Domenico Pileggi sucht Nachfolger

Der letzte Schuhmacher seiner Art in Luzern hört auf

Ein Schuhmacher der alten Schule, der nun kürzer treten möchte: Domenico Pileggi. (Bild: Stefan Kämpfen)

Vergiss Al Bundy oder Mr. Minit: Der eigentliche Star in der Schuhbranche ist Domenico Pileggi. Seit 44 Jahren repariert er in Luzern Schuhe aus nah und fern. Jetzt geht der smarte Italiener in Pension und sucht einen Nachfolger.

Es ist, als würde man aus der Kapsel einer Zeitmaschine treten: Wer an der Eichmattstrasse 2 in Luzern über die Schwelle zu Domenico Pileggis Schuhmacherei schreitet, fühlt sich auf einen Schlag 40 Jahre zurückversetzt. Drinnen sieht es aus wie im Lebensmittelladen von «Unsere kleine Farm». Der gemütliche Eingangsbereich wirkt aufgeräumt und der leichte Duft nach Schuhpolitur weht einem angenehm um die Nase. Es dauert nicht lange, da tritt der Inhaber Domenico Pileggi in Szene. Eingehüllt in eine neckische Schürze, die farblich zu Gilet und Hemd passt, gibt nicht nur die Schuhmacherei eine gute Figur ab.

Einen warmen Händedruck später führt der Maestro in die hinteren Räumlichkeiten, die mit all den alten Maschinen ein bisschen wirken, als befände man sich in einem Museum. Vor drei über hundertjährigen Nähmaschinen kommt der bald 65-Jährige ins Schwärmen: «Die benutze ich auch heute noch. Es braucht nur ein wenig Sorge und ein bisschen Öl und dann laufen die noch einmal hundert Jahre.» Die gusseisernen Riesen befinden sich im Original-Zustand.

Jahrzehntealte Maschinen funktionieren heute noch

Neueren Datums sind einzig eingebaute Motoren, damit Pileggi schneller arbeiten und auch Reissverschlüsse nähen kann. Die mechanischen Ungetüme sind aber nicht die einzigen Arbeitsdinosaurier in diesem Raum. Gleich nebenan steht eine sechzigjährige Ausputzmaschine und dazwischen lugen neunzigjährige Schuhpressen hervor. Wie sie so zu sechst nebeneinanderstehen, sehen sie ein bisschen aus wie einarmige Banditen. Sie sind zwar durchaus eine Augenweide, gehören aber nicht zur Dekoration, wie Pileggi betont: «Diese Geräte benutze ich jeden Tag, um Sohlen auf Schuhschäfte zu pressen.»

«Es gibt nichts, was ich nicht repariere. Das einzige, was ich nicht machen kann, ist das Wechseln der Grinde bei den Leuten.»

Pileggi spricht nicht nur über seine Arbeit, er lässt seinen Worten auch immer gleich Taten folgen. In diesem Falle schrubbt er die Unterseite eines Frauenschuhs, bevor er ihn mit einem Leim bepinselt. «Das ist kein gewöhnlicher Kontaktkleber, sondern ein Leim, der sich sekundenschnell verfestigt. Danach hält die Sohle so gut, dass man sie wegschleifen müsste.» Kein Wunder, heisst doch das kleine Wunderding «Atom». Danach legt er den feinen Damenschuh in die Presse, die mithilfe von Luftdruck eines Kompressors den Schuhschaft und die Gummisohle aneinanderpressen. Pileggi hätte auch eine neuere Presse, aber er arbeitet lieber mit solchen Antiquitäten, die kaum einer mehr hat.

Viel Italianità trotz Schweizer Kunden

Das gilt auch für die Stanzmaschine im dritten Raum, mit der er Absätze aus Gummi stanzt. Hier befindet sich Material in allen erdenklichen Dicken und Farben mit einem Wert von über 20'000 Franken. Im hinteren Teil des Raums steht ein ganzes Regal aus hundertjährigen Schuhleisten. Das sind Formstücke aus Eichenholz, die der Form eines Fusses nachempfunden sind und die für den Bau von Schuhen verwendet werden. Des Weiteren besitzt Pileggi noch etwa zehn Maschinen zum Schuhe-Ausweiten. So viele wie kein anderer Schuhmacher in der Schweiz. Auch das ist ein Rekord, auf den Pileggi stolz ist.

Alle zehn Minuten werden seine Ausführungen vom Klingeln der Eingangsglocke unterbrochen. Die hereintretende Kundschaft bringt kaputte Wanderschuhe, holt Gurte ab oder erkundigt sich nach Farbsprays. Ab und an hört man den Schuhmacher auch in seiner Muttersprache Italienisch sprechen, «doch 99 Prozent meiner Kunden kommen aus der Schweiz», erklärt Pileggi. «Viele sind auch aus Zürich, aus Ob- und Nidwalden, aus dem Kanton Schwyz und vor allem auch aus Zug.»

Fast 300'000 Paar Schuhe in 44 Jahren

Nur von Laufkundschaft aus den Quartieren könnte der Schuhmacher nicht leben. Dabei sind sowohl das Alter der Klienten als auch die zu reparierenden Schuhe sehr unterschiedlich. «Ich flicke Sneakers von jungen Leuten, Wanderschuhe mit spröden Sohlen, Männer-Halbschuhe, High-Heels, Tanzschuhe und Kletter-Finken. Es gibt nichts, was ich nicht repariere. Das einzige, was ich nicht machen kann, ist das Wechseln der Grinde bei den Leuten.» Lacht und empfängt eine weitere Kundin.

Wie vielen Schuhen Pileggi wieder neues Leben eingehaucht hat, kann er nicht beziffern. «Hätte ich für jedes reparierte Paar Schuhe einen Franken erhalten, wäre ich jetzt wohl Millionär.» Nimmt man Pileggis Schätzung von 20 bis 25 Paar Schuhen als Massstab, die täglich über den Ladentisch gehen, würde es allerdings nicht zu einer siebenstelligen Zahl reichen. Aber über den Daumen hochgerechnet wären es trotzdem gut 300'000 Paar Schuhe, die vom umtriebigen Schuhmacher in seiner Karriere auf Vordermann gebracht wurden – eine stolze Zahl.

Von Google-Bewertungen wusste Pileggi nichts

Im Mai wird Domenico Pileggi pensioniert. Nun sucht er für seinen Betrieb einen Nachfolger, «denn mit der Schuhmacherei kann man immer noch gutes Geld verdienen», sagt der dreifache Familienvater. «Aber viele Junge gehen lieber in die Orthopädie, weil sie glauben, dass sie dort das Geld einfacher verdienen könnten.» Auch seine beiden Söhne hätten abgewinkt. Dabei handle es sich um gute, alte Handarbeit.

Auch die Suche nach einem Nachfolger läuft «old school» über Inserate, denn Pileggi hat keine Webseite. «Ich brauche keine, habe nie Werbung machen müssen. Auch von Bewertungen im Internet wusste ich nichts. Das habe ich von einem Kunden erfahren.» Pileggi wäre auch bereit, jemanden die nächsten drei bis vier Jahre anzulernen. Genauso, wie er einst mit 17 Jahren selbst angefangen hat. Wenn er niemanden finde, arbeite er vielleicht noch zwei bis drei Jahre und danach sei Schluss. Wir drücken die Daumen!

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Domenico Pileggi
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5 Kommentare
  • Profilfoto von ursula.braunschweig-luetolf
    ursula.braunschweig-luetolf, 28.04.2024, 10:01 Uhr

    Schöner Artikel. Pileggi ist der beste. Er hat für alles und alle Materialien eine Lösung: Kletterfinken, Bergschuhe, Stiefel, Turnschuhe. Und er arbeitet sehr schnell. Wenn ihm für eine Reparatur die richtige Maschine fehlt weiss er, wer helfen kann. Hoffentlich bleibt er noch eine Weile.

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  • Profilfoto von Patrick
    Patrick, 27.04.2024, 10:14 Uhr

    Ein Künstler seiner Art!
    Er hat mein Laufschuh 5 Tage vor dem SwissCityMarathon Luzern gerettet, dafür bin ich ihm ewig dankbar.
    Alles Gute.

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  • Profilfoto von Seppi
    Seppi, 26.04.2024, 20:47 Uhr

    Domenico Du bist der beste, wenn es Dich nicht gäbe müsste man Dich erfinden!
    Alles Gute
    Hey Seppi

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  • Profilfoto von Reinald Huwyler
    Reinald Huwyler, 26.04.2024, 18:49 Uhr

    Journalisten sollten wissen: den letzten (Schuhmacher), den einzigen, den grössten usw gibt es nicht. Irgendwo gibt es immer noch mehr. Besuchen Sie doch mal den Altstadtschuhmacher Bissig an der Leder-Gerbergasse in Luzern.

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  • Profilfoto von Kritikoptima
    Kritikoptima, 26.04.2024, 13:52 Uhr

    Das ist wunderbar, dass es noch diesen Fachmann für Schuhreparaturen und neue Sohlen in Luzern gibt. Es wäre super, wenn ein Nachfolger mit ebenso gutem Fachwissen und guten Verdienstmöglichkeiten für seinen Fleiss gefunden werden könnte.
    Unsere grosse Stadt braucht doch sicher mehrere Schuhmachereinen, selbst wenn die Hälfte der Bevölkerung (Wegwerf-) Sneakers und Turnschuh-ähnliches an den Füssen trägt, gibt es immer noch solide Lederschuhe, bei denen es durchaus "nachhaltig" ist, die Sohlen und Absätze reparieren zu lassen. Auf der anderen Stadtseite gibt es noch den kompetenten Salvatore Vitaliano an der Zürichstrasse (Nachfolger von dem langjährigen unvergessenen Pierino Garofalo) – und an der Museggstrasse den Ivo Jularic. ich wünsche den Schuhmachern viel Erfolg und weiterhin gute Kundschaft!

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