Regierung will Bettelverbot kippen – oder eben nicht

Wo «Hesch mer en Stotz?» in Luzern künftig verboten ist

Gerade rund um den Bahnhof Luzern gibt es viele Bettler. (Bild: Jörg&Schröter/AURA)

Die Luzerner Regierung will das Bettelverbot abschaffen – und ein teilweises Bettelverbot einführen. Doch wer genau hinsieht, merkt: Das Betteln wäre eigentlich auch mit dem neuen Gesetz noch verboten.

«Hey, hesch mer en Stotz?» – eine Frage, die wohl bereits jeder Luzerner schon gehört hat. Gerade beim Luzerner Bahnhof, an den Bushaltestellen oder vor den Ladentüren der Migros halten sich Bettlerinnen gerne auf – überall da, wo viele Passanten durchkommen.

Eigentlich ist Betteln im Kanton Luzern faktisch verboten. Wer öffentlich Geld sammeln will oder dafür von Haus zu Haus ziehen möchte, muss erst eine Bewilligung einholen. Wer bettelt, um ein paar Franken für den Lebensunterhalt einzutreiben, kriegt dafür jedoch keine Bewilligung. Das hält das Gesetz des Kantons fest – das seit 1976 beziehungsweise 1981 gilt.

Deswegen muss der Kanton das Bettelverbot abschaffen

Dieses allgemeine Bettelverbot will die Luzerner Regierung nun kippen. Beziehungsweise der Kanton wird dazu gedrängt – aufgrund eines Urteils aus Strassburg.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hielt in einem Urteil 2021 fest: Es sei unverhältnismässig, jegliche Form des Bettelns unter Strafe zu stellen. Dabei ging es um einen Fall im Kanton Genf, bei dem eine Rumänin zu einer Geldstrafe von 500 Franken verurteilt wurde – weil sie gebettelt hatte. Der Kanton Luzern wollte daraufhin das Urteil aus Strassburg umsetzen und das Bettelverbot anpassen.

Bettelverbot anpassen: der gescheiterte, erste Vorschlag des Kantons

Die Regierung schlug 2022 in einem ersten Anlauf vor: Wer betteln will, soll dafür bei der Gemeinde eine Bewilligung beantragen. Für diese Idee musste sie Kritik einstecken. Insbesondere von der Stadt, in der am meisten Bettler unterwegs sind (zentralplus berichtete).

Es sei zu kompliziert, zu aufwendig – und könnte die Menschenrechte verletzen. Denn niemand bettelt wirklich freiwillig – wer auf der Strasse Leute anspricht und sie um Geld bittet, steht meistens am Rande der Gesellschaft. Viele haben zudem ein Suchtproblem. Für sie sei es eine «grosse Hürde», eine Bettelbewilligung zu beantragen, monierte die Stadt. Und weiter: «Das wirft die Frage auf, ob mit der Bewilligungspflicht faktisch nicht ein neues Bettelverbot geschaffen würde.»

Die Regierung legte schliesslich einen Stopp ein. Sie wollte erst abwarten, wie andere Kantone das Urteil umsetzen.

Vorschlag Nummer 2: so will Luzern das Betteln künftig handhaben

Im Januar dieses Jahres präsentierte die Luzerner Regierung schliesslich ihren neuen Vorschlag: Betteln ist grundsätzlich erlaubt. Unter Strafe stellen möchte der Kanton jedoch gewisse Arten des Bettelns. Beispielsweise, wenn Bettler täuschende und unlautere Methoden anwenden – wie das Vortäuschen von körperlichen Beeinträchtigungen. Auch bestraft werden soll, wer in organisierter Form bettelt oder beispielsweise Kinder zum Betteln schickt.

Ebenfalls verbieten möchte die Regierung das Betteln, wenn dabei «die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung gestört wird». Dazu gehört aufdringliches, aggressives Betteln. Oder wenn Menschen an Orten betteln, wo viele Personen durchkommen und beschränkte Platzverhältnisse herrschen – wie etwa bei Bushaltestellen. Auch das Betteln auf Friedhöfen, Spielplätzen, Schulhöfen oder bei Geldautomaten soll verboten werden.

Mitte, FDP und SVP stehen hinter Gesetzesentwurf

Die Vernehmlassung des neuen Gesetzesentwurfs ist soeben abgelaufen. Auch die Parteien haben sich geäussert. Mitte, SVP und FDP stehen grundsätzlich hinter dem neuen Gesetzesentwurf der Regierung.

Die Mitte und die FDP betonen, dass «ein absolutes Bettelverbot nicht zielführend sei» (Mitte) und «das Betteln soll weiterhin sehr stark reglementiert bleiben» (FDP). Die Luzerner Mitte hält in der Vernehmlassungsantwort fest, dass Vereine und vor allem Schulen von einer Bewilligungspflicht ausgenommen werden sollen.

Grüne, GLP und SP äussern Kritik: «Das Bettelverbot bleibt eigentlich bestehen»

Auch die GLP ist mit dem Gesetzesentwurf grundsätzlich einverstanden. Allerdings bemängelt sie, dass man für das Sammeln von Gaben – also auch das Betteln – nach wie vor eine Bewilligung braucht. Wer diese nicht hat, riskiert eine Busse. «Die Bewilligungspflicht ist zu wenig niederschwellig und löst das Problem nicht», halten die Luzerner Grünliberalen fest. Auch kritisieren sie, dass der neue Gesetzesentwurf «wenig praktikabel» und «zu wenig bestimmt» sei, da Bettler gerade dort sind, wo viele andere sind. «Es besteht das Risiko, dass mit einer Bewilligungspflicht und dem Verbot von Betteln an Plätzen mit hohem Personenaufkommen das Ziel (menschenrechtskonforme Lösung) verfehlt wird.»

«Aufgrund des Vorschlags bleibt das Bettelverbot eigentlich bestehen.»

Luzerner Grüne

Auch die Grünen begrüssen es, dass der Kanton Luzern mit dem neuen Gesetzesentwurf den Menschenrechten nachgehen möchte – kritisiert aber dasselbe wie die GLP. «Aufgrund des Vorschlags bleibt das Bettelverbot eigentlich bestehen. Das ist unschön und schafft Verwirrung», schreibt Grüne-Kantonsrätin Rahel Estermann.

Die Grünen kritisieren in ihrer Vernehmlassungsantwort, dass aufgrund des Gesetzesentwurfs davon auszugehen ist, dass die Regierung weder die Sammelordnung noch einen Gesetzesparagrafen aus dem Übertretungsstrafgesetz anpassen will, Betteln also bewilligungspflichtig bleibt und es ohne Bewilligung strafbar bleibt.

Wenn man diese nicht ändere, «bleibt das Bettelverbot bestehen, was der eigentlichen Absicht des Regierungsrats zuwiderläuft», schreiben die Grünen. Daran ändere auch der geplante, zusätzliche Gesetzesparagraf nichts, es würden dadurch sogar Ungereimtheiten entstehen. Denn sämtliches Betteln wäre weiterhin strafbar. Deshalb möchten die Grünen, dass die Regierung das Gesetz dahingehend verändert, dass das Betteln nicht mehr gebüsst wird. Und dass Betteln, insbesondere passiven Formen davon, unter bestimmten Voraussetzungen ohne Bewilligung gestattet ist.

Kritik an Höhe der Busse

Weiter regen sie an, dass die Aufzählung, wann das Betteln «Sicherheit, Ruhe und Ordnung stört», abschliessend sein solle, was im Entwurf nicht der Fall sei. «Die Sicherheitsbehörden könnten willkürlich interpretieren, welches Verhalten sonst noch unter dieses Stören fällt.» Diese Tür für die Willkür beim Bussenverteilen müsse man schliessen. Nicht zuletzt setzen sie bei den Bussen an. Bettlerinnen, die gegen die Gesetze verstossen, sollen mit maximal 100 Franken gebüsst werden. Höhere Bussen könnten sie sowieso nicht bezahlen.

Das sieht die SP ähnlich. Im Gesetzesentwurf sei nicht ersichtlich, wie hoch die Busse ausfallen könne. Somit seien Bussen bis zu 10'000 Franken möglich. Die Sozialdemokraten wollen, dass für passives Betteln eine Busse von 50 Franken gilt, für aufdringliches eine solche von 100. Ausserdem sollen die Bussen nur dann ausgesprochen werden, wenn zuvor andere Massnahmen keine Wirkung gezeigt hätten.

Zudem findet Kantonsrätin Anja Meier: «Es ist zu verhindern, dass gerade in der dicht bebauten Stadt Luzern die Orte, an denen legal gebettelt werden kann, zu drastisch eingeschränkt und Bettelnde aus der Stadt verdrängt werden.» Trotzdem begrüssen die Genossen das grundsätzliche Vorhaben des Kantons, das Bettelverbot aufzuheben.

Das hält die Gassenarbeit davon

Der Verein kirchliche Gassenarbeit hilft Armuts- und Suchtbetroffenen in Luzern. Der Verein schliesst sich der Kritik der Linken an. «Eine Bewilligungspflicht käme einem faktischen Bettelverbot gleich und würde an der aktuellen Situation nichts ändern», schreiben Veronika Beck und Olivia Allemann vom Verein kirchliche Gassenarbeit auf Anfrage.

Suchtbetroffene Menschen könnten sich wegen ihrer Suchterkrankung oft nicht um die grundlegendsten Bedürfnisse kümmern. Das Einholen einer Bewilligung stelle eine zu hohe Hürde dar.

Man solle betteln nicht mehr per se kriminalisieren, «sondern gemäss dem Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Einkommensquelle akzeptieren». Der Verein spricht auch von einer Signalwirkung an die Gesellschaft, dass Armut und Randständigkeit im öffentlichen Raum durchaus sichtbar sein dürfe und seine Berechtigung habe.

«Wir hören von Betroffenen, dass sie massiv mehr Zeit aufwenden müssen für das Betteln, um zu ihnen nützlichen Beträgen zu kommen.»

Olivia Allemann und Veronika Beck, Verein kirchliche Gassenarbeit

Die Regierung hält in ihrem Gesetzesentwurf fest, dass Betteln an sehr frequentierten Orten wie Bushaltestellen verboten sein soll. Dies, obwohl sich betteln ja gerade an diesen Orten wohl oft lohnt – und auch heute die meisten Bettlerinnen an solchen Orten wie am Bahnhof oder vor Einkaufsläden anzutreffen sind. «Das ist jetzt schon der Fall, trotz faktischem Bettelverbot. Wir gehen davon aus, dass sich mit dem neuen Gesetzesentwurf nichts dran ändern wird», so Allemann und Beck.

Wie sich das Betteln verändert hat

Wie die beiden ausführen, sei Betteln insbesondere seit Corona schwieriger geworden. «Wir hören von Betroffenen, dass sie massiv mehr Zeit aufwenden müssen für das Betteln, um zu ihnen nützlichen Beträgen zu kommen», so Allemann und Beck. Zudem gehe es vielen gesundheitlich schlecht, was sie auf den steigenden Crack- und Freebasekonsum zurückführen (zentralplus berichtete). Betteln sei für Betroffene schwieriger und anstrengender – auch, weil ihr Zustand bei Passantinnen womöglich zusätzliche Berührungsängste auslösen könne.

Kommt hinzu, dass viele kein Bargeld mehr auf sich tragen würden und Bettler meistens kein Twint hätten. Das stellten sie auch beim Verkauf der «Gasseziitig» fest, die Absatzzahlen seien rückläufig. Derzeit würden sie Lösungen erarbeiten, damit Luzernerinnen die «Gasseziitig» künftig auch bargeldlos kaufen können.

Bleibt die Frage: Soll man nach der Frage «Hesch mer en Stotz?» auch wirklich nach Bargeld kramen, im Wissen, dass es vielleicht für Drogen ausgegeben wird?

«Da gibt es leider nicht die Antwort», so Beck und Allemann. Grundsätzlich könne man aber davon ausgehen, dass sich Bettelnde in einer Notlage befänden und das Geld beschaffen müssten. «Wenn sie das Geld nicht erbetteln können, müssen sie andere Wege finden. Gibt man etwas Kleingeld, hilft man dabei, die aktuelle Notlage etwas zu lindern.» Die Entscheidung liege aber bei jedem selbst, man dürfe auch nein sagen. Schön sei es aber, wenn man nicht an ihnen vorbeihetze, sondern das Gegenüber auch wahrnehme: «Wichtig erscheint uns, dass man die Bettelnden auf der Strasse wahrnimmt, ihnen mit Respekt begegnet, in die Augen schaut und zeigt, dass man sie sieht – ganz egal, wie die Antwort ausfällt.»

Verwendete Quellen
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