Die schweizweit grösste Aufzucht ihrer Art

Dieser Luzerner Bauer setzt auf ein ungewöhnliches Tier

Der Luzerner Landwirt Daniel Spengeler führt in Menznau eine Seidenraupenaufzucht. (Bild: zar)

Seide aus dem Luzerner Hinterland: Das ist kein Jux, sondern seit über zehn Jahren ein Nebenerwerb für die Familie Spengeler aus Menznau. Mit der schweizweit modernsten Aufzucht knüpft sie an eine jahrhundertealte Tradition an.

«Und dann beginnt die Magie: Wie auf Kommando machen sich die Seidenraupen auf den Pfad, klettern nach oben, bis sie eine Nische in einem der unzähligen Kartonrahmen gefunden haben.» Daniel Spengeler klickt, die nächste Folie wird eingeblendet. «Dort angekommen, spinnen sie sich in der Bewegung einer liegenden Acht mit einem äusserst dünnen Faden ein – bis sie drei Tage später vollkommen von einem seidenen Kokon umhüllt sind.»

Eine einzige bis zu 3000 Meter lange, ultradünne Proteinfaser, aufgewickelt auf einen Kokon: Das ist das Rohmaterial für eine Vielzahl von edlen Produkten, die etwa Männer- und Frauenhälse umschlingen, im Schlafzimmer für prickelnde Momente sorgen und in Schlafsäcken für ein angenehmes Klima. Für Daniel Spengeler ist es aber vor allem auch Genugtuung und Lohn für viel Arbeit.

Eine Seidenraupe
Eine Seidenraupe hängt am Faden. (Bild: Adobe Stock)

60’000 Raupenkokons pro Jahr

Denn der 36-jährige Teilzeitbauer ist einer von nur gerade zwölf Seidenraupenzüchtern im Land. Auf dem Hof Fluck ob Menznau, eingebettet in die hügeligen Napfausläufer und mit Blick auf den dampfenden Holzverarbeitungskoloss Kronospan, sind nicht nur 20 Mutterkühe, 12 Mutterschweine sowie 5 Alpakas zu Hause. Zusammen mit seiner Ehefrau Mirjam sowie seinen Eltern betreibt Daniel Spengeler hier die schweizweit grösste und modernste Anlage ihrer Art. In guten Jahren kommen so über 60’000 Raupen­kokons zusammen – das sind gut 12 Kilogramm Rohseide.

«Der spinnt doch!» So hätten einige Bauern in der Umgebung reagiert, als sie von Spengelers Plänen für eine Raupenzucht Wind bekommen hatten. Und auch Spengeler war erst eher skeptisch. Mit Raupen im Nebenerwerb Geld verdienen? Erst als er die Alternativen Hirschzucht (zu nahe am Wald) und Weinbau (zu hoch und zu weit weg von einem Gewässer gelegen) endgültig verwerfen musste, liess er sich auf das Wagnis mit den Insekten ein – und sollte es auch über zehn Jahre später nicht bereuen. Dieses «Masttier der Extraklasse», es fasziniert ihn mehr denn je.

Normalerweise würden zu diesem Zeitpunkt auf dem Hof Fluck bereits tausende von Raupen umherkriechen. In diesem Jahr aber liegt die Zuchtanlage noch verwaist da – für einmal geniesst der eigene Nachwuchs (Zwillinge!) Vorrang. Aus diesem Grund befinden wir uns nun im grosszügigen Eventsaal just oberhalb der eigentlichen Anlage, wo Spengeler sich durch eine ebenso umfangreiche Powerpoint-Präsentation klickt, und dabei mit allerlei faszinierenden Fakten aufwartet.

Seidenraupen: enorm gefrässig und anspruchsvoll

So etwa, dass es nur knapp 30 Tage dauert, bis die zwei Millimeter grosse Larve sich zu einer ausgewachsenen Seidenraupe entwickelt hat. Nicht weniger als viermal häutet sich das Insekt in dieser kurzen Zeit. Vor allem aber legt es ordentlich an Gewicht zu. Ausgewachsene Exemplare sind bis zu 10 Zentimeter lang, fingerdick und bringen gut und gerne 5 Gramm auf die Waage. «Das entspricht einer Zunahme um den Faktor 10’000», sagt Spengeler.

Eine Seidenraupe
Seidenraupen wachsen verhältnismässig stark. (Bild: Adobe Stock)

Entsprechend zentral ist denn für die Seidenraupen auch das Thema Fressen. Und da zeigt sich einmal mehr, welch hohe Ansprüche die Krabbeltiere an ihre Züchter stellen. Nicht nur bedürfen sie einer konstanten Temperatur von 27 Grad sowie einer Luftfeuchtigkeit von 85 Prozent. Verspeist werden ausschliesslich saftig-zarte Blätter des weissen Maulbeerbaums, natürlich handgepflückt. 20’000 ausgewachsene Raupen verzehren gut 50 Kilogramm Blattwerk – pro Mahlzeit. Und davon wiederum gibt es täglich gleich deren vier. «Wie feiner Regen» hört es sich an, wenn ein ganzer Raum voller Raupen drauflosmampft, so Spengeler.

Um den grossen Futterbedarf zu decken, besitzen Spengelers eine eigene Plantage, wenige Autominuten vom Haupthof entfernt: Rund 700 Maulbeerbäume sind hier fein säuberlich aufgereiht, verteilt auf der Fläche eines halben Fussballfeldes. Angelegt wurde diese Anlage, noch bevor die erste Seidenraupe im Fluck das Licht der Welt erblickte. Es war der Grundstein für die erste Aufzucht und gleichzeitig der Startschuss zu einer Entdeckungsreise ins Ungewisse.

Mit Pionierarbeit viel Lehrgeld bezahlt

Zwar kann man in den hiesigen Gefilden auf eine Tradition in der Seidenproduktion zurückblicken, die bis ins 13. Jahrhundert zurückgeht. Weil aber im vergangenen Jahrhundert viel Fachwissen verloren ging, betraten Daniel Spengeler und seine Züchterkollegen in vielerlei Hinsicht Neuland.

Entsprechend mussten sie auch Lehrgeld bezahlen. Mal knabberten Mäuse an den geernteten Seidenkokons, dann wieder raffte eine Krankheit gleich tausende Raupen dahin. Und schliesslich flexte auch Petrus immer wieder seine Muskeln, setzte der Menznauer Maulbeerbaum-Plantage mit Hagel oder Frost zu, sodass Spengeler Raupenfutter auch schon in der Stadt Luzern besorgen musste, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion.

«Gerade in puncto Seidenglanz sind wir der Ware aus China oder Japan mehr als ebenbürtig.»

Daniel Spengeler

«Wer jetzt einsteigt, dem bleiben viele Fehler erspart», weiss Daniel Spengeler deshalb nur allzu gut. An Erfahrung hat aber auch die Branche insgesamt gewonnen, Produzenten wie Verarbeiter. So sehr, dass man inzwischen auch die internationale Konkurrenz nicht scheuen muss. «Gerade in puncto Seidenglanz sind wir der Ware aus China oder Japan mehr als ebenbürtig», sagt er nicht ohne Stolz. Das ist nicht zuletzt dem Verein Swiss Silk zu verdanken. Er steuert und koordiniert in der Schweiz die gesamte Seidenproduktion vom Anbau bis zum Verkauf und sorgt auch für regen Austausch unter den Mitgliedern.

Trotz «Topqualität»: Raupenzucht bleibt Nischenerwerb

Was allerdings die Quantität betrifft, so wird die heimische Seidenproduktion wohl auch künftig ein Nischendasein fristen – und dies trotz neuer Abnehmer im Medizinal-Bereich. (Spengeler: «Wir suchen dringend neue Produzenten – die Abnahme ist garantiert.») Warum, das verdeutlicht nicht zuletzt Spengelers Beispiel: Weil die Zucht von Seidenraupen sehr arbeitsintensiv ist, macht eine Skalierung häufig keinen Sinn. Allfällige Gewinne würden durch Personalkosten wieder aufgefressen.

Dabei braucht man das ganz grosse Geld in der Seidenraupenzucht generell nicht zu suchen. Bei einem Kilopreis für Rohseide von momentan 35 Franken ist die Milchbüechlirechnung schnell gemacht. Zusammen mit Führungen durch den Zuchtbetrieb hat Spengeler für seinen Betrieb einen Stundenlohn von immerhin 20 Franken errechnet. Das ist in der Landwirtschaft «gar nicht so schlecht», aber auf jeden Fall besser als gar nichts. Und wer weiss, vielleicht liegt künftig noch mehr drin? So oder so: Jede Menge faszinierender Einblicke in die Welt der Seidenraupen gibt’s gratis obendrauf.

Verwendete Quellen
  • Besuch bei Daniel Spengeler
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