Nach Tot- und Fehlgeburten

In Luzern sollen alle Sternenkinder ihren Platz bekommen

Ein Symbol für die Auferstehung: Kirschbaum auf dem Friedhof Friedental in Luzern. (Bild: ber)

Für viele Eltern ist ein Sternenkindergrab ein wichtiger Ort des Abschieds und der Trauer: Hier können sie ihre zu früh verstorbenen Kinder bestatten. Doch nicht alle Eltern können dies in Luzern. Das sorgt für Kritik.

Nadine* wäre zum zweiten Mal Mutter geworden. Wäre. Sie ist in der achten Woche schwanger, als sie blutet – und ihr ungeborenes Kind verliert (zentralplus berichtete).

Damit ist Nadine nicht allein: Eine von sechs schwangeren Frauen verliert in den ersten Wochen ihr Kind.

An all die Kinder, die viel zu früh gestorben sind, gedenkt im Friedhof Friedental das Kinderfeld. Im hinteren Teil, gleich neben der Kinderkapelle, steht auf einer Wiese eine japanische Blütenkirsche. An den Ästen dieses Baums hängen Nuggis, laminierte Zeichnungen, Plüschtiere, Herzen aus Stein und Holz mit Namen der Kinder, die nie richtig in dieser Welt angekommen sind.

Seit rund 35 Jahren gibt es dieses Kinderfeld für Sternenkinder – so nennt man Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt sterben. Der damalige Friedhofsverwalter des Friedentals, Josef Theiler, soll 1989 die Wiese mit dem Kirschbäumchen bereitgestellt haben.

Aktuell haben sieben Gemeinden im Kanton ein Sternenkindergrab. Darunter Kriens. Auch Gemeinden wie Nottwil, Rothenburg und Aesch haben einen Teil des Friedhofs entsprechend eingerichtet.

Nicht alle Fehlgeborenen werden bestattet

Fatal: Nicht alle Eltern dürfen ihre toten Kinder bestatten. Die Schweizer Zivilstandsverordnung unterscheidet zwischen Tot- und Fehlgeburten. Unter ersteres fällt ein tot geborenes Kind ab 500 Gramm Gewicht oder nach Vollendung der 22. Schwangerschaftswoche. Solche Kinder haben ein Anrecht auf Bestattung und sind meldepflichtig.

Diese Rechte haben Fehlgeborene, also Kinder, die zur Zeit der Geburt zu jung oder zu leicht waren, nicht zwingend. In einigen Kantonen wie Zürich, Waadt, Bern und Jura dürfen alle Fehlgeborenen auf Wunsch der Eltern bestattet werden. Im Kanton Luzern fehlt aber eine solche übergeordnete Regelung.

Hier wird dir geholfen

Trauernde Eltern und Angehörige finden auf der Website kindsverlust.ch Hilfe. Diese hat einen kostenlosen Beratungsdienst und ist per E-Mail oder telefonisch erreichbar.

Auch die Familientrauerbegleitung hilft Menschen, die durch einen Todesfall in Not geraten sind.

Nur sieben Luzerner Gemeinden haben ein Sternenkindergrab

Das kritisiert die Luzerner Kantonsrätin Laura Spring (Grüne) in einem neu eingereichten Postulat. «So müssen die Eltern dieser Kinder das Glück haben, in einer Gemeinde zu leben, die die Bestattung ihrer Kinder erlaubt», schreibt sie darin.

«Eltern sollen nicht darum kämpfen müssen, würdig Abschied nehmen zu können von ihrem Kind.»

Laura Spring, Luzerner Kantonsrätin (Grüne)

Spring führt aus, dass die Situation in Gemeinden ohne Sternenkindergrab meistens unklar sei. «Immer wieder» könnten Eltern ihre zu früh geborenen Kinder nicht bestatten. «Eltern sollen nicht darum kämpfen müssen, würdig Abschied nehmen zu können von ihrem Kind», so Spring weiter. Deswegen fordert sie: Die Luzerner Regierung soll die Verordnung über das Bestattungswesen dahingehend ändern, dass Tot- und Fehlgeburten bestattet werden können, sofern die Eltern dies wünschen.

Diese seien in einer Ausnahmesituation – ihr Kind sei gestorben, was zugleich bei einer Fehlgeburt immer noch tabuisiert sei (zentralplus berichtete). «Ein würdevoller Abschied im Rahmen einer Beerdigung kann den Trauerprozess für die Eltern und weitere Angehörige erleichtern», ist Spring überzeugt.

In Kriens wurde bisher ein Sternenkind beigesetzt

Das Sternenkindergrab auf dem Friedhof Anderallmend in Kriens geht auf einen politischen Vorstoss von Anita Burkhardt-Künzler (Mitte) zurück (zentralplus berichtete). Seit Juni 2022 stehen hier nun drei grosse Metallkörper, in denen jeweils 20 bis 25 bunte Sterne eingestanzt wurden. Auf diese Sterne kann – auf Wunsch der Eltern – der Vorname des Kindes sowie das Geburts- beziehungsweise das Todesjahr notiert werden.

Von 10 Metern Distanz blickt man auf drei grosse quadratische Metallplatten mit Sternen drauf. Davor ist eine Grünfläche mit einen Holzzaun rund herun.
So sieht das Sternenkindergrab in Kriens aus. (Bild: Stadt Kriens)

In den vergangenen zwei Jahren wurde eine Beisetzung durchgeführt. Das ändert jedoch nichts an der Wichtigkeit des Sternenkindergrabs. «Wir halten den Ort nach wie vor für wichtig», schreibt ein Sprecher der Stadt Kriens. Der Ort sei frei zugänglich und stünde allen offen. «Er wurde als Ort der Ruhe, der Besinnung und des Erinnerns geschaffen und kann deshalb auch von Menschen besucht werden, die keine ordentliche Beisetzung ihres (zu) früh verstorbenen Kindes wünschen.»

Abschiedsfeier für Sternenkinder

Der Friedhof im Friedental kennt seit Jahrzehnten ein Kinderfeld. Jeden ersten Dienstag im Monat findet eine ökumenische Abschiedsfeier statt – für Eltern, Geschwister, Tante, Götti und weitere Bezugspersonen (zentralplus berichtete). Mit brennenden Kerzen, auf denen die Namen der früh verstorbenen Kinder vermerkt sind, spazieren die Angehörigen und die Spitalseelsorgerinnen von der Einsegnungshalle in Richtung Kinderfeld. Ganz vorn sind Mitarbeiter des Friedhofs, welche die Holzsärglein der verstorbenen Kinder tragen. Nach einem gemeinsamen Gebet oder Ritual werden diese in die Erde gelegt.

«Für Eltern, Geschwister, aber auch Götti und Gotti sowie andere Angehörige ist das Kinderfeld ein extrem wichtiger Ort.»

Pascal Vincent, Leiter Friedhöfe Stadt Luzern

Vergangenes Jahr wurden insgesamt 74 Kinder in diesem Kinderfeld beigesetzt. Das sagt Pascal Vincent, Leiter Friedhöfe bei der Stadt Luzern, am Telefon. Auf dem Kinderfeld dürfen Eltern mitgebrachte Gegenstände platzieren. Nuggis, Namenstafeln und Plüschbären, die sie aus Vorfreude gekauft – und nun auf den Friedhof mitgebracht – haben.

«Für Eltern, Geschwister, aber auch Götti und Gotti sowie andere Angehörige ist das Kinderfeld ein extrem wichtiger Ort», sagt Vincent. Hier können sie das Sternenkind würdevoll verabschieden und trauern. Und sie haben Gewissheit, wo ihr Sternenkind ist.

Trauern braucht Zeit – und einen Ort

Das Grab werde oft besucht, so Vincent weiter. Zwei-, dreimal im Jahr müsse er den Kirschblütenbaum und den Platz wieder von persönlichen Gegenständen wie Nuggis, Windrädern, Laternen und Herztafeln räumen, um Platz für persönliche Mitbringsel der neuen Sternenkinder zu machen. Vincent kündige dies jeweils mit Aushängen an. Viele Eltern würden an den persönlichen Gegenständen hängen und deswegen Engelchen, Herzchen und Mobiles abholen – oder mit diesen erneut den Baum zieren. «Das zeigt, dass der Trauerprozess seine Zeit braucht und eine gewisse Verbundenheit weit über die Fehl- oder Totgeburt besteht.»

Mit persönlichen Gegenständen gedenken Eltern ihrer früh verstorbenen Kinder.

Auch für die Friedhofsmitarbeiter sei das Kinderfeld ein besonderer Ort – viele haben selbst Kinder und fühlen mit. Vermutlich ist es wohl für alle Eltern der schlimmste Gedanke, das eigene Kind zu verlieren.

«Sicherlich wäre es wünschenswert, wenn alle Eltern die Chance haben, ihre Sternenkinder in der Wohngemeinde bestatten zu können – auch wenn sie per eidgenössischer Zivilstandsverordnung zu leicht oder zu früh auf die Welt gekommen sind», so Vincent. Bereits heute dürften aber Eltern, die aus Gemeinden ohne Sternenkindergräber kommen oder an einem der drei Standorte des Luzerner Kantonsspitals eine Fehlgeburt hatten, ihre Kinder im Friedental bestatten. In der Stadt Kriens sei man auch offen bei Anfragen nach einer Fehlgeburt.

Im Friedhof Friedental und im Friedhof Anderallmend möchte man jedenfalls nicht auf das Grab für Sternenkinder verzichten. Auf die Grabstätte, die Eltern die Möglichkeit zum Abschiednehmen und Trauern bietet – und wo Sternenkinder die letzte Ruhe finden.

Verwendete Quellen
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