Berufsfischer klagt an: Darum sind Luzerner Seen wirklich krank
Der Zugersee soll wegen zu hoher Phosphorwerte belüftet werden. Im Kanton Luzern hat man damit schon seit über 40 Jahren Erfahrung. Gelöst ist das Problem aber nicht, sagt Berufsfischer und alt-Kantonsrat Andreas Hofer (59). zentralplus war zu Besuch auf dem Familienfischereibetrieb in Oberkirch.
Da breitet er sich aus, blaugrün und funkelnd, eingerahmt von sanften Hügelzügen: der Sempachersee. Ein Stand-up-Paddler gleitet lautlos dahin, dann ploppt plötzlich ein Haubentaucher an die Oberfläche. Am Horizont schrauben sich die Felsriesen der Zentralschweizer Alpen in die Höhe. Idylle pur, könnte man meinen.
Doch der Schein trügt, das wird schnell klar im Gespräch mit Andreas Hofer. An einem Dienstagnachmittag hat er Zeit gefunden, zentralplus in Sachen Seesanierung Rede und Antwort zu stehen. Oder eher zu sitzen: Und zwar an einem rustikalen Holztisch, im Schatten vor seinem Oberkircher Heimetli, in unmittelbarer Nähe zum Seeufer.
«Von einer Genesung sind wir noch weit entfernt», sagt Hofer.
Auch wenn sich die Phosphorwerte in den vergangenen Jahren in allen Luzerner Mittellandseen in die richtige Richtung entwickelt haben – und im Sempachersee der Zielwert fast erreicht ist. Der Felchen, Speisefisch Nummer eins, könne sich noch immer nicht natürlich fortpflanzen. Weder im Sempacher- noch im Baldeggersee. «Seine Eier kriegen am Seegrund zu wenig Sauerstoff und sterben ab – und das trotz Belüftung.» Und nun solle auch der Zugersee noch belüftet werden (zentralplus berichtete)?
Algen entziehen dem Seewasser Sauerstoff
Von Sauerstoff wird in den nächsten anderthalb Stunden noch viel die Rede sein. Ebenso von Gülle und von Phosphorkonzentration. Noch mehr aber von «Scheinlösungen», «unehrlichen Politikern» und «übermächtigen Lobbyisten.» Das Thema bewegt Hofer offenkundig. Denn zum einen ist dem naturverbundenen 59-Jährigen «die Natur immer schon am Herzen» gelegen. Davon zeugen nicht zuletzt die 14 Jahre, die Hofer für die Grünen im Luzerner Kantonsrat sass (bis ins Jahr 2021). Er ist auch Vorstandsmitglied von Pro Natura Luzern und er betreibt mit seinem Bruder Thomas die Berufsfischerei Hofer in dritter Generation. Hofer kennt den Sempacher- und Baldeggersee also nicht nur vom Hörensagen.
Doch worin liegt eigentlich das Problem? Hier die Geschichte im Schnelldurchlauf: Ungeklärtes Abwasser gekoppelt mit steigender Bevölkerung sowie Gülleabfluss von rasant wachsenden Tierbeständen führen spätestens in den 60er-Jahren zu massiv höheren Phosphorwerten in den Luzerner Mittellandseen Baldegger-, Hallwiler- und Sempachersee. Das wiederum kurbelt das Wachstum von Algen an, die nach ihrem Ableben auf den Seegrund sinken, wo sie beim Zersetzungsprozess dem Seewasser viel Sauerstoff entziehen.
Zuerst flossen Tränen, danach kam die Wut
Sauerstoff, der bald anderen Lebewesen im See fehlt. Diese Entwicklung schwächt das Ökosystem im See so sehr, dass es zu einer Reihe von Fischsterben kommt: unter anderen 1978 im Baldeggersee und 1984 im Sempachersee. Vor allem Letzteres schockiert in seinem Ausmass. Über 300'000 Fische verenden. Ein Ereignis, das sich auch in Hofers Erinnerung tief einbrennt. «Als ich diese riesige Masse an toten Fischen sah, flossen erst Tränen, danach erfasste mich eine unglaubliche Wut.» Es war mitunter dieses einschneidende Ereignis, das Hofer Jahre später in die Politik führte.
Noch im selben Jahr (1984) nahmen die Seebelüftungen im Sempacher- wie auch Baldeggersee ihren Betrieb auf. Zwei Jahre später folgte die Anlage im Hallwilersee. Gut vier Jahrzehnte sind seither ins Land gezogen. Und noch immer werden die Seen künstlich belüftet – ohne dass ein baldiges Ende in Sicht rückt. Im Gegenteil: Für fast zwei Millionen Franken sollen für den Sempacher- und Baldeggersee neue Anlagen angeschafft werden (zentralplus berichtete).
Seit über vierzig Jahren reine «Symptombekämpfung»
«Reine Symptombekämpfung», nennt das Hofer. Wobei das schon von Anfang an klar gewesen sei. Immerhin habe man andere, schon fixfertig vorliegende Pläne, wie das direkte Abpumpen des sauerstoffarmen Tiefenwassers, nicht umgesetzt. «Jahrein, jahraus wäre so vier Grad kaltes Wasser, das nach fauligen Eiern riecht, in die Sure gepumpt worden. Das muss man sich mal vorstellen!» Im Vergleich dazu tut die «Lösung Seebelüftung» scheinbar niemandem weh.
Oder nur indirekt. Denn die Belüftung der Mittellandseen habe bis dato schon über 130 Millionen Franken verschlungen, rechnet Hofer vor. Und für die Seegemeinden führt die Belüftung zu Betriebskosten in der Höhe von zigtausenden von Franken. Allein für den Baldeggersee, der noch immer mit Reinsauerstoff am Leben gehalten wird, sind jährlich rund 200'000 Franken notwendig. «Ein Teil davon wird zudem aus dem Lotteriefonds zweckentfremdet», kritisiert Hofer. Ein «Heidengeld», das letztlich der Steuerzahler berappen müsse – während die Verursacher noch belohnt würden. «Eine verkehrte Welt ist das», enerviert sich Hofer und zieht kräftig an seiner Zigarette – und fragt dann rhetorisch: «Wo sonst wird man dafür bezahlt, dass man etwas nicht mutwillig zerstört?»
Wer Schuld trägt am Zustand der Seen, steht dabei für Hofer ausser Zweifel. Abwasser aus Siedlungen und Industrie habe man nach und nach in die ARA geleitet. «Was jetzt noch an Phosphor in die Seen gelangt, stammt zu 98 bis 99 Prozent aus der Landwirtschaft.»
Das seien Fakten, die auch die Wissenschaft bestätige. Und dies trotz aller Gülleauflagen und Einschränkungen, die teils gegen massiven Widerstand der Landwirte eingeführt wurden. Trotz Einführung der Nährstoffbilanz, die jedem Hof genau vorschreibt, wie viel Gülle maximal auf die Felder ausgebracht werden darf – was mitunter dazu geführt habe, dass insbesondere Schweinebetriebe bis zur Hälfte der anfallenden Gülle exportieren müssten, teils bis ins Waadtland. «Tausende Kubikmeter Gülle werden durchs halbe Land gekarrt», sagt Hofer und schüttelt den Kopf.
Einzige nachhaltige Lösung? Tierbestand reduzieren
Auch die kantonalen Behörden wüssten um die Verursacher der Phosphoreinträge – und das schon seit Jahrzehnten. Bereits sein Grossvater habe in den 50er-Jahren warnende Leserbriefe verfasst über den zunehmend schlechten Zustand des Sempachersees.
Dass sich der Kanton Luzern auch in den kommenden Jahrzehnten mit dem «Reinpumpen von Blööterli» begnügen wolle, zeige Hofer zweierlei. Dass den Behörden offensichtlich wenig an einer langfristigen Lösung gelegen sei einerseits. Aber vor allem, dass die Agrarlobby im Kanton Luzern eine unglaubliche Macht habe. Denn für Hofer ist klar: Wer wirklich an gesunden Seen interessiert sei, wer das Übel an der Wurzel packen wolle, der komme um eines nicht herum: Die Tierbestände müssten massiv reduziert werden. Und dann brauche es in einem zweiten Schritt viel Zeit. «Die schnelle Lösung, die niemandem weh tut, gibt es nicht.»
Bauern beschuldigen Altlasten und Klima
Mit diesem Vorschlag ist sich Hofer des heftigen Widerstands von Bauernkreisen gewiss. Das aber kennt Hofer ebenso gut wie die Gegenargumente, mit denen Landwirte gemeinhin die Schuld von sich weisen. Besonders gerne werde etwa die Altlastendiskussion bemüht. Der Gesundheitszustand des Sees, so werde jeweils argumentiert, erhole sich darum viel langsamer als erhofft, weil beständig Altlasten im Seewasser landen würden. Aus den überdüngten Böden um den See einerseits, aber auch aus der obersten Sedimentschicht im See selbst. «Das stimmt», pflichtet Hofer bei. «Aber daraus kann man doch nicht schlussfolgern, dass man sich im Ausbringen von Gülle nicht einzuschränken habe. Im Gegenteil.»
Ebenfalls gerne verwiesen werde auf die Klimaerwärmung als Sündenbock. Aufgrund der erhöhten Temperaturen kühlt sich das Oberflächenwasser im Herbst immer später ab. Das Zeitfenster, in dem eine Durchmischung des sauerstoffreichen Oberflächenwassers mit dem Tiefenwasser stattfindet, wird in der Folge immer kürzer. (Damit dies gelingt, muss sich die Oberfläche auf 4 Grad abkühlen. Dann ist die Dichte von Wasser am grössten – und es sinkt ab. Besonders in Kombination mit Stürmen). Auch das verlangsame die Genesung von Baldegger- und Sempachersee entscheidend. Diese Beobachtung sei ebenfalls korrekt, bestätigt Hofer. «Aber was bedeutet das? Dass die Landwirte aus der Pflicht sind? Mitnichten.» Unter diesen Vorzeichen gelte es erst recht, den zusätzlichen Phosphoreintrag radikal zu kürzen.
Richten kann es wohl einzig das Bundesgericht
Den Glauben an Politik und Luzerner Behörden hat Hofer längst verloren, ebenso an die Einsicht der Bauern – «obschon gerade sie ein Urinteresse an einer intakten Natur haben müssten». All seine Hoffnungen ruhen jetzt auf Schützenhilfe der höchsten richterlichen Instanz des Landes. Das Bundesgericht wird möglicherweise über eine Beschwerde zu befinden haben, die Umweltverbände vor gut vier Jahren an den Luzerner Regierungsrat getragen haben – unter anderem wegen systematischer Verletzung des Gewässerschutzes. Diese wurde vom Luzerner Regierungsrat erstinstanzlich abgewiesen. «Wenn sich die Kantonsbehörden hinter ein richtungsweisendes Urteil aus Lausanne stellen könnten, ja dann wäre allenfalls etwas auszurichten gegen diese übermächtige Bauernlobby», sagt Hofer.
Problem wie Verursacher sind laut ihm schon seit Jahrzehnten bekannt. Und doch werde bloss «rumgeblööterlet» – im wahrsten Sinne des Wortes. Wie geht man um mit dieser Situation? Diese Frage, gestellt mitten im Gespräch, lässt Hofer erst verstummen, dann immerhin ein «Gute Frage!» nachschieben. Eine eigentliche Antwort aber gibt es erst zum Abschied. «Wahrscheinlich, indem ich mir den Frust von der Seele rede. Wie in diesem Gespräch hier.» Sagt’s und verzieht die Mundwinkel immerhin zu einem halben Lächeln.
Hinweis: In einem zweiten Artikel, der am Sonntag, 22. September erscheint, wird der Luzerner Bauernverband seine Sicht der Dinge darlegen.
Ja das Interesse der Landwirtschaft an einer intakten Natur gibt es natürlich schon, aber halt nur solange es nicht das Einkommen schmälert, was bei den Schweinezüchtern selbstverständlich der Fall wäre, wenn sie ihr Tierbestände massiv verkleinern müssten.
Merci für diesen interessanten Artikel. Wär toll, wenn jemand eine Initiative zur Reduktion der Schweinebestände starten würde.