Wenn die Ärztin am Kantonsspital zur Partnersuche motiviert
Frauen können ihre Eizellen einfrieren lassen – und sich damit Zeit für die Erfüllung ihres Kinderwunsches schaffen. Alexandra Kohl Schwartz, leitende Reproduktionsmedizinerin am Luzerner Kantonsspital, nimmt Stellung zu den drängendsten Fragen.
Jennifer entschied sich nach ihrem 34. Geburtstag, ihre Eizellen einfrieren zu lassen. 23 Eizellen von ihr lagern nun in einem Kryotank im Universitätsspital Zürich. Eingefroren bei -196 Grad. Social Freezing nennt sich dieses Prozedere – Frauen erhoffen sich dadurch, ihren Kinderwunsch zu einem späteren Zeitpunkt erfüllen zu können (zentralplus berichtete).
Auch am Luzerner Kantonsspital (Luks) melden sich immer mehr Frauen beim Kinderwunsch- und Hormonzentrum mit diesem Anliegen. Alexandra Kohl Schwartz, Co-Chefärztin Reproduktionsmedizin am Luks weiss, wann Social Freezing sinnvoll ist.
zentralplus: Alexandra Kohl Schwartz, was bringt Frauen dazu, ihre Eizellen einzufrieren?
Alexandra Kohl Schwartz: Die meisten Frauen, die zu uns kommen, sind nach einer langjährigen Beziehung frisch getrennt und unglücklich, da sie ihren Traum der Familiengründung zerplatzen sehen. In der Regel sind sie zwischen 33 und 40 Jahre alt. Etwa drei Viertel der Frauen, die ihre Eizellen einfrieren lassen, gehören zu den Frischgetrennten. Nur wenige geben Karrieregründe für einen aufgeschobenen Kinderwunsch an.
zentralplus: Wie häufig kommen Frauen, die Social Freezing ins Auge fassen, zu Ihnen?
Kohl Schwartz: Früher haben wir vor allem aus medizinischer Notwendigkeit Eizellen eingefroren, etwa bei Erkrankrungen wie Endometriose oder vor einer Chemotherapie. Seit einigen Jahren nimmt das Social Freezing stark zu. In den letzten fünf Jahren haben sich diese Behandlungen am Kinderwunsch- und Hormonzentrum des Luks fast verdoppelt. Momentan behandeln wir ein bis zwei Frauen mit Wunsch nach Social Freezing pro Monat. Etwa halb so viele Frauen sind es, bei denen medizinische Gründe für die Konservierung vorliegen.
zentralplus: Ich bin 30 Jahre alt und kinderlos. Sollte ich mir also vorsorglich meine Eizellen einfrieren lassen?
Kohl Schwartz: Idealerweise friert man die Eizellen vor dem 35. Altersjahr ein. Dann ist die Qualität der Eizellen am besten. Bis zu diesem Alter gewinnen wir beim Social Freezing durchschnittlich rund 15 Eizellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass damit später eine Geburt erreicht werden kann, liegt bei 70 Prozent. Die Frage ist aber, ob Social Freezing dann überhaupt nötig ist. Das wägen wir mit jeder Frau individuell ab.
zentralplus: Wie gehen Sie dabei vor?
Kohl Schwartz: Wir evaluieren in Gesprächen die Lebenssituation und den Karriereweg – und was dazu geführt hat, dass die Familienplanung bis anhin noch nicht geklappt hat. Bei Singlefrauen fragen wir nach, warum sie noch nicht den Partner gefunden haben, mit dem sie sich eine Familiengründung vorstellen könnten. Was sich sicherlich lohnt ist, die eigene Fruchtbarkeit mit einem einfachen Bluttest zu analysieren. Social Freezing ist eine Möglichkeit, sich Zeit und Ruhe zu verschaffen. Die Zeit sollte dann allerdings auch genutzt werden. Und die Kosten für die Behandlung sollten die Frauen nicht unterschätzen.
zentralplus: Inwiefern?
Kohl Schwartz: Um die Eizellen eines Zyklus entnehmen und einfrieren zu können, sind 5000 bis 6000 Franken aufzuwenden. Die Krankenkasse zahlt diese Kosten nur bei medizinischen Gründen. Für viele – gerade junge – Frauen ist dies ein beachtlicher Beitrag. Auch sollten Patientinnen die Hormonbehandlung nicht unterschätzen. Vor der Eizellenentnahme spritzen sie sich während 14 bis 21 Tagen Hormone.
zentralplus: In welchen Fällen raten Sie zu Social Freezing?
Kohl Schwartz: Wenn gewisse Risikofaktoren bestehen, ist es sicherlich sinnvoll. Sei es, weil der Zyklus verkürzt ist oder in der Familie jemand vorzeitig in die Wechseljahre gekommen ist. Oder bei Raucherinnen kann die Fruchtbarkeit stark eingeschränkt sein.
zentralplus: Social Freezing wird Frauen bis 35 Jahren empfohlen. Wenn eine Frau älter ist und das Kinderwunsch- und Hormonzentrum des Luks aufsucht, kommt sie dann zu spät?
Kohl Schwartz: Nein, wir frieren die Eizellen von Frauen bis 40 Jahren ein. Je später eine Frau jedoch kommt, desto weniger Eizellen können wir tendenziell gewinnen, auch ist deren Qualität dieser nicht mehr ganz so gut wie bei Frauen unter 35 Jahren. Ist die Frau älter als 40 Jahre, ist Social Freezing nicht mehr zielführend. Dann sollte sie ihre Energie darin investieren, einen Partner zu finden.
zentralplus: Sie sagten bereits in einem früheren Bericht von «Medical Tribune», dass Sie Frauen, die älter als 35 Jahre sind, versuchen «zu motivieren, einen Partner zu finden». Wie soll das gehen?
Kohl Schwartz: Sie lacht. Natürlich geben wir keine Dating-Tipps. Wir fragen aber nach, was die Frau alles schon versucht hat, um einen Partner zu finden. Und wir versuchen, sie weiter dazu zu motivieren, ohne sie dazu zu drängen. Es geht vor allem darum, die Frauen zu sensibilisieren.
zentralplus: Warum ist das nötig?
Kohl Schwartz: Eine Frau sollte erst dann auf ihre eigenen eingefrorenen Eizellen zurückgreifen, wenn es auf natürlichem Weg nicht geklappt hat. Und wir können eine künstliche Befruchtung mit den gefrorenen Eizellen nur durchführen, wenn sie in einer festen Partnerschaft ist. Eine Samenspende für alleinstehende Frauen ist in der Schweiz nicht möglich. Es ist also ratsam, einen Partner zu finden, um sich den Kinderwunsch zu erfüllen. Zudem dürfen die Eizellen in der Schweiz maximal zehn Jahre lang eingefroren werden. Die Frage steht also im Raum, ob sich eine Frau per Social Freezing mehr Zeit und Ruhe verschaffen will, und damit mehr Energie gewinnt, um den richtigen Partner finden zu können – oder ob sie sich auch vorstellen könnte, alleinstehende Mutter zu werden. Für letztere Behandlung müssten die Frauen allerdings im Ausland Unterstützung finden.
zentralplus: Wie überprüfen Sie, dass die Frau in einer festen Partnerschaft ist?
Kohl Schwartz: Bei uns müssen die Paare ein Dokument unterzeichnen, das belegt, dass sie in einer festen Partnerschaft sind und wir versuchen die Situation innerhalb der Gespräche, die wir mit den Paaren führen, möglichst gut zu erfassen.
zentralplus: Spüren Sie als Kinderwunschärztin, dass die Partnersuche schwieriger wurde?
Kohl Schwartz: Wir machen schon die Erfahrung, dass viele die Vorstellung haben, dass der Partner perfekt sein muss, um die Familienplanung angehen zu können. Und dass viele zurückhaltender sind, eine Verpflichtung einzugehen. Dabei sind eine Beziehung und auch die Gründung einer Familie immer ein Kompromiss – auf beiden Seiten. Heute sind gerade im westlichen Kulturkreis Lebenskonzepte, die ein erfülltes Leben ohne Kinder vorsehen, viel verbreiteter.
zentralplus: Wie oft kommen die eingefrorenen Eizellen effektiv zum Einsatz?
Kohl Schwartz: Bei ungefähr 20 Prozent. Es gibt jene Frauen, die zu einem späteren Zeitpunkt doch keine Kinder mehr wollen. Dieser Anteil ist relativ gross. Und dann gibt es jene, die nicht zurückkommen, weil sie spontan schwanger wurden. Andere Paare kommen nach zwei, drei Jahren zu uns und sind froh, dass sie auf die eingefrorenen Eizellen zurückgreifen können. Voraussehen kann man es ja nie.
zentralplus: Wenn die eingefrorenen Eizellen nur bei rund 20 Prozent zum Einsatz kommen: Ist das nicht auch Geldmacherei?
Kohl Schwartz: Wir wollen keineswegs mit Ängsten der Frauen Geld machen. Deswegen ist es wichtig, Frauen gut und individualisiert zu beraten und zu entscheiden, wie sinnvoll die Methode für ihre momentane Lebenssituation ist und mit Tests die Fruchtbarkeit zu beurteilen. Grundsätzlich ist die Kosteneffektivität mit zirka 35 Jahren am höchsten. Wenn die Frau ihre Eizellen sehr früh einfriert, ist die Chance gross, dass sie diese gar nicht braucht und sie bezahlt allenfalls auch länger für die Lagerungskosten. Wenn die Kryokonservierung nach 37 Jahren stattfindet, ist sie deutlich weniger effektiv und damit auch teurer, weil es mehrere Behandlungszyklen braucht, um «genügend» Eizellen einfrieren zu können.
zentralplus: Wie steht es um die Fruchtbarkeit der Frauen – halten sich viele für fruchtbarer, als sie es eigentlich sind?
Kohl Schwartz:(Sie überlegt.) Eine gute Frage. Kürzlich sagte mir eine Patientin, dass sie enttäuscht sei, dass sie nicht mehr Eizellen konservieren konnte. Das hängt wohl damit zusammen, dass sich viele gar nicht die Frage stellen, wie es um ihre Fruchtbarkeit steht. Den Frauen ist oft gar nicht bewusst, dass es biologisch ab 35 Jahren immer schwieriger wird, auf natürlichem Weg schwanger zu werden.
zentralplus: Umgekehrt wollen andere Menschen gar keine Kinder – und spielen mit dem Gedanken, sich sterilisieren zu lassen. Wie gehen Sie mit diesem Wunsch um?
Kohl Schwartz: Wir sind zurückhaltend bei diesen Eingriffen. Eine Unterbindung ist ein Eingriff, der schlecht reversibel ist. Wir möchten unbedingt verhindern, dass jemand den Eingriff später bereut. Ich erlebe es sehr oft, dass Paare zu uns kommen, bei denen einer der Partner sich in einer früheren Beziehung hat unterbinden lassen und nun die Sterilisation bereut. Eine Unterbindung wird eher bei einer abgeschlossenen Familienplanung ins Auge gefasst, alternativ gibt es viele andere gute Verhütungsmethoden.
zentralplus: Ärztinnen werden öfters als Göttinnen in Weiss betitelt. Fühlen sich denn so?
Kohl Schwartz:(Sie lacht.) Nein. Eine hundertprozentige Garantie für die Erfüllung des Kinderwunschs gibt es leider nie, auch bei einer künstlichen Befruchtung nicht. Da liegt die Chance kumulativ bei Frauen unter 40 Jahren etwa bei 70 Prozent. Unser Credo lautet, Leute auf ihrem Lebensweg zu unterstützen und da zu helfen, wo es uns braucht. Die Schweiz und unsere Gesellschaft ist auch künftig auf Kinder angewiesen, welche die Zukunft des Landes mitgestalten.
Isabelle Dahinden schreibt über Menschen, Beziehungen und das Leben. Nach ihrem Studium in Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften schreibt sie seit Dezember 2017 als Gesellschaftsredaktorin für zentralplus. 2021 hat sie die MAZ-Diplomausbildung absolviert, seit August 2023 ist sie stellvertretende Redaktionsleiterin.