gemeinden, die an diesen festhalten wollen.

Basel hatte einst keine Noten und führte sie wieder ein

Kein Kanton vergab Noten so spät wie der Kanton Basel-Stadt. Bis Ende Schuljahr 2012/13 erhielten Schülerinnen erst ab der achten Klasse eine Schulnote. Im Rahmen einer Schulharmonisierung änderte der Kanton Basel-Stadt diese Praxis und führte Noten auf breiter Basis wieder ein. Fortan verteilen Lehrpersonen Schulnoten ab der fünften Klasse.

Jetzt, zehn Jahre später, hat sich nicht viel verändert. «Seit da gab es keine grösseren Bestrebungen, die Noten abzuschaffen», schreibt Gaudenz Wacker, Kommunikationsleiter des Erziehungsdepartements, auf Anfrage. «Das System bewährt sich», führt er fort.

Das Schweizer Bildungssystem ist stark auf Selektion ausgerichtet. Heisst: Nach einer gewissen Schulstufe werden Schülerinnen in unterschiedliche Leistungsstufen eingeteilt. Um die Einstufung vorzunehmen, braucht es eine möglichst objektive Bewertung. Es gibt Stimmen, die daher die Abschaffung der Schulnoten als unmöglich sehen. «Solange selektioniert wird, braucht es Noten. Sie sind die Währung dieses Systems», wurde etwa die Pädagogikprofessorin an der Universität Zürich, Katharina Maag Merki, im Juni 2021 im Onlineportal «Watson» zitiert.

Basel-Stadt: Leistungsgedanken sei wichtig

Auch Gaudenz Wacker vom Kanton Basel-Stadt schreibt, dass die Gemeinde aufgrund des Übertritts in eine Oberstufe an den Noten festhalten wolle. Dass für diesen Übertritt Noten unter dem Semester zwingend sind, sieht die Stadt Luzern anders. Zwar brauche es gegenüber den Eltern eine gute Kommunikation, sagt David Schuler gegenüber der «Luzerner Zeitung». Doch die drei Stadtluzerner Schulen, die schon heute keine Noten mehr unter dem Semester verteilen würden, hätten gute Erfahrungen gemacht. Es gebe deswegen nicht mehr Streit wegen der Zeugnisnoten als früher. «Mit einer guten Kommunikation schaffen wir es, dass die Zahl im Zeugnis keine Überraschung ist», wird Schuler in der Zeitung zitiert.

Im Luzerner Schulhaus Säli gibt es bereits heute nur noch Zeugnisnoten. (Bild: bic)

Wacker erwähnt aber noch einen weiteren Grund, weshalb der Kanton Basel-Stadt an den Noten festhält: «Mit der Schule soll auch ein Leistungsgedanken verknüpft werden.» Philipp Bucher, Experte für Schulentwicklung, bestätigt: Zeugnisnoten würden in Jahren vor dem Übertritt auf die Motivation der Schüler wirken. «Kinder haben in diesen Jahren einen grösseren Leistungszuwachs», sagte der Dozent an der Pädagogischen Hochschule der FHNW im März gegenüber «SRF». Dennoch sieht Bucher den Trend hin zu weniger Schulnoten positiv: «Der Druck in diesen Jahren löst auch aus, dass die Lernmotivation mittelfristig eher sinkt.»

Kanton Zürich erstickt Forderungen nach Schulen ohne Noten im Keim

Die Überlegungen über Schulen ohne Noten nimmt schweizweit zu. Bei der Zürcher FDP-Kantonsrätin Astrid Furrer läuteten die Alarmglocken, als sie von einer Bekannten aus dem Kanton Bern hörte, dass in ihrer Gemeinde die Schulnoten abgeschafft werden, wie der «Tages-Anzeiger» im vergangenen Jahr berichtete. Auch der Zürcher Bildungsrat dachte über die Abschaffung der Schulnoten nach. Furrer reichte später einen Vorstoss ein. Schüler sollten weiterhin mit Noten beurteilt werden, lautet ihre Forderung. Sie verlangte, dass im Volksschulgesetz ein entsprechender Paragraf eingeführt wird.

Und auch in der Gemeinde der Berner Kollegin von Furrer sei der Versuch einer Schule ohne Noten abgebrochen worden, wie der «Tages-Anzeiger» weiter berichtet. «Wir stellen fest, dass manchen Kindern die Lernbereitschaft fehlt, und wir haben uns gefragt, ob es vielleicht daran liegt, dass der Ansporn, eine gute Note zu erreichen, fehlt», schrieb die Schulleitung im Mai 2021 den Eltern in einem Brief. Furrer fühlte sich in ihrer Forderung bestärkt.

Im Mai 2022 hat der Zürcher Kantonsrat schliesslich entschieden: Ab der zweiten Klasse müssen Lehrpersonen – zumindest im Semesterzeugnis – Noten verteilen. Der Bildungsrat kann seither nicht mehr frei über die Beurteilung von Schulleistungen bestimmen, wie er das vorher konnte. Die Beurteilung muss jedoch auch unter dem Semester erfolgen, dann jedoch nicht nur mit Noten, sondern zusätzlich «durch ein konstruktives Feedback in mündlicher oder schriftlicher Form, wobei auch Symbole oder Farben verwendet werden können», wie es im Beschluss heisst.

Stadt Bern plant Pilotprojekt ohne Noten an Schulen

Auch im Kanton Bern werden Schülerinnen grundsätzlich ab der vierten Klasse mit Noten beurteilt. «Einzelne Schulen wenden innerhalb des gesetzlichen Rahmens jedoch bereits notenfreie Instrumente an», schreibt Luzia Annen, Leiterin des Schulamts, auf Anfrage.

Mit der Einführung des Lehrplans 21 im Jahr 2020 werden vermehrt Diskussionen darüber geführt, ob die Schulen notenfreie Instrumente einführen sollen. Derzeit laufe im Rahmen eines Vorstosses im Stadtparlament ein politischer Auftrag, ein Konzept zur notenfreien Beurteilung zu erarbeiten, schreibt Annen. «Es haben mehrere Schulen ihr Interesse an einem Schulversuch angemeldet, und erste Gespräche mit den Schulleitungen, mit uns vom Schulamt Stadt Bern und mit Vertretungen der kantonalen Bildungs- und Kulturdirektion sind in Planung.»

Annen schreibt, dass es alternative Beurteilungsmodelle gebe, die auch ohne Noten differenzierte Rückmeldungen über Lernfortschritte der Schüler ermöglichen würden. Solche Modelle seien zunehmend verbreitet und akzeptiert, heisst es.

Luzerner Gemeinden gehen unterschiedliche Wege

Kein Thema sei die Abschaffung der Schulnoten unter dem Semester in Horw, teilt Mediensprecher Christian Volken auf Anfrage mit. Philipp Bucher, Kommunikationsleiter der Gemeinde Emmen, schreibt: «Im Bereich der Notengebung auf der Primarstufe halten wir uns an die aktuellen Rahmenbedingungen des Kantons.» Ein Schwerpunkt sei eine Änderung der Notengebung aber nicht. Die Themen Selbstgesteuertes Lernen und Digitalität stünden im kommenden Schuljahr im Fokus.

Offener zeigt sich die Gemeinde Kriens: «Eine Beurteilung muss förderorientiert sein und die Lernenden im Lernprozess unterstützen. Das machen Noten meist nicht», sagt Mediensprecher Benedikt Anderes. «Die meisten Schulen der Primarstufe sind auf dem Weg, andere Formen der Beurteilung als Noten zu installieren.» Verordnen wolle man die Umstellung auf eine Schule ohne Noten aber nicht.

Auch die Surseer Volksschulen möchten die Notengebung anpassen: «Die Beurteilung soll an den Stadtschulen Sursee in den kommenden Jahren vermehrt durch formative, kompetenzorientierte Formen ergänzt und gestärkt werden», schreibt Philipp Calivers, Rektor der Stadtschulen Sursee. Ein entsprechendes Konzept zur «kompetenzorientierten Beurteilung» an den Primarschulen werde derzeit erarbeitet und Anfang 2024 der Bildungskommission zur Genehmigung unterbreitet.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit den Pressestellen aus dem Kanton Basel-Stadt, der Stadt Bern, Stadt Zürich, Stadt Kriens und den Gemeinden Horw, Emmen und Sursee
  • Beschluss des Zürcher Kantonsrats vom Mai 2022
  • Artikel in der «Luzerner Zeitung»
  • Artikel in der «Luzerner Zeitung»
  • Artikel im «Tages-Anzeiger»
  • Artikel auf «Watson»
  • Berichterstattung von «SRF Schweiz Aktuell»
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